Gottesdienste für Demenzkranke
Vertraute Räume, Texte und Lieder
1,5 Millionen Demenzkranke leben heute in Deutschland. Dennoch bleibt diese Wirklichkeit oft verborgen. Diesen Rückzug der Betroffenen erleben auch Kirchengemeinden. Treue Besucher tauchen plötzlich nicht mehr auf. Spezielle Gottesdienste können sie wieder in die Gemeinde holen.
Schon lange stellt sich die Kirche auf Kinder und Familien ein, Gemeinden gestalten für sie Kinder-, Familien- und sogar Kleinkindergottesdienste. Aber auch Senioren haben spezielle Bedürfnisse, die sich im Gemeindeleben widerspiegeln sollten. Eine besondere Herausforderung sind Gottesdienste für Menschen, die an Demenz erkrankt sind. Sie sind eine wertvolle Ergänzung zu vergleichbaren Angeboten in Alten- und Pflegeheimen. Diese Gottesdienste stiften nicht nur Gemeinschaft, sondern sie lassen demenziell erkrankte Menschen auch an vertraute und früher gelebte Frömmigkeit anknüpfen. Ein paar Tipps:
Achtung und Wertschätzung
Für Gottesdienste mit Demenzkranken gibt es kein Rezept. Die wichtigste Empfehlung an Menschen, die diese Gottesdienste leiten, lautet aber: „Reflektieren Sie Ihre Haltung zu Menschen, die demenziell erkrankt sind“, betonen die Autoren des Heftes „Menschen mit Demenz feiern Gottesdienst“ der Diakonie Rheinland-Westfalen-Lippe. Wichtig sei es, die Besonderheit dieser Menschen zu respektieren, die Originalität ihrer Ausdrucksweisen anzuerkennen und sich nicht durch die Krankheit verunsichern zu lassen. Um mit demenziell veränderten Menschen Gottesdienst zu feiern, sei eine Atmosphäre unbedingter Wertschätzung und Achtung notwendig: „Die Menschen müssen sich angenommen fühlen. Sie müssen sich wohlfühlen.“ Auch die Verkündigung sollte stets bestärkend, ermutigend und tröstlich sein.
„Theologisches Fragen nach menschlichen Verfehlungen haben in einem solchen Gottesdienst nichts verloren.“ Wichtig sei es, jede Äußerung zu würdigen und nicht auf Richtigkeit zu prüfen.
Vor- und Nachbereitung
Rechtzeitig vor Beginn des Gottesdienstes sollten Stühle im Halbkreis aufgestellt werden. Das kann in der Kirche in einer kleinen Seitenkapelle oder auch rund um den Altar geschehen. Das ist kommunikativer. Auf die Bedürfnisse von Rollstuhlfahrern muss dabei geachtet werden. Die Besucher werden empfangen und – falls sie keine Angehörigen dabei haben – in den Raum begleitet, da viele Hilfe bei der Platzsuche benötigen. Nach dem Gottesdienst sollten sie auch persönlich wieder verabschiedet werden. Im Pflegeheim hat es sich bewährt, Hilfspersonen wie Pflegekräfte oder Ehrenamtliche dabei zu haben, die bei Unruhe Einzelner oder bei Konflikten miteingreifen können. Um zu viel Unruhe zu vermeiden, sollten die Leiterinnen und Leiter der Gottesdienste überraschende Bewegungen oder häufiges Aufstehen und Hinsetzen vermeinden, da es als Einladung verstanden werden kann, sich auch selbst zu bewegen.
Inhalt und Gestaltung
Der Gottesdienst sollte bekannte Texte mit einem hohen Wiedererkennungswert und vertraute Lieder enthalten. Die Predigt kann ruhig nur einen Gedanken und einfache Sätze enthalten, die biblischen Texte können auch gemeinsam gesprochen werden. Insgesamt sollten die Leiter dieser Gottesdienste eher die Gefühlsebene und nicht den Intellekt der Besucher ansprechen. Die Gestaltung sollte sich nicht nur aufs Hören beschränken, sondern alle Sinne mit einbeziehen. Beim Umgang mit Symbolen und Gegenständen, die eventuell verteilt werden, ist Vorsicht geboten: Sie werden leicht in den Mund gesteckt. Sind keine Angehörigen dabei, ist es besser, den Gegenstand zu zeigen, das fördert auch die Konzentration. Ein Plüschschaf passt zum Beispiel gut zum Evangelium des guten Hirten, Blumen eignen sich zum Riechen und Mitgeben, Fotokarten zum Mitnehmen und Aufstellen. Insgesamt sollte der Gottesdienst nicht zu lang sein und ruhig häufig mit Eucharistie gefeiert werden, da demente Menschen sehr sensibel für Liturgie sind und sie einen hohen Wiedererkennungswert hat. Bei Austeilung der Kommunion sollte aber auf Schluckbeschwerden der Besucher geachtet werden.
Gottesdienstraum außerhalb der Kirche
Im Alten- und Pflegeheim ist der Raum, in dem Gottesdienste gefeiert werden, oft ein Multifunktionsraum, der erst gestaltet werden muss. Wichtig ist, dass die Bewohner erkennen: Hier wird jetzt ein Gottesdienst gefeiert, hier ist jetzt „Kirche“. Was zur Kirche gehört, ist auch bei desorientierten Menschen noch im Altgedächtnis gespeichert: ein Altar mit brennenden Kerzen, eine aufgeschlagene Bibel, ein Kreuz, Blumenschmuck, ein Instrument (Klavier oder Orgel), das am besten schon zu Beginn des Gottesdienstes eine besinnliche Atmosphäre schafft. Genauso wie ein Glockengeläut kann das auch von einer CD kommen.
Musik ist Gemeinschaft
Musik wird häufig als „Königsweg“ in der Begleitung von Menschen mit Demenz bezeichnet. Sie stellt für viele Betroffene eine der letzten verbleibenden Möglichkeiten der sozialen Teilhabe und des Selbstausdrucks dar. Sie erleben Gemeinschaft in der Musik, wo sonst für sie eher Isolation vorherrscht. Und sie haben die Möglichkeit, Gefühle zu erleben und auszudrücken. Das löst häufig große Freude aus. Aber auch Trauer und Wut können in der Musik ausgedrückt werden. Musik und Singen kann bei Menschen mit Demenz auch das Gedächtnis und die Erinnerung fördern – so können sie manchmal Menschen wiedererkennen, die sie vorher schon nicht mehr einordnen konnten.
Astrid Fleute