Demut und Bescheidenheit
Von Klein und Groß
„Wer sich selbst erhöht, wird erniedrigt, und wer sich selbst erniedrigt, wird erhöht werden“, sagt Jesus im Evangelium. Aber was heißt das praktisch? Und wann wird die Mahnung zu Demut und Bescheidenheit zur Unterdrückung?
Vor ein paar Jahren beim Blasiussegen. Der Priester ist ein älterer Herr, Mitte 70, groß gewachsen. Seine Haare sind schneeweiß. Vor ihm steht ein kleines Mädchen, etwa drei Jahre alt. Der Priester geht in die Knie, auf Augenhöhe mit dem Mädchen und segnet es. Mit der Kerze in der Hand ist das für den älteren Geistlichen kein ganz einfaches Unterfangen. Aber er zögert nicht eine Sekunde. Eine scheinbar nebensächliche Begebenheit, bei den Eltern des Kindes hat sie aber Eindruck hinterlassen, weil der Priester durch seine Geste genau das bezeugt hat, was er verkündet: einen liebenden Gott, der sich den Menschen zuwendet.
„Menschen auf Augenhöhe begegnen“ – das ist für Pater Bernhard Leisenheimer der Kern der Demut, um die es in den Texten dieses Sonntags geht. Er war nicht der Priester, der den Blasisussegen gespendet hat, aber ihm gefällt die kleine Geschichte, weil an ihr so viel deutlich wird. „Demut ist immer eine Würdigung, ein Ernstnehmen des anderen“, sagt der Ordensmann, der oft für Exerzitien und als geistlicher Begleiter angefragt wird. „Demut denkt vom anderen her“, sagte die evangelische Theologin und Regionalbischöfin Petra Bahr vor ein paar Jahren in einem Vortrag. „Demut stellt die gängigen Vorstellungen von Macht und Größe auf den Kopf.“
Macht, Ansehen, Schönheit, Stärke, Geld – das ist, was für viele zählt. Jesus dagegen warnt mit dem Gleichnis aus dem Evangelium seine Zuhörer: Es gibt immer einen, der größer ist als du! Nimm dich nicht so wichtig! Er ruft dazu auf, sich nicht zu präsentieren und vorzudrängeln, sondern mit einem hinteren Platz vorliebzunehmen. Auch deshalb, weil der Mensch im Vergleich zu Gott sowieso nur ein Sandkorn im Universum ist. Warum sollte man da auf seine eigene Größe pochen?
„In der Tradition ist Demut weiblich“
Manche übertreiben es dabei allerdings. Ihnen ist Lob unangenehm. „Ich bin doch nicht wichtig. Suchen Sie doch jemand anderen“, sagen oft Ehrenamtliche, wenn sie zum Beispiel gefragt werden, ob von ihnen in der Kirchenzeitung berichtet werden kann. „Demut hat eine ruinöse Geschichte ihres Missbrauchs hinter sich“, sagt Petra Bahr. „In der christlichen Tradition ist Demut weiblich.“ In der Tat: Die Tugend der Demut ist oft missbraucht worden, um Menschen klein zu halten, sie zu Dienstboten zu degradieren und Widerspruch zu unterdrücken. Gerade Frauen ist das oft passiert. Vielleicht sind übertriebene Zurückhaltung und falsche Bescheidenheit Teil dieser unseligen Tradition.
Der Missbrauch der Demut hat aber auch ein anderes Gesicht. „Bleibe bescheiden, und du wirst von allen geliebt werden“, heißt es in der ersten Lesung. Ja, wer demütig und bescheiden auftritt, hinterlässt oft Eindruck. Deshalb ist Papst Franziskus ja auch so beliebt – weil er sich seine Tasche nicht tragen lässt, weil er schon mal einen für ihn vorgesehenen thronartigen Sitz gegen einen normalen Stuhl austauschen lässt, weil er Wache schiebenden Schweizer Gardisten Kekse oder einen Stuhl anbietet. Er denkt vom anderen her. Bei Franziskus kommen solche Gesten offenbar von Herzen, die Menschen nehmen sie ihm ab.
Es geht aber auch anders: Öffentlich demonstrierte Bescheidenheit, um geliebt zu werden – das kann eine gewisse Zeit funktionieren, aber irgendwann merken Menschen, mit wem sie es zu tun haben. „Wer von sich selber sagt, er sei demütig, zeigt nur, dass ihm die Demut fehlt“, sagt Petra Bahr.
„Wer Demut üben will, muss in die Knie gehen“
Echte Demut ist vor allem eine Frage der inneren Haltung. Und diese Haltung kann man lernen. „Wer Demut üben will, muss in die Knie gehen“, sagt Bahr. Wie der Priester in der zu Anfang geschilderten Begegnung. Wie Eltern, wenn sie ihre Kinder ernst nehmen und sich nicht einfach hinunterbeugen, sondern auf die Knie gehen, auch wenn ihre gute Hose dabei dreckig wird. „Weil sich der Starke klein macht, wird der Kleine stark“, sagt Bahr. Wenn sich jemand aus höherer, mächtigerer Position auf Augenhöhe begibt, schenkt das dem anderen Würde und Selbstbewusstsein.
Pater Bernhard erzählt Geschichten aus dem Klosterleben als Übungshilfen für die Demut. „Deo gratias – Gott sei Dank“, habe etwa der heilige Augustinus als gegenseitigen Gruß im Kloster vorgeschrieben. Nun gibt es aber auch im Kloster Mitbrüder, die man vielleicht nicht mag. Diesen nicht aus dem Weg zu gehen, sondern sie mit „deo gratias“ zu grüßen und so Gott für sie zu danken, ist eine Demutsübung.
Nervige Menschen sind eine Demutsübung
Das geht auch außerhalb des Klosters, mit der lästigen Nachbarin oder dem nervenden Schwager. Ein anderer Weg: sich zu fragen, was man von diesem Menschen, den man unsympathisch findet, wohl lernen kann. Die wichtigste Hilfe zur Demut ist für Pater Bernhard aber das Gespräch – vertraute Menschen, die widersprechen und mahnen, auf Fehler hinweisen. Der Pater berichtet von einem Kloster von Ordensschwestern, in dem die Obere jede Schwester einmal im Quartal zum Gespräch bittet und auch ausdrücklich Kritik an ihrem Verhalten einfordert.
Um Demut zu lernen, muss ich in mich gehen, mein Gewissen erforschen, ehrlich sein. Petra Bahr sagt: „Demut hegt den Selbstzweifel ohne Selbstmitleid, als dauerhafte Frage an sich selbst. Wer demütig ist, bleibt mit sich selbst unzufrieden und ist trotzdem nicht den ganzen Tag mit sich beschäftigt.“ Pater Bernhard mahnt zur Sensibilität: „Dicke Haut ist das Schlechteste für Demut, denn die schützt vor der Wahrheit.“
Ulrich Waschki