Wolfgang Kraus und die Sagengestalt Krabat
Wie Krabat auf Gottsuche
Wolfgang Kraus mit der Krabat-Figur von Groß Särchen. Foto: Andreas Kirschke |
Mutters fester Glaube gab dem Katholiken Wolfgang Kraus stets Halt im Leben. „Vergiss unseren Herrgott nicht. Du kannst nie tiefer fallen als in Gottes Hand. Er wird dich immer hören und lieben“, erinnert sich der 68-jährige Architekt in Groß Särchen (Oberlausitz) an den Rat seiner Mutter in Kindertagen.
Der in Menden gebürtige Sauerländer lebt seit 1996 mit seiner Frau auf dem alten Vorwerk Groß Särchen. Seit dem Jahr 2000, in dem Groß Särchen sein 626-jähriges Bestehen mit einem Festumzug feierte, hat er weit über 2500 Mal die sorbische Sagenfigur Krabat verkörpert. Für Touristen, Kindergärten, Schulen, Vereine und Feste verwandelt er sich in den Sagen umwobenen guten Zauberer.
Seit kurzem engagiert sich Wolfgang Kraus im europaweit aktiven Verein der „Freunde des wahren Antlitzes Jesu Christi – Penuel“, was soviel heißt wie „Antlitz Gottes“. 197 Mitglieder vor allem aus Deutschland, aber auch Österreich, Schweiz, Italien und Belgien gehören zu dem ökumenisch und konfessionsoffen ausgerichteten Verein. Wolfgang Kraus wirkt im Vorstand als Schriftführer mit. Er und ein Christ aus Annaberg-Buchholz im Erzgebirge sind bislang die einzigen Mitglieder aus Ostdeutschland. „Zum Verein gehören Pfarrer, Juristen, Architekten, Wissenschaftler, Psychologen und weitere Berufe, Menschen aus allen Schichten. Uns alle verbindet die Gemeinschaft im Glauben, die tiefe Suche nach Gott und seiner Liebe zu uns“, sagt Wolfgang Kraus. Ziel des Vereins ist die Förderung, Unterstützung und Verbreitung der Erkenntnisse und Forschungen über die Grabtücher Jesu.
Forschungen zum Grabtuch sind kontrovers
Am bekanntesten ist das Turiner Grabtuch. Mit seiner vermutlichen Darstellung des gekreuzigten Jesus gilt es als eine der kostbarsten Reliquie der Christenheit. Das Grabtuch war Objekt vielfältiger Untersuchungen. Das Leichentuch aus Leinen ist 4,36 Meter lang und 1,10 breit und könnte jenes Tuch sein, mit dem nach den Texten der Evangelien der Leichnam Jesu umwickelt wurde. Seit 1578 wird das Grabtuch im Turiner Dom aufbewahrt. Der Vatikan hält sich bislang mit einer offiziellen Stellungnahme zurück. Päpste – zuletzt Papst Franziskus im Jahr 2015 – und unzählige Pilger wertschätzen jedoch das Grabtuch immer wieder als Zeitzeugnis und Reliquie.
Die Forschungen zum Grabtuch sind kontrovers. 1988 kamen drei Wissenschaftler-Gruppen unabhängig voneinander zu dem Schluss: das Grabtuch stammt nicht aus der Zeit Jesu, sondern aus der Zeit 1260 bis 1390. Daraufhin untersuchte Giulio Fanti, Professor für Technische Chemie an der Universität Padua, das Grabtuch neu. Sein Fazit: es ist echt und zeigt tatsächlich den gekreuzigten Jesus. Pollenspuren auf dem Tuch, Material und Fertigungsart sollen das belegen. Jüngste Forschungen fördern Erstaunliches zutage. Sie zeugen von Abdrücken kleiner Münzen aus der Zeit des Pontius Pilatus (von 26 bis 36 n. Chr. römischer Statthalter in der Provinz Judäa) auf dem Grabtuch.
Rund 700 Kilometer südlich von Turin, im Städtchen Manoppello in den Abruzzen, in der Kirche „Santuario del Volto Santo“ (Heiligtum des heiligen Gesichts) wird seit dem frühen 17. Jahrhundert ein Tuch aufbewahrt, das ebenfalls das Abbild Jesu zeigen soll. Dieses Gesicht wirkt jedoch plastischer, deutlicher und lebendiger als der Abdruck auf dem Turiner Grabtuch.
Die Forschungen zu diesem Tuch sind bei weitem nicht so umfangreich. Die Fachwelt entdeckte das 17,5 Zentimeter breite und 24 Zentimeter lange Tuch aus Muschelseide erst 1979. „Aber das kleine Tuch von Manoppello wird vermutlich schon sehr viel länger verehrt als sein Turiner Gegenstück, und es ist nicht weniger mysteriös. Seine Reise durch die Jahrhunderte ist ebenso ungeklärt wie die Frage, wie das Abbild Jesu auf das Material kam“, meint Ludwig Ring-Eifel, Chefredakteur der Katholischen Nachrichten-Agentur.
Beide Abbildungen sind identisch
Die deutsche Trappistin, Schwester Blandina Paschalis Schlömer, gelernte Pharmazeutin und Ikonenmalerin, entdeckte, dass das Bild von Manoppello den Proportionen und Abmessungen des Porträts Jesu auf dem Grabtuch von Turin entspricht. Der Tiroler Pater, Theologe und Psychologe Andreas Resch, 1969 bis 2000 Professor an der Päpstlichen Lateranuniversität und der Universität Gregoriana in Rom, wies am Computer die Übereinstimmung der beiden Gesichter Jesu nach. Intensiv befasste sich Jesuitenpater Heinrich Pfeiffer, Professor für christliche Kunstgeschichte an der Gregoriana, mit den Grabtüchern. „Er geht davon aus, dass das Tuch aus Manoppello im Grab Jesu über dem Leichentuch aus Turin lag, dass das feine Byssus-Gewebe sozusagen als kostbare Abschiedsgabe an den Toten zuletzt auf den Leichnam gelegt worden ist.“ Heinrich Pfeiffers Fazit: das Abbild auf dem Schweißtuch und das Abbild auf dem Grabtuch sind im selben Moment entstanden.
Außer den besagten beiden Tüchern gibt es weltweit noch viele weitere ähnliche Reliquien. Im Aachener Dom wird das „Lendentuch Jesu“ aufbewahrt. Drei weitere – ein Schürztuch, ein Grabtuch und ein Schweißtuch Jesu – befinden sich seit dem 9. Jahrhundert im nahen Kornelimünster. Der Überlieferung nach schickte der Jerusalemer Patriarch im Jahr 799 insgesamt sieben Tuchreliquien nach Aachen. Kaiser Karl der Große stiftete sie seiner neu geweihten Pfalzkapelle, dem heute ältesten Teil des Aachener Doms. Karls Sohn, Ludwig der Fromme, entnahm drei Reliquien und schenkte sie der ehemaligen Abteikirche in Aachen-Kornelimünster. Weitere Tücher befinden sich im Mainzer Dom und in Kirchen in Spanien und Frankreich. „Die Forschungen dazu sind lesenswert, wenn auch über die Echtheit der Tücher bis heute kontrovers diskutiert wird“, sagt Wolfgang Kraus. Doch wichtiger als die Echtheit ist ihm, dass diese Tücher Symbole der Menschwerdung Christi sind, die Menschen bei ihrer Suche nach Gott helfen können.
Dieser Suche hatte sich auch Krabat verschrieben. Die sorbische Volkssage „Krabat“ hat ein authentisches Fundament. Sie führt auf den kroatischen Leibgardisten Janko Šajatović (1624-1704) aus Žumberak zurück. „Originaldokumente aus Kroatien, Österreich, Ungarn und Sachsen weisen darauf hin. Jan-ko Šajatović (deutsch: Johann von Schadowitz) hat tatsächlich gelebt, unter vier sächsischen Kurfürsten gedient und in Groß Särchen auf dem Vorwerk nachweislich seinen Lebensabend verbracht. Das Erstaunliche ist: die historischen Quellen und Fakten bestätigen den vielfältigen Sagenstoff“, fand der Familiengeschichtsforscher Hans-Jürgen Schröter in Wittichenau heraus.
Seit frühester Jugend in der Kirche engagiert
Wolfgang Kraus lebt seit 1996 auf eben diesem alten Vorwerk Groß Särchen. Mit Schadowitz’ Suche nach Gott bis ins hohe Alter fühlt er sich stark verbunden. Sie erinnert ihn an sein eigenes bewegtes Leben. „Ich bin in einem sehr christlichen Umfeld aufgewachsen“, erzählt Kraus. Frühzeitig engagierte er sich in der Pfarrgemeinde – als Messdiener, später in der Katholischen Jungen Gemeinde. Er organisierte Rüstzeiten, Konzerte und Beat-Abende mit und sammelte Geld für die Mission. Später arbeitete er im Pfarrgemeinderat und im Kirchenvorstand mit, war Lektor und Kommunionhelfer. Im Rahmen seines Architektur-Studiums erstellte er eine Examens-Arbeit für den Neubau eines Katholischen Pfarrgemeindezentrums mit Kirche, Vikarie, Pfarrsaal und Kindergarten. Das war rein fiktiv, diente seiner Pfarrgemeinde aber später als gute Anregung für einen Kirchenneubau.
1991 kam der Architekt zum ersten Mal nach Ostdeutschland und leitete ein Bauvorhaben in der Leipziger Innenstadt. Danach baute er überall im Osten – von Plauen bis Rostock. Um der Liebe Willen zog er in die Lausitz, zunächst nach Cottbus und später mit seiner Lebensgefährtin nach Groß Särchen. Hier begann er sich für die Sagenfigur des Krabat zu interessieren und dessen lebenslanger Suche nach Gott.
Auch seinen Penuel-Vereinskollegen hat er inzwischen vieles über seine neue Heimat im Osten erzählt – über Johann von Schadowitz und die sorbische Sagengestalt Krabat, über die besondere Bedeutung des Osterfestes in der Lausitz und die Osterreiter. Das stieß auf großes Interesse und Begeisterung. Und so beschloss der Verein, seine Jahreshauptversammlung 2021 in der Lausitz abzuhalten. Corona bedingt wird das nicht zu Ostern sein. Geplant ist jetzt der 13. bis 15. August. Dabei soll es auch eine Ausstellung über die Grabtücher von Turin und Manoppello geben.
Sein Engagement für den Glaube ist für den 68-Jährigen wie eine Rückkehr zu seinen Wurzeln, zum starken Glauben seiner Eltern. Wie hatte die Mutter ihm doch einst mit auf den Lebensweg gegeben: „Vergiss unseren Herrgott nicht.“
Informationen zum Verein Penuel im Internet unter: www.antlitz-christi.de
Infos zu Johann von Schadowitz und zur sorbischen Sage Krabat unter: www.meister-krabat.de
Von Andreas Kirschke