Wer erlöst den König Herodes?
Diese Gestalt aus der Weihnachtsgeschichte könnte unser Zeitgenosse sein: König Herodes des Große war ein erfolgreicher „Macher“. Aber er litt auch unter Verfolgungswahn, sah sich als Opfer von Verschwörungen und misstraute jedem.
Von jeher hat mich König Herodes eigentümlich fasziniert. Er regierte im Heiligen Land von 37–4 v. Chr. In dieser Zeit ließ Herodes in vielen Städten prächtige Bauten errichten – dies brachte ihm den Beinamen „der Große“ ein. Allerding war dieser ‚Große‘ auch ein Feigling. Er witterte ständig Bedrohungen und brachte viele Menschen um, die ihm vermeintlich gefährlich wurden. Einerseits der Machtmensch, der Bauherr, andererseits der Feigling, der vor Intrigen und Mord offensichtlich nicht zurückschreckt. Bei näherer Betrachtung scheint mir Herodes so etwas wie eine Symbolfigur zu sein, die uns heute, im Jahr 2021, noch sehr viel sagen kann.
Wir werden nun schon zum zweiten Mal ein Weihnachtsfest in Pandemiezeiten feiern. Ist es nicht ein wenig zynisch, von feiern zu sprechen? Der moderne Mensch ist ein ‚Homo Faber‘, ein Schaffender. Ist es nicht eine Ironie des Schicksals, dass ein kleines Virus den modernen Homo Faber an der Nase herumführt? Hat man einen Impfstoff entwickelt – ‚schwuppdiwupp‘ trickst es alle aus und entwickelt rasch eine andere Mutation. Der moderne Mensch hat viel mit dem biblischen König Herodes gemeinsam: Wir können und machen sehr vieles. Und gleichzeitig fürchten wir uns – vor der Gegenwart und vor der Zukunft, vielleicht am meisten vor uns selbst.
Ist das unser Schicksal? Zugleich mächtig und ohnmächtig sein? Vielleicht zeichnet sich ein Ausweg ab, wenn wir uns dem Zeugnis der Bibel zuwenden. Was enthielt Gott vor? „Wenn ihr von dem verbotenen Baum esst“, sagt die ‚Schlange‘, „dann gehen euch die Augen auf und ihr werdet sein wie Gott.“
Sein wie Gott! Das ist der Königsweg! Wenn wir erst selber wie Gott sind, dann erübrigen sich Angst und Furcht. Wirklich? Wir wissen, wie die Geschichte weitergeht. Der Vertreibung aus dem Paradies folgt der Geschwistermord. Das Paradies ist verschlossen. Menschliche Anstrengungen können zwar viel kompensieren. Doch „einen Turm bauen, der bis in den Himmel reicht“, eigenmächtig dorthin zu gelangen, wo Gottes Reich ist, das bleibt uns Menschen verwehrt. Wer sich anmaßt, sein Reich an sich zu reißen, dessen Werk wird zu Staub zerfallen. Schlimmer noch: Die Menschen werden in verschiedenen Sprachen sprechen, so dass eine Verständigung nicht mehr möglich ist.
Es ist diese atheistische Hybris, die das Potential hat, die menschliche Gemeinschaft wie ein Virus zu infizieren. In diesem Zusammenhang möchte ich auf ein kleines Büchlein von Umberto Eco aufmerksam machen. Es trägt den Titel „Verschwörungen“. In ihm zitiert Eco den Philosophen Karl Popper, der sagt: Wenn Gott, wenn alle Götter tot sind, dann bleibt nur noch ein Gott übrig: Das eigene Ich, das sich allmächtig, omnipotent und gleichzeitig unendlich ohnmächtig und einsam fühlt.
Wenn alle Götter tot sind, bleibt nur das „Ich“
„Die Verschwörungstheorie der Gesellschaft ist nur eine Variante des Theismus, eines Glaubens an Götter, deren Launen und Willen alles beherrscht. Sie kommt davon, dass man Gott aufgibt und dann die Frage stellt: Wer nimmt seinen Platz ein? Sein Platz wird dann besetzt durch verschiedene mächtige Menschen und Gruppen – durch finstere Interessengruppen, denen dann unterstellt wird, dass sie die große Depression geplant haben, und alle Übel, an denen wir leiden.“
Es ist offensichtlich dieser Irr- und Aberglaube an das allmächtige und gleichzeitig angstbesetzte Ich, das hinter skurrilen Theorien und Verschwörungsmythen aufscheint. Zwei Grundmuster lassen sich in diesen Mythen erkennen: Zum einen die Skepsis, die per se allergisch ist gegen jegliche Vorgaben von ‚oben‘. Und dann steckt hinter allem der von Popper benannte Aberglaube, der jede Wissenschaft als Interesse der so genannten „Eliten“ verdächtigt. Beide Momente, die oft munter durcheinandergehen, sind eine reale Gefahr, sowohl für die offene Gesellschaft als auch für Institutionen wie unsere Kirche.
Hier nun kommt Weihnachten ins Spiel. Denn es ist das Fest von Gottes unzerstörbarer Zusage. Wo wir als Menschen sind, ist Gott da. Immer. Überall. Für jeden. Das war schon die ‚Dornbusch-Erfahrung‘, als Mose ängstlich nach dem Namen Gottes fragte: „Man wird mich doch fragen, wer Du bist, wie Dein Name ist? Was soll ich denn nur sagen?“ Und SEINE Antwort? „Ich bin da, ich werde da sein.“ Das jüdische Volk hat diese Aufgabe für die Welt: Diese Zusage der Welt zu vermitteln, damit wir alle – wohl ein ganzes Leben lang – uns in diesem Vertrauen einüben können.
An Weihnachten feiern wir, dass dieses Vertrauen kein blindes Vertrauen ist. Warum nicht? Weil wir auf ihn verweisen können, auf Jesus von Nazareth, indem diese Zusage ‚geschichtlich greifbare, irreversible Wirklichkeit‘ (Karl Rahner) geworden ist. Sie gibt uns den Mut, auch den anderen Zusagen im Leben zu trauen. Besonders die Erfahrungen des Volkes des „ersten Bundes“ künden die Großtaten des Gottes Israels, vom Exodus, vom Sinai, von der Rückkehr in das gelobte Land. Seine Zusagen reuen ihn nicht. Er nimmt sie nicht zurück. Sie sind erfahrbare, wirksame Wirklichkeit.
Seine Wirklichkeit sprengt jedes Maß, alle Vorstellungen. Gott bei uns, als Kind in einer Krippe? Ja, sein Bei-uns-sein ist Wirklichkeit geworden in der Geburt seines Sohnes in Armut, Not und Kälte. Wenn wir diese Nähe Gottes zulassen, naht auch die Erlösung für den modernen Herodes. Deshalb, weil seine Zusage nicht nur die Erwartungen des Menschen erfüllt, sondern ihnen die Angst nimmt und damit auch den zwanghaften Hochmut. Das Kind in der Krippe zeigt, dass „Gott den Hochmut des Menschen so übertrumpft, dass die ärgste Einbildung des Menschen von seinem eigenen Wert zu sündhaftem Kleinglauben und fast tierischer Bescheidenheit degradiert wird.“ (Karl Rahner).
Text: Rudolf Hubert (langjähriger Leiter der Caritas in Schwerin und heute Referent für Caritaspastoral der Caritas im Norden)