25 Jahre Malteser-Hospizdienst Twistringen
Weinen ist Stärke
Wenn ein Leben zu Ende geht, wird Franz-Josef Tremmel oft ans Sterbebett gerufen. Er ist Hospizhelfer in Twistringen – für ihn Ehrenamt und Berufung zugleich. Begleitet hat er auch einen seiner besten Freunde. An diesem Samstag feiert der Malteser-Hospizdienst sein 25-jähriges Bestehen?
Das Telefon klingelt gegen ein Uhr nachts. Franz-Josef Tremmel ist sofort hellwach. Mit einem Anruf aus dem Haus seines besten Freundes hat er schon gerechnet. Heinrich sei so unruhig, klagt die Ehefrau, und sie selbst sei auch am Ende ihrer Kräfte. Franz-Josef Tremmel fährt los. Fünf Nächte verbringt er fortan am Sterbebett seines Freundes. Er beruhigt ihn, schweigt mit ihm, erzählt von gemeinsamen Erlebnissen, streichelt seine Hand – und muntert ihn mit humorvollen Worten auf. „Unser Motto war immer: Wir beide sind unschlagbar! Daran habe ich ihn erinnert. Heinrich hat es sogar geschafft, den Daumen hochzuhalten.“
In der fünften Nacht röchelt der Schwerkranke leicht. Ein untrügliches Zeichen. Franz-Josef Tremmel weiß: Jetzt geht es zu Ende. Er bereitet die Familie auf den Abschied vor. Heinrich stirbt in den frühen Morgenstunden. Der Freund schließt ihm die Augen und spricht den Sterbesegen.
Franz-Josef Tremmel ist Hospizhelfer beim Malteser-Hospizdienst in Twistringen, einer Kleinstadt südlich von Bremen. Er begleitet Sterbende. Diese Aufgabe ist für den 67 Jahre alten engagierten Katholiken Ehrenamt und Berufung zugleich. Oft staunen Freunde und Bekannte: „Dass du so etwas kannst ...“ Für ihn ist die Sache klar: „Wenn der liebe Gott mir ein solches Talent gibt, warum soll ich es nicht nutzen?“
Erste Sterbebegleitung aus dem Stegreif
Mit seinem Schwiegervater, sagt Tremmel, habe alles angefangen. Eine Sterbebegleitung aus dem Stegreif. Trotzdem findet er die passenden Worte. „Ich habe ihm von einer Treppe erzählt, die wir beide hochgehen. Ich sagte zu ihm: ,Nur noch eine Stufe, gleich bist du am Ziel!‘ Das hat es ihm leichter gemacht, loszulassen.“
Den Wunsch des Schwiegervaters, ihm die Krankenkommunion zu bringen, kann Tremmel damals noch nicht erfüllen. Erst einige Jahre später lässt er sich zum Kommunionhelfer ausbilden und schließt sich dann der Hospizgruppe in Twistringen an. „Ich dachte mir: Wenn du schon mit den Kranken betest, kannst du ihnen in ihrer letzten Stunde auch die Hand halten.“
Wie vielen Sterbenden er in 15 Jahren schon die Hand gehalten hat, weiß Franz-Josef Tremmel nicht. Er zählt nicht mit, wenn er in Altenheime, Krankenhäuser oder private Häuser gerufen wird. Hospizhelfer kommen mit leeren Händen – und bringen dennoch viele Gaben mit: Sie sind in verzweifelten Familien der Ruhepol, oft eine Stütze und manchmal auch der Prellbock. Sie sind geduldig, hören zu und fangen Ängste auf.
„Einmal kam eine Frau zu mir, die sagte, sie halte es nicht aus, am Sterbebett ihres Vaters zu sitzen. Ob ich das nicht übernehmen könne. Sie schrieb mir alles auf, was ich dem Vater sagen sollte, und ich fuhr zu ihm ins Krankenhaus.“ Tremmel berichtet auch von seinem allerersten Einsatz: Die Witwe des Verstorbenen – das Paar hatte keine Kinder – habe sich auf ihn gestützt wie auf einen Sohn. „Ich bin mit ihr zum Beerdigungsinstitut gegangen, habe mit ihr einen Sarg ausgesucht, die Nachbarn informiert und sogar den Gottesdienst mit vorbereitet.“ Der Hospizdienst ist sein Leben. Dank von Angehörigen und Sterbenden baut ihn auf. „Das kann man nicht in Worte fassen und nicht bezahlen.“
Ihm hilft vor allem ein Kontrastprogramm
Wie geht er mit so viel Leid um? Franz-Josef Tremmel helfen vor allem Kontrastprogramme: Kommt er von einem Sterbenden, setzt er sich aufs Fahrrad, hört seine Lieblingsmusik oder erledigt Einkäufe. „Das Leben kann sich schlagartig ändern, ich erlebe das immer wieder.“ Also gönnt er sich ab und zu mal was, etwa einen Ausflug nach Bremen, um zu schauen, welche Sonderangebote Karstadt bereithält.
Über seinen schwersten Fall spricht er ganz offen: „Ich bin von Herzen dankbar, dass ich meinen Freund Heinrich begleiten durfte.“ Nachdem er am Telefon von dessen Diagnose Bauchspeicheldrüsenkrebs erfuhr, besuchte er den Schwerkranken, so oft es ging. Einmal saß der Freund auf dem Krankenhausbett, mit Schmerzen, quittegelb im Gesicht, und weinte bitterlich: „Wenn unser Herrgott mich doch holen würde ...“ Tremmel nahm seine Hand und versprach: „Ich begleite dich und bringe dich bis vor die Tür.“
Nach dem Tod des Freundes habe es ihm geholfen, sich am offenen Sarg zu verabschieden, sagt er. Zu diesem Schritt ermutigt er auch Angehörige. „Wer das schafft, tut viel für seine eigene Trauerarbeit.“ Tremmel ist auch überzeugt: „Trauer will ausgelebt werden. Wer sie unterdrückt, muss sich nicht wundern, wenn sie sich wehrt und umso heftiger wiederkommt. Weinen ist keine Schwäche, sondern eine Stärke.“
Anja Sabel
Zur Sache
25 ehrenamtliche Hospizhelfer gibt es bislang in Twistringen, 14 in Bassum – alle im Alter von 36 bis 80 Jahren. Weitere Helfer, die in entsprechenden Kursen ausgebildet werden, sind willkommen.
Kontakt: Malteser-Hospizdienst
Steller Straße 2
27239 Twistringen
Telefon 0 42 43/9 70 30 05
Silke Meier-Sudmann, E-Mail: silke.meier-sudmann@malteser.org
Anette Ndiaye, E-Mail: anette.ndiaye@malteser.org
Bürozeiten: dienstags von 9 bis 12 Uhr und donnerstags von 17 bis 19 Uhr
Zum 25-jährigen Bestehen plant der Hospizdienst am Samstag, 19. Oktober, folgendes Programm:
11 Uhr: ökumenischer Gottesdienst in der St.-Anna-Kirche in Twistringen
12 Uhr: Empfang im Pfarrzentrum mit kleinem Imbiss
13 Uhr: Eröffnung der Ausstellungen, „Reiseführer" begleiten zu verschiedenen Stationen (u.a. Schulprojekte, Mitmachaktionen, Info-Stände)
14 Uhr: Kaffee und Kuchen im Pfarrzentrum
17 Uhr: Aufführung des Tanztheaters „Siris Reise oder: Wo ist der Weg zur Ewigkeit?" in St. Anna (Eintritt ist frei, um eine Spende wird gebeten)