Predigtreihe im Tag des Herrn
Vom Mut, der Sehnsucht auf der Spur zu bleiben
Der Apostel Thomas begegnet dem auferstandenen Christus. Mosaik aus der Geburtskirche in Betlehem. Foto: kna/Debbie Hill/CNS photo |
Nicht wenige Christen werden vermutlich diesem Bekenntnis zustimmen können, manchmal auch nur insgeheim. Und vielleicht drängen solche existenziellen Fragen gerade derzeit besonders ans Licht angesichts der aktuellen Coronakrise mit ihren oft so dramatischen Folgen. Ja, es ist nicht die Zeit des unbeschwerten Osterjubels.
Ist uns deshalb vielleicht gerade jetzt der zweifelnde und skeptische Thomas besonders nahe? Nach Karfreitag hatte er sich offenbar zurückgezogen. Jedenfalls war er nicht dabei, als der Auferstandene seinen Jüngern bereits am Osterabend erschienen ist. Eine Woche später kommt er wieder und hört, was die anderen erfahren haben. Doch so ohne weiteres traut er ihren Erzählungen nicht. Er braucht handfeste Beweise: „Wenn ich meinen Finger nicht in das Mal der Nägel … lege, glaube ich nicht“. Die Fakten sprechen doch dagegen. Er, Thomas, hat doch selbst erlebt, dass Jesus gewaltsam zu Tode kam. Wie kann er jetzt wieder lebendig sein?
Die promovierte Theologin Annette Schleinzer ist Ordinariatsrätin im Bistum Magdeburg und Theologische Referentin von Bischof Gerhard Feige sowie Exerzitienbegleiterin. Foto: Privat |
Liegt diesem Zweifel aber im Grunde nicht eine tiefe Sehnsucht zugrunde? Die Sehnsucht, es möge doch wahr sein – und zugleich die Angst, es könnte sich als Täuschung erweisen, die Sehnsucht könnte ins Leere laufen…
Damit passt Thomas wie kaum ein anderer Apostel in unsere Zeit. Noch nie hat es für uns Menschen so viel Wissen gegeben. Zugleich drängen sich immer mehr Fragen auf, fühlen sich viele unbehauster denn je. Auch für uns Christen bleiben Fragen offen, gerade angesichts dessen, was wir zurzeit erleben. Auch wir haben keine Beweise für das, was wir im Credo bekennen: „Am dritten Tage auferstanden von den Toten…“. Ist das nicht zu schön, um wahr zu sein? Denn dann gäbe es ja auch für uns einen letzten Halt. Dann fiele niemand ins Leere. Dann blieben die, die wir lieben, im Tod auf ewig in Gott geborgen. Dann würden wir uns wiedersehen …
Ja, hieb- und stichfeste Beweise dafür haben wir nicht. Solche Beweise gab es aber noch nie. Auch die ersten Jüngerinnen und Jünger mussten lernen, dass Jesus nicht mehr so da ist wie vor seinem Tod. Zu ihrer Ostererfahrung gehört immer auch das Wort des Engels am Ostermorgen: „Er ist nicht hier“. Und auch wenn er sich ihnen zeigt, entzieht er sich wieder, lässt er sich nicht fassen, nicht halten. Die neue Wirklichkeit, das Reich Gottes, von dem Jesus immer gesprochen hat, ist nicht innerhalb unseres Koordinatensystems zu finden. Glaube und Zweifel gehören deshalb notwendigerweise zusammen, sie sind „wie Geschwister“, wie Tomáŝ Halík schreibt. Denn „der Glaube ohne Zweifel kann zum Fanatismus führen, aber auch der Zweifel, der die eigenen Zweifel daran ausblendet, kann in Zynismus und Bitterkeit münden“.
Wie kommt es nun für Thomas zur entscheidenden Wende, zum Bekenntnis: „Mein Herr und mein Gott“? Ich meine, dass er der Spur seiner Sehnsucht gefolgt ist, der Spur seiner Liebe. Der Liebe, die zum Geliebten sagt: „Du wirst nicht sterben“. Der Liebe, die darauf besteht, dass der Tod letztlich keine Macht hat. Deshalb ist Thomas trotz aller Zweifel dabeigeblieben; er hat sich in seiner Trauer und in seinen Fragen nicht verschanzt. Er ist wiedergekommen, hat sich der Gemeinschaft wieder angeschlossen. Dort, hinter verschlossenen Türen, harrt er mit den anderen aus. Noch kann er ihre Erfahrung nicht teilen, noch ist es in ihm dunkel. Aber er bleibt dabei.
Und da geschieht auch für ihn das Osterwunder: Jesus zeigt sich ihm. Er geht auf seinen Zweifel ein, lädt ihn ein, ihn zu berühren. Es ist, als wolle er ihm sagen: „Trau deiner Liebe zu mir, trau auch den unglaublichen Möglichkeiten Gottes. Ja, ich lebe – und auch du sollst leben!“
Diese Zusage gilt auch uns. Nicht immer wird sie uns erreichen. Manchmal gibt es lange Phasen der Dunkelheit und des Zweifels. Auch von Mutter Teresa wissen wir, dass sie sogar jahrzehntelang in großer innerer Not und Gottesferne gelebt hat. Wie für Thomas kommt es aber darauf an, dabeizubleiben, in der Gemeinschaft zu bleiben. Wie für Thomas kommt es darauf an, auf der Spur der Sehnsucht zu bleiben. „Man muss geduldig an der Schwelle zum Geheimnis ausharren und in ihm verweilen“ (Tomáŝ Halík). Und eines ist gewiss: Jesus, der Auferstandene, kann alle verschlossenen Türen überwinden. Deshalb gilt auch: Wenn es uns derzeit aufgrund der Coronapandemie verwehrt ist, miteinander Gottesdienst zu feiern, dann tritt der Auferstandene durch die Kirchentüren nach draußen, um uns dort aufzuspüren, wo wir sind. Um uns dort seinen Frieden zuzusagen: da, wo wir leben und arbeiten, wo wir allein oder miteinander beten, in unsere Ängste, in unsere Fragen und Zweifel hinein.