Ein Missbrauchsopfer berichtet von seinen Erfahrungen
"Viele Gemeinden blenden es aus"
Sie müssten mehr auf die Opfer zugehen und ihnen zuhören - so haben fast alle Bischöfe reagiert auf die Ergebnisse der neuen Missbrauchsstudie. Also auf Menschen zugehen wie Astrid Mayer. Sie ist als Kommunionkind von ihrem damaligen Pfarrer missbraucht worden und hat Jahrzehnte gebraucht, bis sie darüber reden konnte. Heute engagiert sich die Kommunikationsberaterin unter anderem in Organisationen wie ECA ("Ending Clergy Abuse") und im Betroffenenbeirat des Fonds Sexueller Missbrauch. Im Interview berichtet sie von ihren Erfahrungen und von den Problemen, die sie gerade in den Gemeinden vor Ort sieht.
Frau Mayer, Sie haben rund 30 Jahre nach dem Missbrauch beim Bistum Anzeige erstattet. Was haben Sie da erlebt?
Nichts Gutes. Ich habe die Missbrauchskommission damals als völlig gefühllos und als reine Täterschutzkommission erlebt. Da hieß es lapidar: Wir haben den aktuellen Pfarrer befragt und den Pfarrgemeinderat und die können sich gar nicht vorstellen, dass da damals was gewesen sein könnte. Und dann hieß es noch, ich hätte ja eine Therapie gemacht und das sei mir dort vielleicht eingeredet worden. Ich sollte doch die Anzeige zurückziehen. Das hat mich völlig umgehauen. Und es gab auch niemanden in der Kommission, der irgendwie psychologisch geschult war und auch nur ein wenig Gespür dafür hatte, was das für mich bedeutet hat in dieser ganz heiklen Situation. Da braucht man Gesprächspartner mit Einfühlungsvermögen und Hilfe - echte Seelsorge eigentlich.
Und was haben die anderen Menschen aus der Gemeinde gesagt?
Da war ich die Nestbeschmutzerin, die dem ach so beliebten Geistlichen was anhängen wollte. Man will das nicht glauben, denn man hat ja jahrelang den Pfarrer erlebt, bei ihm gebeichtet, geheiratet, seine Kinder taufen lassen und auch zum Kommunionunterricht geschickt. Da sehe ich ein ganz großes Problem und höre auch von anderen Opfern immer wieder, dass viele Gemeinden das Thema völlig ausblenden. Wenn man weiter vor Ort leben will, muss man sich das gut überlegen, ob man die Taten anzeigt. Da können die Bischöfe noch so viel Aufklärung versprechen und Dinge aufarbeiten wollen - ganz konkret bedeutet das auch, vor Ort zu schauen, wie man die Spaltung von Gemeinden verhindert und die Ausgrenzung der Opfer. Und wie man den Gläubigen die Möglichkeit gibt, die Tatsache zu verarbeiten, dass ihre Spiritualität von einem Pädo-Kriminellen missbraucht wurde.
Stichwort Bischöfe: Die haben bei der Präsentation ihrer Studie betont, sie müssten endlich stärker auf die Opfer zugehen und sich auch von diesen helfen lassen, etwa bei der Prävention. Ein guter Ansatz?
Im Prinzip schon. Zum Glück ist seit dem Bekanntwerden des Skandals 2010 in vielen Bistümern die Sensibilität für die Betroffenen größer geworden. Aber nach meinen Erfahrungen und denen vieler anderer Betroffener bin ich vorsichtig. Mal abwarten, ob nach den vielen Worten jetzt auch wirklich konsequent gehandelt wird.
Was wäre dabei wichtig?
Zunächst mal Unabhängigkeit. Die Missbrauchskommission damals bei mir nannte sich unabhängig, war aber genau das Gegenteil, die meisten Mitglieder waren sogar beim Bistum angestellt. Das ist übrigens heute noch so: Die Kommission besteht weiterhin größtenteils aus Kirchenmitarbeitern. Ganz anders ist es zum Beispiel im Erzbistum Freiburg, wo ich derzeit wohne. Da gehen alle Fälle nach außen an unabhängige Fachberatungsstellen. Da arbeiten geschulte Experten, die die Problematik genau kennen und auch nicht den Schutz der Institution im Blick haben. Nur so kann es gehen. Und immerhin sagen die Bischöfe, dass sie Hilfe von außen brauchen.
Zu den Forderungen, die jetzt im Raum stehen, gehören auch höhere Anerkennungs- und Entschädigungszahlungen. Wie wichtig ist das?
Die meisten Opfer, die ich kenne, brauchen jeden Cent. Denn die Traumatisierung stürzt viele auch in den finanziellen Abgrund. Ich zum Beispiel hatte riesige Probleme im Studium, das sehr lange dauerte, weil ich kaum belastbar war für lange Zeit und mit schweren Depressionen zu kämpfen hatte. Das führte zu Bafög-Schulden und vielem mehr. Solche Taten werfen einen aus der Bahn, und man braucht viel Glück und gute Hilfe, um sein Leben irgendwie meistern zu können.
Aber unabhängig davon: Fast noch wichtiger fände ich, dass die Kirche durch Abgeben von Geld klarmacht, dass sie schwere Fehler gemacht hat und dass dies auch echte Konsequenzen hat. Sie könnte zum Beispiel auch Therapiezentren finanzieren, in denen Opfer von sexueller Gewalt gute und professionelle Hilfe finden. Aber das muss dann auch richtig gemacht werden und nicht mit ein paar Hunderttausend Euro, sondern da sollte es schon eine Milliarde sein aus meiner Sicht.
kna