Anfrage
Wann war die Darstellung im Tempel?
Wie ist es möglich, dass nach der Geburt in Betlehem, der Anbetung der drei Weisen und der Flucht nach Ägypten die Heilige Familie bereits nach vier Wochen in Jerusalem ist, um Jesus im Tempel darzustellen? Josef Staufenbeil, Beilrode; Ursula Schnober, Syke
Gleich zwei Lesern sind rund um das Fest „Darstellung des Herrn“ die zeitlichen Widersprüche aufgefallen. Sie sind ein Beispiel dafür, dass die Bibel Widersprüche nicht interessieren. Matthäus erzählt von der Flucht nach Ägypten, Lukas erzählt von der Darstellung im Tempel; beides passt nicht zusammen – egal! Beide Geschichten stehen in der Bibel, weil den Menschen damals klar war, dass es in den Evangelien nicht um historische Tatsachenberichte, sondern um Heilsgeschichte geht.
Beginnen wir bei Lukas. Maria und Josef haben als gottesfürchtige Juden wahrscheinlich alles getan, was das Gesetz vorschreibt. Allerdings wirft Lukas hier einiges durcheinander. Denn zwar gibt es eine Regel zur Beschneidung von Jungen am achten Tag (Levitikus 12,3) und auch eine Regel zur kultischen Reiningung der Mutter weitere 33 Tage später (also nach 40 Tagen). Keineswegs gibt es aber eine Gesetzesvorschrift zur Darbringung eines Erstgeborenen im Tempel. Das Opfer dient ausschließlich zur kultischen Reinigung der Mutter nach der Geburt. (Levitikus 12,6). Das Baby muss nur aus praktischen Gründen mit.
Diese Ungenauigkeit ist Lukas egal. Er ist Heidenchrist, die jüdischen Details interessieren ihn wenig. Die Sinnspitze der Geschichte ist nicht der Ritus, sondern die prophetische Rede von Simeon und Hanna: „Ein Licht, das die Heiden erleuchtet!“
Matthäus, der Judenchrist, verfolgt ganz andere Ziele. Er will Juden davon überzeugen, dass Jesus der von den Propheten verkündete Messias ist. Deshalb kommen die Weisen: Sie bestätigen Psalm 72,10–11 und Jesaja 60,6. Der Kindermord erfüllt Jeremia 31,15; und die Flucht nach Ägypten gründet sich auf Hosea 11,1: „Aus Ägypten habe ich meinen Sohn gerufen.“ Verlässliche historische Quellen gibt es für all das nicht.
Historisch gesichert ist hingegen, dass Herodes im Jahr 4 vor Christus starb – weshalb das Jahr 0 eine Fehlberechnung und eine Kindheit Jesu in Ägypten noch unwahrscheinlicher ist.
Susanne Haverkamp