Interreligiöses Kunstgespräch

Was macht die Uhr im Bild?

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Bei einem interreligiösen Kunstgespräch im Diözesanmuseum sprachen Religionsvertreter darüber, was ihnen Gotteshäuser bedeuten – ausgehend von einem Gemälde des Osnabrücker Doms aus dem 19. Jahrhundert.


Ein Gemälde des Osnabrücker Doms aus dem 19. Jahrhundert war Ausgangspunkt für das erste interreligiöse Kunstgespräch. Der Künstler ist unbekannt. Foto: Thomas Osterfeld

Das Bild, um das es geht, hängt im letzten Raum des Osnabrücker Diözesanmuseums. Dort werden Werke aus der jüngsten Vergangenheit des Bistums gezeigt. Mit der „jüngsten Vergangenheit“ ist in diesem Fall das 19. Jahrhundert gemeint. Das Gemälde im Biedermeierstil zeigt eine Vorderansicht des Doms, der von der Abendsonne angestrahlt wird. Wie es entstanden ist und wer es gemalt hat, ist nicht bekannt. Sein eigentlicher Clou verbirgt sich aber im Hintergrund: Zwischen den beiden Türmen des Doms ist eine Uhr zu sehen – und erst beim genauen Hinschauen erkennt man, dass es sich nicht um eine gemalte, sondern um eine echte Uhr handelt. Das Uhrwerk ist im Rahmen versteckt.

Es steckt also mehr in dem Bild, als man auf den ersten Blick denkt. Deswegen eignet sich das Gemälde auch als Ausgangspunkt für das erste interreligiöse Kunstgespräch anlässlich des 100-jährigen Jubiläums des Diözesanmuseums. Was löst dieses Gemälde in uns aus? Was sind die Gemeinsamkeiten und Unterschiede zwischen den Religionen – und wie kann man sie an dem Bild ableiten? Darüber wollen Referenten jüdischen, muslimischen und christlichen Glaubens miteinander diskutieren. „Für mich hat das Bild etwas Sonntägliches“, meint Frank Buskotte von der KEB Osnabrück. Das macht er daran fest, dass die wenigen Leute, die vor dem Dom unterwegs sind, bürgerlich gekleidet sind.

„Es wirkt auf mich wie heile Welt“, findet auch Ruth de Vries von der jüdischen Gemeinde Osnabrück. Das Bild enthält für sie außerdem einen geschichtlichen Aspekt – schließlich sei der Dom das älteste Gebäude Osnabrücks. In der Zeit, in der er gebaut wurde, seien auch die ersten Juden nach Deutschland gekommen. Ein Besucher des Kunstgesprächs wagt daraufhin eine eigene Interpretation des Gemäldes: „Die Uhr steht im Zentrum, der Dom wirkt darum herumgemalt – vielleicht geht es um Kirche in Zeit und Raum.“ Wenn man das Bild betrachtet, spiele Zeit sicherlich eine Rolle, erklärt Museumspäda­gogin Jessica Löscher. Schließlich sehe der Dom heute anders aus als im 19. Jahrhundert. Damals waren die beiden Turmhelme noch unterschiedlich groß und im Barockstil gebaut. Im Zweiten Weltkrieg wurden die Türme bei Bombenangriffen zerstört und durch die heutige Variante ersetzt.

Kirche – Ort, um Gott zu begegnen, oder Museum?

Noch etwas fällt den Besuchern auf, als sie sich das Bild genauer ansehen: Die Stadt Osnabrück wurde um den Dom herumgebaut. „Das ist ein zentraler Gegensatz zu den ‚Hinterhofmoscheen‘, die in Deutschland verbreitet sind“, erklärt Kathrin Klausing vom Institut für Islamische Theologie der Universität Osnabrück. Dass viele Moscheen in Deutschland zweckmäßig wirkten, läge daran, dass die Gastarbeiter, die in den 1970er Jahren hierhergekommen sind, zunächst ihrer Geschichte und ihrer Kultur einen Raum hatten geben wollen. „Sie hatten allerdings nicht vor, hier auf Dauer sesshaft zu werden“, ergänzt Klausing.

Seitdem der Islam in Deutschland zunehmend beheimatet ist, habe sich das geändert: „Zentralität ist inzwischen sehr wichtig und es gibt immer mehr repräsentative Moscheen.“ Aber nicht nur die Funktion von Moscheen, sondern auch die Funktion von Kirchen habe sich verändert, meint Frank Buskotte. Für die einen sei Kirche ein Ort, um Gott zu begegnen –  für andere ein Museum. Doch ob man nun eine Verbindung „nach oben“ suche oder von den architektonischen Leistungen beeindruckt sei: Kirche schaffe es, dass man in sie hineinschauen und ihre Wirkung aufsaugen wolle. „Jeder fühlt sich sofort anders als draußen.“

Dass Menschen Bedürfnisse haben, die mit Gotteshäusern verbunden sind, kann auch Ruth der Vries bestätigen: „Kirchen haben eine Atmosphäre, die Ruhe ausstrahlt und nachdenklich stimmt.“ Die Religionszugehörigkeit spiele dabei keine Rolle. „Der Raum macht etwas mit mir – dieses Gefühl von Spiritualität kann ich nicht genau beschreiben.“

Eine Beziehung zur Religion aufbauen

Spiritualität oder Frömmigkeit: Im 19. Jahrhundert, in dem das Gemälde des Doms entstanden ist, waren diese Begriffe noch viel selbstverständlicher. „Trotzdem gibt es heute viele Menschen, die den Kontakt zur Kirche suchen – selbst wenn sie sich mit der Liturgie nicht mehr richtig auskennen“, weiß Frank Buskotte. Frömmigkeit sei eine individuelle Sache, die auch vor Jugendlichen nicht haltmache, ergänzt Ruth de Vries. Viele junge Menschen kämen in die Synagoge in Osnabrück, um etwas über ihre Wurzeln zu erfahren oder eine Beziehung zu ihrer Religion aufzubauen. Dieser Aspekt ist auch für junge Muslime wichtig: „Das Moscheebild hat sich durch die Flüchtlingskrise geändert“, erklärt Kathrin Klausing. Für Menschen, die in die Fremde gingen, sei die Moschee ein Stück Heimat. „Der Bedarf des Kontakts ist da – sie wollen die Moschee als Teil ihrer Identität beibehalten.“

Dass Gotteshäuser sowohl im Islam, als auch im Judentum und im Christentum eine wichtige Bedeutung haben, steht für die Referenten am Ende des interreligiösen Kunstgesprächs fest. Religiöses Empfinden sei heute aber nicht nur an Gebäude gebunden.

Dass man allein beim Betrachten eines Gemäldes so viele Parallelen ausmachen kann, zeige, wie wichtig es ist, die gemeinsamen Wurzeln immer wieder zu entdecken. Am besten funktioniere das aber nicht im Museum, sondern bei einem gegenseitigen Besuch in der Moschee, der Synagoge oder bei einer Führung durch den Dom.

Sandra Röseler