Fotobuch für Gemeinden
Wer ist alles engagiert?
In jeder Kirchengemeinde sind zahlreiche Gruppen aktiv – aber wer weiß wirklich, welche und wie viele? Und wer alles mitmacht? Eine Gemeindereferentin aus Stuttgart wollte das mal deutlich machen – mit einer großangelegten Plakataktion.
Von Kerstin Ostendorf
Mit so viel ehrenamtlichem Engagement hatte Marlene Schiebel nicht gerechnet: „Ich war wahnsinnig überrascht, wie viele Gruppen und Kreise bei uns haupt- und ehrenamtlich mitarbeiten“, sagt die Gemeindereferentin der Kirchengemeinden Leinfelden und Echterdingen in der Nähe von Stuttgart. Da ist zum Beispiel das Osterlamm-Team: Jedes Jahr nach der Osternacht braten die Mitglieder dieser Gruppe ein Lamm und verteilen das Fleisch unter den Gemeindemitgliedern. Oder die Ehrenamtlichen, die sich im Pflegeheim Sonnenhalde engagieren, die Bewohner von ihren Zimmern holen und zum monatlichen Gottesdienst in den Andachtsraum bringen. „In unserem Amtsblatt von der Gemeinde steht immer nur: Gottesdienst im Haus Sonnenhalde. Aber was für ein tolles ehrenamtliches Engagement dahintersteckt, wissen viele gar nicht“, sagt Schiebel.
Sie selbst hat vor zwei Jahren versucht, alle Gruppen aufzulisten. Damals feierten die Haupt- und Ehrenamtlichen der beiden Kirchengemeinden erstmals zusammen ihren Dankeschön-Abend. Dabei fiel ihr auf: „Viele aus den beiden Kirchengemeinden kennen sich noch nicht richtig. Dabei sind wir schon seit 2001 eine Seelsorgeeinheit.“
Für das nächste Jahr hatte sie eine Idee: Statt einen Musiker oder eine Künstlerin zu buchen, überlegte sie sich selbst ein Programm. Sie wollte, dass die Gemeindemitglieder sich untereinander mehr austauschten und erfuhren, welche Gruppen und Verbände es in den beiden Kirchengemeinden gibt. „Mir war aber auch klar, dass es nicht funktioniert, wenn sich 40 oder 50 Gruppen auf der Bühne vorstellen. Das wäre viel zu langatmig. Da hört niemand zu“, sagt sie.
Noch nicht einmal die Gemeindereferentin kannte alle Gruppen
Stattdessen hat sie die Ehrenamtlichen angesprochen und sie gebeten, sich auf einem DIN-A3-Plakat zu präsentieren. In der Gestaltung waren die Gruppen völlig frei: am PC entworfen, mit Texten und Fotos eine Pappe beklebt oder einfach ein kurzer Infotext – alles war erlaubt. 40 bis 50 verschiedene Gruppen hatte sie selbst aufgelistet, es meldeten sich aber noch weitere. „An die hatte ich gar nicht gedacht und von manchen wusste ich auch gar nicht, dass es sie in unserer Gemeinde überhaupt gibt“, sagt Schiebel.
Am Ende hat sie über 60 Plakate für den Dankeschön-Abend bekommen. An einer großen Wand präsentierten sich die Gruppen, zusätzlich wurde noch ein Quiz organisiert. „Die Leute sollten zum Beispiel zählen, wie viele Kerzen auf den Plakaten zu sehen waren. Das sorgte für einen zusätzlichen Anreiz, sich alles genau anzuschauen“, sagt sie. „Und es war phänomenal! Die Gäste kamen miteinander ins Gespräch, es wurde interessiert nachgefragt: Ach, du bist auch dabei? Oder: Ich wusste gar nicht, dass es diese Gruppe bei uns gibt.“ Am Abend seien sogar fünf weitere Gruppen auf einem leeren Plakat notiert worden, die noch fehlten.
Sie empfiehlt dieses Projekt gerade größeren Kirchengemeinden oder Pfarreien, die mit anderen Gemeinden zusammengelegt werden. Es sei eine gute Gelegenheit, sich gegenseitig besser kennenzulernen und zu entdecken, wie viel Engagement und Aktivitäten es in der anderen Gemeinde gibt. „Viele denken: Bei uns in der Kirche läuft nicht viel“, sagt Schiebel. „Und dann waren wir wirklich überrascht, wie viel Engagement da ist. Der Abend war ein Dankeschön für diesen Einsatz, aber auch ein Bewusstmachen, eine Information und eine Anregung“, sagt sie.
Das Fotobuch wird nach dem Gottesdienst herumgereicht
Die Plakate hängt Schiebel immer mal wieder im Eingangsbereich der Kirchen auf. „Dann sehen die Besucher, wie lebendig unsere Gemeinde ist“, sagt sie. Gemeinsam mit einer Grafikerin hat sie außerdem aus den Plakaten ein Fotobuch gestaltet, das in den Gemeindehäusern ausliegt, beim Treffen nach dem Gottesdienst herumgereicht wird und nach der Corona-Krise bei Pfarrfesten dabei sein soll. „Die Leute sind stolz, ein Teil der Gemeinde zu sein. Beim Durchblättern sehen sie, wie vielfältig unsere Kirchengemeinde ist“, sagt Schiebel. Außerdem könne das Buch ein Anreiz sein für alle, die sich für ein Ehrenamt interessieren, sich informieren möchten und auf der Suche nach einem Ansprechpartner sind.
Schiebel sagt aber auch: „Das Projekt ist in dieser Form sehr aufwändig.“ Von der Plakatidee bis zum fertigen Fotobuch hat es eineinhalb Jahre gedauert. Allein die vielen E-Mails und Telefonate, um die Gruppen zu informieren und die Plakate zu organisieren, hätten sich über drei Monate hingezogen. „Und die Gefahr ist groß, dass man irgendjemanden vergisst, und der oder die sich dann nicht wertgeschätzt fühlt“, sagt sie. So habe sie zum Beispiel die Frauen, die wöchentlich die Kirche und das Gemeindehaus reinigen, nicht im Blick gehabt. „Die waren sehr enttäuscht, dass sie auf keinem Plakat zu finden waren.“ Kurzerhand übernahm Schiebel die Aufgabe und gestaltete eines.
„Wir haben hier den Vorteil, dass unsere Seelsorgeeinheit nur aus zwei Kirchengemeinden besteht. Da ist vieles überschaubar“, sagt Schiebel. Bei größeren Seelsorgeeinheiten wäre das Projekt vermutlich schwieriger und langwieriger. Aber, fügt Schiebel hinzu, „die Mühe lohnt sich! Und es ist allemal interessant und spannend, was vor der eigenen Kirchentür und in den anderen Kirchorten läuft“.