Der Mord an Fritz Gerlich
Was Hitler zum Toben brachte
Foto: Archiv des Erzbistums München und Freising
Auch 1933 gehen in Bayern die Uhren ein bisschen anders. Hier kommen die Nationalsozialisten erst etwas später an die Macht als im übrigen Reich. Das Kabinett von Ministerpräsident Heinrich Held versucht das neue Regime juristisch auszubremsen, überlegt sogar, die Monarchie in Bayern wiederherzustellen.
Am 9. März 1933 brechen Hitlers Gefolgsleute jedoch den letzten offiziellen Widerstand. Immerhin hätte sich Fritz Gerlich bis dahin unbehelligt ins Ausland absetzen können. Und sogar noch jetzt steht das Fluchtauto in die Schweiz bereit. Doch der Herausgeber und Chefredakteur der Wochenzeitung „Der gerade Weg“ bleibt an seinem Schreibtisch in München sitzen.
Den konvertierten Katholiken Fritz Gerlich zählt die NSDAP zu ihren Todfeinden. Der „Führer“ soll getobt haben, wenn er Gerlichs scharfe und durch zuverlässige Quellen gedeckten Angriffe vorgelegt bekam. Kaum jemand warnte so hellsichtig und schonungslos vor der heraufziehenden politischen und moralischen Katastrophe. Die Ermordung der Juden, den Zweiten Weltkrieg und die Verwüstung Europas durch die Nationalsozialisten sah Gerlich seit den 1920er Jahren voraus.
Heute erinnern zwei große Gedenktafeln an der Hofstatt in München an ihn. Dort, wo früher ein großer Zeitungskomplex stand, in dem auch „Der gerade Weg“ seine Büros hatte. Umrankt von Weinlaub hängen sie an der Wand zu einer Tiefgaragenabfahrt.
Der 84-jährige Tilmann Steiner bleibt oft vor diesen Tafeln stehen. Sein Vater Johannes war Geschäftsführer des Verlags „Der gerade Weg“ und damit einer der engsten Mitarbeiter Gerlichs. „Mein Vater hatte größte Hochachtung vor dessen Entscheidung, das Land nicht zu verlassen, denn sonst hätte sich die aufmarschierende SA an die Belegschaft gehalten“, sagt Steiner.
Die ganze Wut der Schlägertruppe
Zeitzeugenberichte schildern, wie die Männer in den braunen Uniformen die Redaktion mit den Worten stürmten: „Wo ist der Gerlich, die Sau?“ Als sie ihn fanden, misshandelten sie ihn schwer. Tilmann Steiners Vater wischte Gerlich das Blut aus dem Gesicht. „Das Tuch war lange in unserem Besitz, es ist das einzige körperliche Zeugnis, das von ihm übriggeblieben ist.“ Aus Respekt hätten die Steiners das Stück Stoff aufbewahrt und aus einer Ahnung, dass es einmal eine Reliquie werden könnte. Vor einigen Jahren haben sie es der Erzdiözese München und Freising übergeben.
Der 9. März 1933 war jedoch erst der Anfang des Leidensweges. Zusammen mit anderen kam Gerlich zunächst ins Polizeipräsidium an der Münchner Ettstraße. Wie er erhofft hatte, wurden seine Mitarbeiter nach Hause geschickt. Über ihn entlud sich aber die ganze Wut der Schlägertruppe. Ein SA-Mann soll ihm auf den Händen herumgetrampelt sein, damit er nicht mehr gegen die braune Bewegung anschreiben konnte.
Ein paar Wochen danach schlugen ihn seine Peiniger erneut bis aufs Blut und wollten ihn anschließend zum Selbstmord zwingen. Gerlich verweigerte das, sank auf die Knie und betete. Offenbar beeindruckte das sogar die Schergen und sie ließen von ihm ab.
Die Beseitigung innerparteilicher Gegner beim sogenannten Röhmputsch nutzten Hitler und seine Gefolgsleute schließlich, um sich Gerlichs und anderer Oppositioneller zu entledigen. Sie ließen ihn in der Nacht vom 30. Juni auf den 1. Juli 1934 ins KZ Dachau bringen und erschießen. Den Leichnam äscherten sie zusammen mit anderen Toten ein.
Was alles änderte
Eine Begegnung mit der ebenso berühmten wie umstrittenen Therese Neumann, der Resl von Konnersreuth, hatte Gerlichs Leben umgekrempelt. Die Bauernmagd war mit ihren Visionen, ihren Stigmata, die an Karfreitagen heftig bluteten, schon damals ein Medienphänomen. Gerlich, damals noch Chefredakteur der „Münchner Neuesten Nachrichten“ war nach Konnersreuth gefahren, wild entschlossen, sie als Betrügerin zu entlarven. Doch er kam bekehrt zurück. Die Mystikerin begleitete ihn während seiner letzten Jahre. Sie bestärkte ihn, gegen die antichristliche Politik der NS-Bewegung bis hin zum Märtyrertum zu kämpfen.
Dabei war der Journalist keinesfalls ein Tugendbold: Der arbeitssüchtige Gerlich war jähzornig, soll sogar einmal ein Bierglas nach einem Kollegen geworfen haben, trank selbst oft zu viel und lebte zeitweise von seiner Frau getrennt. Dennoch hat das Erzbistum München und Freising 2017 ein Seligsprechungsverfahren für ihn eingeleitet.
Tilmann Steiner hofft, dass er die Seligsprechung Gerlichs noch erlebt. Für gerechtfertigt hält er sie in jedem Fall: „Er ist ein Vorbild als unabhängiger katholischer Journalist, der persönliche Verantwortung wahrgenommen hat“, sagt er. Sein Glaube und sein Gewissen hätten Gerlich „geradezu genötigt“, sich gegen eine menschenverachtende Ideologie zu stellen.
Steiner, der selbst viele Jahre als Fernsehjournalist und Hochschullehrer für Publizistik gearbeitet hat, bleibt vor der Gedenktafel an der Hofstatt stehen. Dann zupft er energisch etwas von dem Weinlaub ab, das die Gedenktafeln für Fritz Gerlich immer wieder zu überwuchern droht.
Zur Person: Fritz Gerlich wurde 1883 in Stettin geboren, wuchs in einem calvinistischen Elternhaus auf und kam 1903 zum Studium nach München. Im Zuge der Röhm-Affäre wurde er 1934 in Dachau erschossen.