Anfrage
Warum übersetzt man "ite missa est" so frei?
Warum wird aus dem lateinischen Satz im römischen Messbuch „Ite missa est“ in der Übersetzung: „Gehet hin in Frieden“? Ist das nicht falsch? K. H. S., Wien
Tja, irgendwie schon. Zumal die römische Instruktion „Liturgiam authenticam“ aus dem Jahr 2001 eine nahezu wortwörtliche Übersetzung liturgischer Texte aus dem Lateinischen verlangt – was zu großen Problemen geführt hat, aber das ist ein anderes Thema.
Tatsächlich ist der Entlassungsruf „Ite missa est“ seit der Antike bekannt. Ganz unspektakulär bedeutet er: „Geht, es ist Entlassung“ (vom lateinischen dimissio). So alt und prägend ist der Ruf, dass unser Wort „Messe“ dieser traditionellen lateinischen Formulierung entlehnt ist.
Da der Entlassungsruf stets mit dem Segen verbunden ist, kam es später zu einer Bedeutungsverschiebung: Man verstand ihn zunehmend als Sendungsauftrag der Gemeinde. Angelehnt an missio (Sendung) des mittelalterlichen Lateins, übersetzte man ihn gelegentlich mit: „Geht, eure Sendung beginnt“ oder: „Geht, ihr seid gesendet.“ Auch das wäre aber schon keine wörtliche Übersetzung, sondern eine Interpretation.
Wie eben auch die Formulierung „Gehet hin in Frieden“ eine Interpretation ist, die sich übrigens in vielen Sprachen wiederfindet. So sagt man in Italien „Andate in pace“ und auf Englisch heißt es „Go in peace“.
Warum hat man nach dem Zweiten Vatikanischen Konzil, als der neue römische Ritus übersetzt wurde, so entschieden? Einerseits wohl deshalb, weil die wörtliche Übersetzung „Geht, es ist Entlassung“ zu banal klingt. Andererseits, weil die Formulierung „Geh in Frieden“ eine biblische ist. Schon Mose wird von seinem Schwiegervater Jitro so verabschiedet (Exodus 4,18); Jesus sagt es mehrfach, etwa nach der Heilung der blutflüssigen Frau (Lukas 8,48), und im Jakobusbrief steht die Formulierung wohl sogar im Zusammenhang mit der frühen christlichen Liturgie (Jakobus 2,16).
Insofern: Ja, die Formulierung ist keine wörtliche Übersetzung, sondern eine freie Übertragung. Aber mit guten Gründen – und deshalb nicht falsch.
Susanne Haverkamp