Anfrage zu Vergebung

Was braucht es, damit Gott vergibt?

Angenommen, ich vergebe jemandem, der kein Schuldbewusstsein hat. Vergibt dann auch Gott? Braucht es unbedingt die Einsicht in die eigene Schuld und Umkehr, damit Gott vergibt? Christoph Platen, per E-Mail

Grundsätzlich gilt: Für Gott ist nichts unmöglich. Wenn wir immer wüssten, wie Gott ist, hätten wir ihn durchschaut, im Griff – und wir wären größer als er. Aber das widerspricht der Vorstellung von Gott. Deshalb dürfen wir hoffen: dass Gott in seiner Barmherzigkeit selbst dort vergibt, wo unser menschliches Herz zur Vergebung zu eng bleibt. Und dass er von sich aus dort die Vergebung nicht verweigert, wo die Betroffenen untereinander sich schon vergeben haben. 

Aber: Wenn Gott auch ohne Einsicht sozusagen automatisch vergeben würde, wäre das nicht ein Freibrief für alle Missbrauchstäter, Mörder und alle, die sich ohne Reue versündigen? Schauen wir auf die kirchliche Lehre: Ihr zufolge sind Schuld und Vergebung nicht nur eine Tat, sondern immer auch ein Beziehungsgeschehen, und zwar eines, das zwischen Gott und Menschen, zwischen den Menschen untereinander und der kirchlichen Gemeinschaft stattfindet. In diesem Dreieck bewegt sich die sakramentale Sündenvergebung. Und hier gilt: Gottes Vergebung wird dem durch die Kirche zugesprochen, der in Umkehr und Reue seine Schuld bekennt. Dies schließt die Buße und Wiedergutmachung auf menschlicher Ebene mit ein – wo immer dies möglich ist. So können das Kirchenrecht und der Katechismus Bedingungen für die (sakramentale) Vergebung der Sünden formulieren, etwa die Gewissenserforschung, die Reue, das Bekenntnis und die Genugtuung – auch weil das für die kirchliche Gemeinschaft von Bedeutung ist.

Eine Verpflichtung Gottes, ausschließlich nach diesen Maßstäben zu vergeben, gibt es aber nicht. Er ist größer als unser Herz (1. Johannesbrief, 3,20). Die biblischen Zeugnisse von Umkehr, Barmherzigkeit und Vergebung sind die Grundlage für die menschliche Hoffnung auf großherzige Vergebung durch Gott; aber ebenso gilt auch der österliche Auftrag Jesu an die Jünger: „Denen ihr die Sünden erlasst, denen sind sie erlassen; denen ihr sie behaltet, sind sie behalten.“ (Johannes 20,23)

Michael Kinnen