Interview

Was dürfen wir im Advent erwarten?

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In Nahaufnahme zündet eine Hand eine Kerze an
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istockphoto/NRuedisueli

 

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Eine Kerze für die Stille – gerade der Advent bietet dafür viele Möglichkeiten.

Im Advent bereiten wir uns auf Weihnachten vor. Was erwarten wir da eigentlich, wo Jesus Christus doch längst geboren ist? Fragen an eine evangelisch-reformierte Pastorin.

Frau Landwehr-Wegner, wie ist das mit den Erwartungen in der Zeit vor Weihnachten?

Der Advent ist für viele eine Zeit der außerordentlich großen Erwartungen. Das geht vom Kind bis zum Erwachsenen, von der Wirtschaft bis zum Sozialverein – da erwartet jeder etwas anderes, aber jeder erwartet ganz viel. Kinder warten auf das schöne Weihnachtsfest, auf den Weihnachtsmann oder das Christkind. Jugendliche warten vielleicht auf Ferien und Ausruhen, Erwachsene erwarten eine angenehme Familienfeier in harmonischer Stimmung. Alle zusammen erwarten natürlich Geschenke, die überraschend sind. Und dann ist da die Wirtschaft, die höhere Umsätze im Weihnachtsgeschäft erwartet, schließlich viele Vereine, Gruppen und nicht zuletzt auch die Kirchen, die in der Vorweihnachtszeit viele Spenden erwarten.

Das ist viel.

Richtig, oft eben zu viel. Das führt bei vielen Menschen unweigerlich zu Hektik, zu Zeitknappheit und schließlich zu Frustrationen. Jede und jeder wünscht sich eine besinnliche Adventszeit und ist dann traurig, wenn das doch nicht klappt und genau das Gegenteil passiert. Erwartungen werden enttäuscht, weil es oft eben nicht genau so kommt, wie ich mir das gedacht habe. Diese Spannung aushalten zu müssen, kann sehr anstrengend sein.

Was tun?

Jeder sollte meiner Meinung nach die Erwartungen an das Fest und alles, was für viele so dazugehören muss, herunterschrauben. Wenn man weniger Erwartungen erfüllen muss – die von anderen und natürlich auch eigene, kann das sehr entlastend sein und es wird vielleicht wirklich eine etwas andere oder sogar ruhigere Zeit, wie wir sie uns ja alle wünschen. 

Also ist damit auch der fröhliche Besuch auf dem Weihnachtsmarkt gestrichen? 

(lacht) Der ist natürlich trotzdem möglich. Bei allem geht es um die Häufigkeit. Wenn ich jeden Tag auf dem Weihnachtsmarkt bin, wird es kaum ruhiger in mir. Für mich selbst versuche ich zum Beispiel, mir regelmäßig eine Zeit zu nehmen, in der ich nicht den Terminkalender im Blick habe, an die nächsten Vorbereitungen für den Advent und Weihnachten denke, keine Erwartungen erfüllen muss, sondern zur Ruhe komme. Das können täglich ein paar Minuten sein, das kann einmal in der Woche der Moment sein, an dem ich bewusst etwas Besonderes mache – an jedem Adventssonntag oder einfach an einem bestimmten Wochentag, wenn das besser in den Alltag passt. 

Was tun Sie?

Ich zünde mir gern täglich eine Kerze an, mache mir Kaffee oder Tee, nehme einen besinnlichen Text zur Hand, den ich lese und über den ich nachdenke. Bei mir ist das „Der andere Advent“, es gibt aber auch viele andere meditative Adventsbegleiter. Außerdem blocke ich Zeiten, um mit meiner Familie und Freunden zusammen zu sein, denn als Pastorin habe ich im Advent natürlich gerade viel zu tun. Dann genieße ich das Plätzchen-Backen, den Besuch eines ausgewählten Weihnachtsmarktes, den mein Mann und ich noch nicht kennen oder ein schönes Abendessen im Freundeskreis. Ich gehe auch gern in den Gottesdienst und freue mich daran, die Adventslieder zu singen.

Was ist für Sie das Besondere daran, wo sie doch selbst so viele Gottesdienste für andere gestalten? 

Für mich heißt das : Ich wechsle bewusst die Perspektive, mir wird die Frohe Botschaft zugesprochen, die ich sonst immer den anderen verkündige. Das macht viel aus, einen Impuls von außen, von jemand anderem zu bekommen. So war das wohl schon immer, besonders bei der Weihnachtsbotschaft – nicht umsonst verkündigen die Engel den Hirten die große Freude. Auch da braucht es die Anrede, das Angesprochenwerden, das die Freude auslöst. Ostern ist das genauso. 

Advent heißt auch Ankunft. Wir erwarten also nicht in erster Hinsicht Geschenke und gute Stimmung, sondern das Kommen Jesu Christi.

Das ist paradox: Wir erwarten etwas, das schon längst passiert ist. Jesus Christus ist vor mehr als 2000 Jahren geboren, und daran wollen wir uns erinnern. Aber sein Kommen und seine Botschaft sind ja heute genauso aktuell und wichtig wie damals. Der Friede, der in die unfriedliche Welt hineingeboren wird, eine Botschaft, die auch in unsere Herzen eindringen will. Wir sehnen uns ja nach nichts mehr als Frieden in uns, mit anderen Menschen und für die ganze Welt.

Das ist eine wirklich große Erwartung, dass es Friede wird. Wäre es nicht besser, nicht zu viel zu erwarten?

Das glaube ich nicht. Denn darum geht es doch Weihnachten wirklich, um eine ganz große Erwartung, die ganz klein in jedes einzelne Herz einzieht und dort etwas bewirkt und Menschen zum Nachdenken und sogar Handeln bringt. Wenn ich eben gesagt habe, dass wir die Erwartungen an Weihnachten herunterschrauben sollten, würde ich sie in diesem Sinne gerade wieder hochschrauben: Ich erwarte, dass Jesus Christus auch heute noch kommt zu jedem, der ihn bereit ist zu empfangen. Das ist für mich eine immer neu ausstehende Erwartung. Und dafür braucht es eine grundsätzliche Offenheit und tatsächliche Erwartungshaltung, die weit über das Fest hinausgeht.

Was bedeutet das?

Ein kluger Theologe hat einmal gesagt: Es ist jeden Tag Weihnachten und jeden Tag Ostern. Das mag komisch klingen, denn wir können ja nicht das ganze Jahr Weihnachten feiern mit all den für uns so liebgewonnenen Bräuchen. Das würde sich auch schnell abnutzen. Wohl aber können wir Weihnachten und Gottes neugeborenen Frieden, den er uns in dem Kind zeigt, in unseren Herzen mitnehmen in ein neues Jahr, in eine schwierige Lebenssituation, in die furchtbaren Kriege dieser Welt. Ich bin sicher, wenn das viele täten, würde sich viel verändern. Deshalb kann man das wohl berühmteste Adventslied der Kirche „Macht hoch, die Tür …“ gar nicht oft genug singen, wo es in der fünften Strophe so passend heißt: „Mein’s Herzens Tür dir offen ist.“ Das wünsche ich uns allen für den Advent – offene Herzenstüren. 

Interview: Matthias Petersen