Junge Frau schreibt Song über Armut in Deutschland

Wenn das Leben immer kälter wird

Image
Junge Frau mit Kreuzkette
Nachweis

Foto: CTG Studios

Caption

Mehr als nur ein Schmuckstück: Die Kette mit dem kleinen Kreuz trägt Seraphina Feilmeier auch, weil ihr der Glaube an Gott sehr wichtig ist. 

Dieser Song rührt an. Die junge Nordhornerin Seraphina Feilmeier hat ein Lied über die Armut in Deutschland geschrieben – ein starkes musikalisches Statement. Caritas und Diakonie in der Grafschaft Bentheim wollen das Stück mit dem Titel „12,2 Millionen Menschen“ jetzt für ihre Arbeit nutzen.

Seraphina Feilmeier nimmt ihre Gitarre zur Hand, und vom ersten Akkord an werden die Zuhörerinnen und Zuhörer still. Der Inhalt des Vier-Minuten-Stücks macht nachdenklich. Die 21-jährige Nordhornerin erzählt darin von den 12,2 Millionen Menschen, die im eigentlich doch so reichen Deutschland in Armut leben müssen. Von dem jungen Mädchen, dessen Leben „jeden Tag kälter“ wird. Von Familien, die sich zum Monatsende die Frage „Essen oder Strom?“ stellen. Von „Menschen, die ohne Hoffnung in die Zukunft schauen, weil das Geld nicht reicht, um sich etwas aufzubauen“. Gleichermaßen gefühlvoll wie deutlich beschreibt sie Situationen, die wir allzu oft übersehen. „Armut fällt nicht immer gleich auf“, sagt Seraphina Feilmeier. „Aber jeder Fünfte ist betroffen, echt krass.“

Sowohl der Inhalt als auch dieses Feingefühl rühren offenbar nicht nur die knapp 4500 Menschen an, die sich bei Youtube das Lied schon angehört haben, sondern auch die Caritas und Diakonie in der Grafschaft Bentheim. Beide Verbände, die in der ökumenischen Compass-Beratungsstelle unter einem Dach zusammenarbeiten, wollen das Lied künftig nutzen. „Ein tolles Statement“, lobt Caritas-Geschäftsführer Hermann Josef Quaing den Song. Ihn beeindruckt nicht nur, dass sich eine junge Frau überhaupt dieses Themas angenommen hat, sondern auch, „mit welcher inneren Überzeugung sie es performt“. Und es passt nach seinen Worten genau zu der Arbeit von Diakonie und Caritas. „Unsere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter erleben diese Menschen und versuchen, so gut es geht zu helfen und damit eine positive Entwicklung zu fördern.“

Dabei hat das Lied eher zufällig den Weg zu den Sozialverbänden gefunden, denn komponiert und geschrieben hat Seraphina Feilmeier es als Facharbeit für ihren Leistungskurs in Kunst. Die Nordhornerin, seit Kindertagen geübt in Gitarre und Gesang, hatte sich über diese Möglichkeit einer praktischen Abitur-Prüfung gefreut. In Bibliotheken, in Dokumentationen, im Internet erforscht sie zuerst die inhaltlichen Grundlagen. Und ist erschrocken über das, was sie findet. „Ich war 13 Jahre in der Schule, und das Thema ist komplett an mir vorbeigezogen“, sagt sie ehrlich. Sie stellt sich eine Gruppe von Leuten in einem Raum vor – und wie viel davon statistisch gesehen in Armut leben. „Wir übersehen und blenden das aus, weil es nicht immer gleich sichtbar ist.“ Mit jedem Tag der Recherche hofft die Schülerin, dass sie mit ihrem Lied mehr als nur eine gute Note – es wird am Ende eine „1“ – erreicht. Sondern, dass sich betroffene Menschen darin wiedererkennen und andere das Problem mehr wahrnehmen.

Jeder Fünfte ist betroffen, echt krass.

Bei den bisherigen Live-Auftritten im Gymnasium und bei Gottesdiensten in Nordhorn nimmt es die Zuhörer gefangen. „Es wurde mucksmäuschenstill. Da habe ich gespürt, da ist was angekommen.“ Und es dauert nicht lange, da erfahren Caritas und Diakonie von dem Stück. Mithilfe von Fördergeldern der lutherischen Landeskirche finanzieren sie die Produktion eines Musikvideos von Seraphinas Lied – das sensibilisieren und auch Spenden für die Beratungsarbeit generieren soll.

Ihre Überzeugung, dass wir bei diesem Thema die Augen nicht verschließen dürfen, hängt auch mit ihrer christlichen Überzeugung zusammen. Das Kreuzkettchen um ihren Hals ist nicht bloß ein Schmuckstück, sondern Ausdruck ihres Glaubens. Seraphina Feilmeier wächst mit ihren Geschwistern, die wie sie allesamt einen biblischen Vornamen tragen, in einem katholischen Elternhaus auf. Kirche und Glaube spielen dort eine große Rolle. Ihre Mutter Barbara leitet den Pfarrgemeinderat, religiöse Rituale im Alltag wie das Tischgebet sind noch selbstverständlich. „Ich glaube an Gott“, sagt Seraphina ohne zu zögern. „Es ist doch schön, daran zu glauben, dass ich immer von Gott geliebt und aufgefangen werde. Durch meinen Glauben bin ich niemals allein.“ Sie weiß, dass junge Leute heute solche Worte nicht mehr allzu oft sagen. „Aber für mich war es nie ungewöhnlich, dass ich katholischer aufgewachsen als der Durchschnitt.“ Messdienerin ist sie bis heute, sitzt auch im Regionalvorstand des Bundes der Deutschen Katholischen Jugend (BDKJ).

Doch zugleich hält sie sich mit ihrer Kritik an der verfassten Kirche nicht zurück – auch da wird die 21-Jährige sehr deutlich. Dass „wir Frauen immer noch zurückgestellt werden“, dass Menschen wegen ihres Geschlechts und ihrer sexuellen Orientierung ausgegrenzt werden, dass Reformen „viel zu lange dauern“: Das macht Seraphina Feilmeier traurig und sauer. „Für mich ist Gott ein liebender Gott, der alle annimmt.“ Austreten will sie trotzdem nicht, sondern eher versuchen, von innen heraus etwas zu bewegen. „Sonst bleiben nur die Leute übrig, die nichts verändern wollen.“ Ein weiteres Lied, das sie ebenfalls selbst geschrieben und in einem Sonntagsgottesdienst vorgetragen hat, nimmt diese Wut und Wünsche auf.

Nach dem Abitur hat sie ein Freiwilliges Soziales Jahr im katholischen Jugendbüro und bei der Stadtpfarrei Nordhorn gemacht. Und ist zutiefst dankbar für diese Erfahrung. „Ich bin eine komplett andere Person als vor einem Jahr, selbstreflektierter, selbstbewusster, mit einem anderen Blick für vieles.“ Der führt sie nun in das Studium der Sozialen Arbeit nach Osnabrück und damit schließt sich der Bogen zu ihrem Lied über die Armut. Denn Seraphina Feilmeier hofft, wo auch immer sie später arbeiten wird, Menschen helfen und sensibilisieren zu können. Wie in ihrem Song: „Macht eure Augen auf. Seht ihr nicht, es wird eure Hilfe gebraucht.“

Petra Diek-Münchow

Das Lied „12,2 Millionen Menschen“ von Seraphina Feilmeier soll auf Veranstaltungen von Caritas und Diakonie in der Grafschaft Bentheim eingesetzt und auf Social-Media-Kanälen genutzt werden. Hören und sehen kann man den Song auf dem Youtube-Kanal der Caritas im Bistum Osnabrück.