40 Tage in der Wüste

Was hilft gegen die Versuchung?

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„Jesus blieb vierzig Tage in der Wüste und wurde vom Satan in Versuchung geführt“, erzählt das Evangelium des ersten Fastensonntags. Ordensmann Andreas Knapp will es Jesus nachtun: vierzig Tage in der Wüste bleiben.

Ein Baum steht in einer Wüste.
„Du stehst nicht mehr im Mittelpunkt, die Wüste beachtet dich nicht“, sagt Bruder Andreas Knapp.

Von Andreas Kaiser

Das Tier, das ihm in der algerischen Sahara in den kommenden Wochen immer wieder mal gefährlich nahekommen wird, ist die Hornviper, eine Giftschlange, die mit ihren Schuppendornen hinter den Augen aussieht wie der Leibhaftige. Zufall? Eher nicht. Wie kein anderes Wesen steht die Schlange für Versuchung. Zudem lauert die Hornviper gerne im Versteckten. Und aus einem ähnlichen Grund ist Bruder Andreas schon mehrmals in die Wüste gegangen: um in einer Art „Entziehungskur von allen Gewohnheiten“ zu schauen, was da im Unbewussten schlummert, welche Kräfte dort wirken. „Und um mich am Ende von den vielen Stimmen zu lösen, die mich innerlich antreiben und etwas von mir wollen.“ Denn im grellen Licht der Wüste, so hat Knapp es beobachtet, wird alles ins rechte Licht gerückt. „Du stehst nicht mehr im Mittelpunkt, die Wüste beachtet dich nicht.“

Im „Lärm des Alltags“ dagegen, in der medialen Dauerberieselung durch Smartphones und Fernsehen, könne man die Stimme Gottes in sich selbst schon mal überhören. Auch Beziehungen wachsen nach Ansicht von Knapp in der Stille. „Nur wer schweigen kann, vermag auch gut zuzuhören“, sagt er. Allerdings werden, wo alle üblichen Ablenkungen fehlen, unweigerlich auch die Versuchungen offenbar. „In uns allen gibt es Tendenzen, die negativ sind“, sagt Knapp. „Zum Beispiel eine gewisse Boshaftigkeit, negative Fantasien, wenn ich einem anderen, der mir vielleicht geschadet hat, plötzlich etwas Schlechtes an den Hals wünsche.“ 

Der Orden der Kleinen Brüder Jesu, dem Knapp angehört, wurde von dem französischen Priester René Voillaume in der Sahara gegründet. Am Ende des Noviziats ziehen sich alle Brüder zur Klärung ihrer Berufung für 40 Tage in die Einsamkeit zurück. Zudem verpflichten sich die weltweit rund 200 Kleinen Brüder zu einer Stunde Stille am Tag sowie zu einer einwöchigen Einkehrzeit pro Jahr. 

„Jeder hat so seine eigenen Teufel“ 

Andreas Knapp, der zusammen mit drei Brüdern in einem Leipziger Plattenbau lebt, zieht sich zudem einmal im Monat für zwei, drei Tage in eine einsame Waldhütte zurück. Auch in der Wüste war er schon ein paar Mal. Über seine spirituellen Erfahrungen in den Sanddünen von Baba-aida hat er das Buch „Lebensspuren im Sand“ geschrieben. 

Die ersten Versuchungen, die in der Wüste oder auch bei kürzeren Einkehrzeiten auftauchen, sind eher kleinere. „Die Lust auf Bequemlichkeit, eine Dusche oder eine tolle Mahlzeit vielleicht. Oder nach einem Telefon, dem gewohnten Internetanschluss. Eben Ablenkung.“ Doch je mehr die Wüste im eigenen Inneren Raum greift, umso deutlicher werden schließlich die großen Lebensthemen sichtbar, hat Bruder Andreas erlebt. 

Als Urversuchung bezeichnet der Theologe die Maßlosigkeit. Ihm habe sich in der Wüste schon bald die Frage gestellt: „Warum jage ich in meinem Leben immer so?“ Und weiter: „Kaum ein Mensch ist zufrieden mit dem, was da ist. Es muss immer mehr sein. Viele sehnen sich nach Erfolg, mehr Anerkennung.“ Ein größeres Auto, eine bessere Wohnung, ein höheres Gehalt. „Oder sie sind neidisch auf ihre Nachbarn. Jeder hat so seinen eigenen Teufel“, sagt Knapp und lacht.

Um sich selbst in Einkehrzeiten, wenn gute Gesprächspartner fehlen, besser auf die Schliche zu kommen, sei es wichtig, „die Geister zu unterscheiden, die eigenen Stimmen einzuordnen“. Dazu könne man sich selbst ein paar Fragen stellen: „Woher kommt der Gedanke da gerade? Wohin will er mich führen? Was sind die langfristigen Folgen, wenn ich diesem Gedanken folge? Und natürlich: Was würde Jesus, was würde Gott mir jetzt raten?“

„Eine Viertelstunde Stille kann helfen“

Als Seelsorger hat Andreas Knapp beobachtet, dass etliche Menschen in ihren Träumen leben – oder in der Vergangenheit. „Einige können alte Kränkungen nicht loslassen.“ Die Bitterkeit sei so gesehen auch eine Versuchung, die einen Menschen daran hindern kann, das eigene Leben anzunehmen. Die Wüste dagegen schaffe „Abstand zu dem, was mich sonst so bedrängt“. 

Da aber viele Menschen, anders als manche Ordensleute, kaum Zeit für längere Einkehrzeiten haben, rät Knapp, sich zumindest gelegentlich kleine Auszeiten zu nehmen. „Schon eine Viertelstunde Stille am Tag kann helfen, wieder klarer zu sehen. Oder ein Spaziergang. Sich einfach mal ans offene Fenster stellen. Bewusst atmen, Gott danken.“ 

Bei Andreas Knapp haben die Aufenthalte in der Wüste, vielleicht ähnlich wie das bei Jesus Christus der Fall war, Klarheit geschaffen. „Den eingeschlagenen Weg entschlossen weiterzugehen“, wie er sagt. Der Priester entschied sich für ein einfaches Leben, an der Seite einfacher Menschen. Seit etlichen Jahren steht Knapp in Leipzig Geflüchteten und Haftinsassen zur Seite.