Drei Weltreligionen verehren Abraham
Wer ist Abraham?
In drei großen Weltreligionen wird Abraham verehrt. Aber welche Bedeutung hat Abraham jeweils? Ein jüdischer Rabbiner, ein katholischer Alttestamentler und ein Islamwissenschaftler erklären.
Der erste Jude
„Gelobt seist Du Ewiger, unser Gott, und Gott unserer Vorfahren, Gott Abrahams, Gott Isaaks und Gott Jakobs, Gott Saras, Gott Rebekkas, Gott Rachels und Gott Leas“ – mit diesen Worten beginnen wir Juden dreimal jeden Tag unser wichtigstes Gebet. Wenn wir zu Gott beten, stellen wir uns in die Tradition der jüdischen Stammväter und -mütter und erinnern Gott an seine Geschichte mit ihnen und mit dem aus ihnen erwachsenen jüdischen Volk.
Wer nach der Bedeutung Abrahams im Judentum fragt, wird also als Erstes nicht auf seinen Charakter, auf seine Taten verwiesen, sondern auf seine Rolle als ersten Juden. So wird er auch als Abraham Awinu – Abraham, unser Vater – bezeichnet und nicht primär als Prophet oder Lehrer. Gott hat mit ihm und seiner Frau einen Bund geschlossen und verspricht, Abraham und seine Nachkommen zu einem großen Volk zu machen, ihnen das Land Israel zu geben und ein Segen für alle Völker zu sein.
Abraham spielt aber auch als Individuum eine große Rolle. Während die Bibel ihn als durchaus menschlich und fehlbar schildert, sieht die spätere jüdische Tradition in ihm eine exemplarische Gestalt. Wenn Gott Abraham so besonders ausgezeichnet hat, dann muss er auch ein einzigartiger Mensch gewesen sein. Schon als Kind habe er die Götzenbilder seines Vaters zerschlagen. Gerade weil er so stark war, sei er zehn Prüfungen bis zur Bindung Isaaks ausgesetzt gewesen. Er war der erste Beschnittene und bis heute ist die Beschneidung der männlichen Juden das Zeichen des Bundes zwischen Gott und dem jüdischen Volk.
Jüdischerseits wird das christliche wie das muslimische Selbstverständnis, Kinder Abrahams zu sein, durchaus geachtet. Gleichzeitig ist uns bewusst, dass Gott als Schöpfer und Erhalter der ganzen Welt Vater aller Menschen ist, über diese drei Religionen hinaus.
Rabbiner Nils Ederberg, wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Universität Potsdam
Vater der Völker
„Abraham“ begegnet uns 73-mal im Neuen Testament. Er steht für die Zugehörigkeit zum Volk Israel und für die gültigen Verheißungen Gottes. Als jenseitige Figur verkörpert er das ewige Leben. Theologisch am wichtigsten ist die Rechtfertigung Abrahams aufgrund seines Glaubens bei Paulus.
Der erste Satz des Neuen Testaments bezeichnet Jesus als Sohn Abrahams. In der Apostelgeschichte bezieht sich Petrus auf die Verbindung Jesus – Abraham, um die Christusbotschaft an die Überlieferung der Väter anzuschließen. Paulus betont mehrfach seine Zugehörigkeit zum jüdischen Volk. So zeigt er, dass Gott das Volk Israel mitnichten verstoßen habe, denn er selbst, Paulus, sei Israelit und ein Nachkomme Abrahams. Der Evangelist Lukas stellt etwa im Magnifikat Abraham als Garanten für das Erbarmen Gottes heraus.
Theologisch bedeutsam ist der Glaube Abrahams, der zu seiner Rechtfertigung führt. Die zentrale Argumentation des Apostels Paulus findet sich im Römerbrief (Röm 4,1–25). Ausgangsvers ist für Paulus Genesis 15,6: In aussichtsloser Lage (hohes Alter und Kinderlosigkeit) glaubt Abraham an die Verheißung Gottes, einen leiblichen Sohn zu bekommen, und das wird ihm als Gerechtigkeit angerechnet.
Darauf baut Paulus die Argumentation, dass es allein auf diesen Glauben ankommt, um von Gott für gerecht befunden zu werden. Dies gilt für alle Menschen, nicht nur für die (beschnittenen) Juden, denn Abraham erhielt die Zusage von Genesis 15,6, als er noch nicht beschnitten war. Daraus begründet Paulus seine Heidenmission ohne Verpflichtung auf das jüdische Ritualgesetz. Er führt in Genesis 17,5, die Umbenennung Abrahams, an: Abraham ist zum Vater vieler Völker bestimmt. Mit der Heidenmission des Paulus wird Abraham zum Symbol dafür, dass Gott das Heil für alle Menschen will.
Thomas Hieke, Professor für alttestamentliche Exegese an der katholisch-theologischen Fakultät der Universität Mainz.
Lehrer der Hingabe
Abraham (arab. Ibrāhīm) ist neben Noah, Moses, Jesus und Muhammad einer der wichtigsten Propheten, die besonders entschlossen und geduldig waren. Sowohl im Koran als auch in den prophetischen Überlieferungen werden die Tugenden Abrahams gezählt. Außerdem ist eine Sure im Koran nach ihm genannt. Der Prophet Muhammad nennt seinen jüngsten Sohn ihm zu Ehren Abraham.
Insgesamt kommt der Name Abraham im Koran 69-mal vor. Beispielsweise erzählt der Koran von seinen Erlebnissen mit seinem Volk, wie er sich weigert, den Götzen zu dienen, und den reinen Monotheismus verkündet. Der Islam fordert deshalb auf, dass man sich im Glauben an Gott auf Abraham berufen und ihn als Vorbild nehmen soll: „Sprich: So folgt der Religion Abrahams, des Lauteren im Glauben, der neben Gott keine Götter setzte.“ (Koran, Sure 3:95).
Aufgrund dieses Monotheismus sowie seiner Geduld und seines Gehorsams gegenüber Gott wird er im Koran (4:125) als halīl (Freund Gottes) bezeichnet. Der Koran betont, dass Abraham ein gottergebener Diener im weiteren Sinne des Wortes Hingabe an Gott (d.h. islām) sei und keiner bestimmten Konfession gehörte: „Abraham war weder ein Jude noch ein Christ, sondern er war Anhänger des rechten Glaubens, einer, der sich Gott ergeben hat (muslim), und er gehörte nicht zu den Götzendienern.“
Genauso wie im Judentum und Christentum sehen die Muslime Abraham als Vorbild für den Gehorsam gegenüber Gott. Er erfüllte die Gebote Gottes, indem er mit seiner Familie ins damals unbewohnte Mekka auswanderte und bereit war, seinen Sohn (nach der Mehrzahl der muslimischen Gelehrten: Ismael) zu opfern. Gott wollte ihn prüfen, ob die Liebe zu Gott und die Vertrautheit mit ihm über allen Dingen und Personen einschließlich seinem Sohn stehe. Die Zeremonie der Pilgerfahrt im Islam erinnern an diese Ereignisse, Abraham und Ismael haben die Kaaba damals errichtet.
Schließlich verbindet Abraham alle monotheistischen Glaubensbekenntnisse zur einer Religion, nämlich zur Hingabe an Gott (arab. islām).
Mahmoud Haggag, Mitarbeiter am Institut für Islamische Theologie der Universität Osnabrück.