Schlafplätze für Wohnungslose

"Warme Platte" im Pfarrhaus

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Ihre Immobilien möchte die Pfarrei Christus König in Osnabrück sinnvoll nutzen. Im leerstehenden Pfarrhaus St. Franziskus bietet sie derzeit Schlafplätze für Wohnungslose an. Ein Projekt mit Mehrwert für beide Seiten.


Ein kurzer Plausch auf dem Sofa: Ehrenamtliche wie Rita Lühker kommen mit Jessica und Tim, die wohnungslos sind, ins Gespräch. Foto: Thomas Osterfeld

Die Stimmung ist herzlich im ehemaligen Wohnzimmer des Pfarrhauses von St. Franziskus in Osnabrück. Ein Sofa mit Sessel und Tisch, eine Schrankwand, eine Ecke für den Hund, zwei Betten im Raum nebenan – mehr brauchen Tim und Jessica nicht, um sich in ihrem neuen Zuhause wohlzufühlen. Das Paar ist wohnungslos, verbrachte das letzte halbe Jahr die Nächte im Freien. Süchte und psychische Erkrankungen machen derzeit ein normales Leben für sie unmöglich. Ein Dach über dem Kopf ist Luxus geworden. 

Und doch hat sich dieser Luxus vorübergehend für sie erfüllt: Seit Dezember schlafen Tim und Jessica im Pfarrhaus, das die Pfarrei Christus König in Zusammenarbeit mit dem Katholischen Verein für soziale Dienste (SKM) spontan für Wohnungslose zur Verfügung gestellt hat. „Warme Platte“ heißt das Projekt und so steht es nun auch an der Klingel des Gebäudes. Dirk Schnieber, Pastoraler Koordinator, erklärt: „Die Pfarrerwohnung steht leer. Wie es mit der Immobilie weitergeht, ist noch nicht geklärt. Wir wollten das Haus aber dennoch vorübergehend sinnvoll nutzen.“ Mit dem Angebot leiste die Pfarrei einen Beitrag, „dass wohnunglose Menschen in dieser dunklen und kalten Jahreszeit nachts ein Dach über dem Kopf haben“.

Erster Kontakt zu einer Kirchengemeinde

Ein Helferkreis wurde schnell gefunden, Restmöbel waren vorhanden, Spender brachten weitere Betten und Matrazen. Täglich um 17 Uhr schließen nun acht Ehrenamtliche im Wechsel Wohnungslosen die Haustür auf, lassen die neuen Bewohner herein, schauen nach dem Rechten. Neben Tim und Jessica übernachtet derzeit noch eine weitere Frau im Obergeschoss der Wohnung. 

Auch Rita Lühker ist Mitglied im Helferkreis. Zu Tim und Jessica hat sie sofort einen unkomplizierten Kontakt entwickelt. Heute nimmt sie sich etwas Zeit, setzt sich zu ihnen aufs Sofa, plaudert ein wenig. „Natürlich kommt man in Kontakt miteinander. Es ist wirklich aufschlussreich, andere Lebenssituationen kennenzulernen. Da kommt man schon ins Nachdenken über Schicksale und darüber, wie gut es einem geht“, erzählt die pensionierte Lehrerin und betont: „Ich bin froh über diesen neuen Kontakt.“ Und auch Tim ergänzt: „Das ist mein erster Kontakt mit einer Gemeinde. Ich bin sehr positiv überrascht. Mit so viel Hilfe von der Kirche habe ich gar nicht gerechnet.“

Vermittelt werden die Plätze im Pfarrhaus vom Katholischen Verein für soziale Dienste (SKM), der in Osnabrück  vielfältige ambulante und stationäre Hilfen für aktuell und ehemals wohnungslose Menschen anbietet. Ehrenamtlich kümmern sich die Mitarbeiter mit dem Projekt „warme Platte“ auch um Schlafplätze im Winter. Seit 20 Jahren sind sie mit dieser Hilfe am Start. „Dass eine Gemeinde von sich aus auf uns zukommt und Räume anbietet, ist schon außergewöhnlich“, sagt Heinz-Hermann Flint, Fachbereitsleiter Wohnungslosenhilfe beim SKM Osnabrück. Neben dem Pfarrhaus ist in diesem Winter der Vorraum der Herz-Jesu-Kirche für Übernachtungen geöffnet, darüber hinaus stellt die Stadt Sammelunterkünfte zur Verfügung. Eine zweite „warme Platte“ hat er mit den Evangelischen Stiftungen organisiert. Sie sei mit sieben Männern voll, so dass das Angebot in St. Franziskus sehr passend kam, erklärt Flint. Es stehe Paaren und alleinstehenden Frauen zur Verfügung.

Optimales Gebäude mit vielen Zimmern

Dass der Bedarf an Übernachtungen jedoch viel größer ist, zeigen die Zahlen. Allein Flint weiß von etwa 75 Menschen in Osnabrück, die derzeit auch in kalten Nächten lieber in Tiefgaragen oder Abbruchhäusern schlafen als in „Mehrbettzimmern ohne Privatsphäre“, so Flint. „Die Menschen sind oft psychisch krank oder suchtkrank, ein Einzelzimmer für jeden wäre ideal“, betont er auch in Gesprächen mit der Stadt. 

Das Pfarrhaus ist für ihn daher das „optimale Gebäude“: Es bietet viele Zimmer, eine Küche, mehrere Bäder. Das Helferteam lobt er ausdrücklich: „Sie erleichtern uns die Arbeit sehr, indem sie den Zugang zum Haus übernehmen. Wir begleiten sie, sind in Rufbereitschaft erreichbar, wenn es Fragen oder Probleme gibt.“ Überhaupt sei das Projekt eine „Win-win-Situation“ für beide Seiten: „Viele Menschen haben keine Berührung mit Wohnungslosen und unsere Leute haben nicht oft die Möglichkeit, sich mit ganz normalen Menschen zu unterhalten.“ Das bestätigt Pfarrsekretärin Monika Ruschmeier, die ihr Büro im Pfarrhaus hat und zum Helferteam gehört: „Man wird dankbar für die normalen Dinge: Ich koche mir einen Tee, ich habe warmes Wasser und ein Bett. Das ist Luxus.“ 

Morgens um 9 Uhr müssen die Wohnungslosen das Gebäude wieder verlassen. Auch dann kommt jemand vom netten Schlüsseldienst. Heinz-Hermann Flint weiß: „Da schlagen dann natürlich zwei Herzen in einer Brust. Es wäre einerseits top, wenn die Gäste auch tagsüber drinbleiben könnten.“ Aber andererseits sei es wichtig, die Ehrenamtlichen nicht zu stark zu belasten und die Wohnungslosen in die Pflicht zu nehmen. Er betont: „Es soll eine Notübernachtung sein und es ist ein Baustein auf dem Weg hin zu einem normalen Leben.“

Astrid Fleute