Viele Wege – auch viel Sinn?

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In der Hamburger Jacobi-Kirche gibt es seit zwölf Jahren eine Pilger-Messe. Das Angebot für spirituelle Wanderungen ist kaum noch zu überblicken. Stefan Branahl hat sich umgeschaut und umgehört.

Wegweiser für Pilger an der Hamburger Hauptkirche St. Jacobi
Wegweiser für Pilger an der Hamburger Hauptkirche St. Jacobi, wo sich auch ein Pilgerzentrum befindet.
Foto: Stefan Branahl

Liegt es am Rucksack, der Wetterjacke und den wasserfesten Schuhen? Ich scheine heute das Bild vom Pilger zu erfüllen. Mitten aus dem Gedrängel am Eingang zieht mich gleich jemand an den ersten Infostand und ins Gespräch. „Da müssen Sie unbedingt mal hin. Ich bin immer wieder ganz begeistert.“ Werner Gutke, so stellt sich mein Gegenüber vor, würde es wohl am liebsten sehen, wenn ich gleich auf dem Absatz kehrt mache und Richtung Tempzin marschiere, ins Pilger-Kloster nach Mecklenburg. „Tempzin ist meine Kraftquelle, ich mache so gerne beim Kleeblatt-Pilgern mit, da gehen wir jeden Tag in weitem Bogen einen anderen Weg ums Kloster. Und dass ich die vier Andachten besuche, das hätte ich ja nicht für möglich gehalten, aber jetzt bin ich süchtig danach.“ Kann sich ein kleines, unbekanntes Pilgerklos­ter einen besseren Werbepartner wünschen?

Markt der Möglichkeiten für Sinnsucher, Wanderer und Gleichgesinnte

50 Aussteller haben ihre Tische in den Gängen der Jacobi-Kirche im Zentrum Hamburgs aufgebaut. Zum zwölften Mal informiert die Pilger-Messe in der Hauptkirche der Hansestadt Menschen, die eine spirituelle Wanderung machen wollen, Inspirationen suchen, mit Gleichgesinnten ins Gespräch kommen und frühere Wegbegleiter treffen möchten. Aus zaghaften Anfängen ist eine Veranstaltung geworden, die Menschen aus ganz Deutschland in den Norden lockt. Am Vormittag schon ist die Kirche zum Eröffnungsgottesdienst gut gefüllt, zwischen den Ständen herrscht dichtes Gedränge. Und bei den Vorträgen, die verschiedene Wege vorstellen oder sich Einzelaspekten widmen („Pilgern für Trauernde“, „Das Erlebte verarbeiten“) gibt es kaum freie Plätze.

Der Anstoß von Ulrich Schmidt ist auf fruchtbaren Boden gefallen. Der aus dem Fränkischen in den Norden gezogene Theologe verfolgt mit stiller Zufriedenheit das Treiben. „Schon vor vielen Jahren habe ich beobachtet: Auch wer schon lange nicht mehr in den Gottesdienst kommt, besucht offene Kirchen. Wenn ich in die Gästebücher schaue, dann geht es um die Suche nach einem tieferen Sinn.“ Auf der einen Seite erreichten die Kirchen mit ihren traditionellen Angeboten immer weniger Menschen. Andererseits machten sich immer mehr auf einen Pilgerweg. Verbinden wir die passenden Dinge, schaffen einen Ort der Begegnung, der Inspiration, der Begegnung, habe er sich gesagt. „Noch halten sich notwendige Professionalität und aufkommende Kommerzialisierung die Waage“, sagt Ulrich Schmidt. Noch geht es in erster Linie um das spirituelle Unterwegssein, das nach wie vor im Trend liegt. 

An einem der Stände entdecke ich Georg Rößler. Vor einem Jahr sind wir gemeinsam auf den Spuren Jesu durch das Heilige Land gewandert. Rößler, der dort ein kleines Touristenbüro aufgebaut und diesen Weg von Nazareth bis Jerusalem konzipiert hat, ist extra für die Pilger-Messe aus Israel angereist, um ihn einem größeren Publikum vorzustellen. Das Bild eines frommen Mannes erfüllt Georg Rößler ganz und gar nicht, aber er hat eine spirituelle Ader und ein fundiertes theologisches Wissen. „Die Menschen lassen sich eher durch eine Emmaus-Erfahrung anstecken als durch ein Damaskus-Erlebnis“, sagt er. „Die Jünger erkannten Jesus, weil sie ein Stück Weg mit ihm gingen. Saulus wurde in Damaskus durch einen Blitz des Himmels zum Paulus. Das funktioniert heute nicht mehr.“

Durch Europa, durch Deutschland, durch die Stadt

Ich schaue mich weiter um nach Möglichkeiten, die ein Emmaus-Erlebnis bieten könnten. Mit wärmsten Worten empfehlen Simone und Anton Ochsenkühn an ihrem Stand den Franziskus-Weg. Vor Jahren haben sie die Route von Florenz über Assisi nach Rom entdeckt, als sie sich auf den Weg machten, um ihre angeschlagene Beziehung neu zu ordnen. „Es gibt herrliche Landschaften, gutes Essen, viel Kultur. Und wenn man will, auch spirituelle Erfahrungen“, sagt Simone Ochsenkühn. Empfiehlt sie das jetzt als Emmaus-Light-Version?

Meinen Rucksack packen würde ich eher nach einem Gespräch mit Klaus Lemke-Paetznik, Pastor für Urlaubsseelsorge aus Wilhelmshaven. Der Pilgerweg durch Wilhelmshaven von Kirche zu Kirche, ganz neu entwickelt zur 150-jährigen Stadtgeschichte, ist allerdings eher etwas für Tageswanderer. 

Die Auswahl ist groß und macht eine Entscheidung nicht leicht. Ich könnte pilgern auf den Spuren des heiligen Martin quer durch Europa. Mich auf den Weg machen auf spirituellen Routen durch Skandinavien. Beim Ökumenischen Pilgerweg für Klimagerechigkeit vom polnischen Zielona Góra ins schottische Glasgow (23. August bis 9. November) Flagge zeigen. Auf den Damaskus-Blitz warten. Und mir den 20. Februar 2021 notieren – als Termin der nächs­ten Pilger-Messe in Hamburg.

Text u. Foto: Stefan Branahl