Wie Steinmetze an der Liebfrauenkirche in Worms arbeiten

„Wir arbeiten an einer Kirche wie ein Zahnarzt“

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Wenn an einer Kirche das Mauerwerk bröselt, Steine verwittern oder die Farbe abblättert, sind sie zur Stelle: Steinmetze. Sie üben einen der ältesten Handwerksberufe der Welt aus. Ob Roboter jemals ihren Job werden ersetzen können? Beim Besuch der Liebfrauenkirche in Worms, wo Steinmetze gerade arbeiten, finden sich Antworten – auch auf die Frage, was ein Stein mit einem Blätterteig zu tun hat. Von Anja Weiffen.

Ein Sommermorgen an der Liebfrauenkirche in Worms. Von Weitem weisen die Türme des gotischen Gotteshauses wie zwei Finger in den Himmel. Von ganz Nahem besehen hat Liebfrauen Wunden. Sie trägt Pflaster und eine Baustellenplane an einem Seitenschiff als Verband. 

Ihre Haut aus Stein scheint zu atmen

Arbeiten an der Wormser Liebfrauenkirche: Thilo Schmitt und Katharina Jung von der Bamberger Firma „Bauer-Bornemann Steinrestaurierung“ kleben Fenster zum Schutz ab, damit diese nicht beschädigt werden. Foto: Anja Weiffen
Arbeiten an der Wormser Liebfrauenkirche: Thilo Schmitt und Katharina Jung von der Bamberger Firma „Bauer-Bornemann Steinrestaurierung“ kleben Fenster zum Schutz ab, damit diese nicht beschädigt werden. Foto: Anja Weiffen

Mehrere Etagen geht es auf dem Baugerüst nach oben, dorthin, wo die Steinmetze arbeiten. Die Kirche lebt. So meint man. Ihre Haut aus Stein scheint zu atmen. Dieser Eindruck drängt sich auf, als Steinmetz Thilo Schmitt auf ein Stück Sandstein zeigt. „Wir achten darauf, dass der Stein durch seine Poren Regenwasser aufnehmen und wieder abgeben kann“, sagt er. „Wenn das behindert wird, zum Beispiel durch Farbauftrrag, können Stellen entstehen, an denen sich Wasser staut. Das kann eine Wand beschädigen.“ 

Thilo Schmitt arbeitet bei der Bamberger Firma „Bauer-Bornemann Steinrestaurierung“. Er ist zusammen mit seiner Kollegin Katharina Jung und weiteren Mitarbeitern am Wormser Dom tätig, seit 2007 ist das, mit Unterbrechungen, seine Baustelle. In diesem Jahr jedoch restaurieren sie die Liebfrauenkirche. „Wir arbeiten an einer Kirche wie ein Zahnarzt“, fasst der 44-Jährige die Tätigkeit der Steinrestaurierung in einem Satz zusammen. Will heißen: Hier ist individuelle Maßarbeit gefragt. Genaue Materialkenntnis. Und eine professionelle Sensibilität dem „Patienten“ gegenüber. Auch Respekt. Katharina Jung erzählt begeistert vom Baustil der Gotik, mit dem sie es hier an der Liebfrauenkirche zu tun haben. „Es ist beeindruckend, wie die Baumeister und Steinmetze im Mittelalter diese geometrischen Formen mithilfe ihrer Bautechnik entwickelt haben. Wir können das heute gar nicht mehr so wirklich begreifen, wie sie das damals konstruiert haben.“

Unfehlbar waren die Baumeister und Steinmetze früherer Zeiten jedoch nicht. Thilo Schmitt weist auf einen Sandsteinblock im Mauerwerk, der „Beulen auf seiner Oberfläche wie ein Blätterteig hat, weil man ihn falsch herum eingesetzt hat“, erklärt er. Weil Sandstein Ablagerungsschichten beinhaltet, müssen Steinmetze diese Eigenart des Gesteins beim Schneiden und beim Einsetzen der Steinblöcke beachten, sonst macht der Stein durch seinen Verwitterungsprozess die eins-tige Präzisionsarbeit der Steinmetze zunichte.

Früher hat ein „Zurichter“ einen Stein vorbearbeitet

Eine Maschine weiß das alles nicht. Weder von Gotik, von Gesteinsschichten noch von Verwitterungsprozessen hat sie eine Ahnung. Entsprechende Daten muss ein Mensch einprogrammieren.

kam die Baukunst und das Steinmetzhandwerk nach Mitteleuropa. In der Romanik bis ins
Thilo Schmitt arbeitet hier mit einem Meißel und einem Knüpfel, einer Art Hammer. Foto: Anja Weiffen

Was seine Haltung zu Maschinen und zur Digitalisierung im Steinmetzhandwerk betrifft, ist Thilo Schmitt zwiegespalten. „Maschinen können schwere Arbeit abnehmen.“ Hat früher ein „Zurichter“ einen Steinblock herausgehauen, damit ein kleinerer Stein mit weniger Gewicht besser bearbeitet werden kann, erledigt das „Zurichten“ heute eine 3-D-Fräse. 

„Maschinen brauchen keinen Urlaub, sie können Tag und Nacht arbeiten“, sagt Schmitt. „Andererseits braucht eine digitale Maschine jemanden, der sie programmiert und pflegt. Auch Ersatzteile werden gebraucht.“ Und den Endschliff macht immer der Mensch. „Es sind einfach viele Arbeitsschritte, die ein Steinmetz bei Steinrestaurierungen an Kirchen im Blick haben muss.“ Nur einzelne Schritte seien ersetzbar. Vor allem, betont er, müsse ein Steinmetz vieles bewerten, etwa die Gesteinsart, den Ort, wo restauriert wird, die Witterungsbedingungen und einiges mehr. „Wenn beispielsweise eine Schneidemaschine falsch programmiert ist, schneidet sie den Stein auch gnadenlos falsch. Sie führt eben nur ihr Programm aus.“ 

Ein Meißel aus der Barockzeit

Aber – Thilo Schmitt kann sich das vorstellen – vielleicht gibt es irgendwann KI (Künstliche Intelligenz), also Roboter, die an einer Kirche empor klettern und selbstständig Restaurierungsbedürftiges ausmessen, bewerten und ausbessern können. 

Heute arbeitet Schmitt sowohl mit elektrischen Geräten als auch mit traditionellem Handwerkszeug. Er zeigt einen Winkelschleifer, auch „Flex“ genannt, und eine Maschine, die Stein mit Druckluft bearbeitet. In einem Eimer trägt er Werkzeug, das keinen Strom braucht. Zum Beispiel einen Knüpfel, eine Art Hammer. Und verschiedene Eisen: Spitzeisen, Zahneisen für weiches Gestein sowie ein Scharriereisen. Der Meißel mit einer geraden langen Kante, um ebene Flächen herzustellen, „wurde in der Barockzeit erfunden“, weiß Schmitt. Auch der gute alte Bleistift hat seinen Platz im Steinmetz-Instrumentarium. 

Das sind Zahneisen mit verschiedenen Spitzen. Sie werden zum Bearbeiten von weichem Gestein gebraucht. Foto: Anja Weiffen
Das sind Zahneisen mit verschiedenen Spitzen. Sie werden zum Bearbeiten von weichem Gestein gebraucht. Foto: Anja Weiffen

Mit Meißel und Knüpfel führt Thilo Schmitt vor, wie eine Steinkante bearbeitet wird. Er legt ein Winkelmaß an. Der Beweis: absolut gerader 90-Grad-Winkel, per Handarbeit. Das könnte ein künftiger Roboter vielleicht auch. Aber – der Vergleich Steinmetz und Zahnarzt ist klug gewählt – sollen Roboter irgendwann wirklich Kirchen restaurieren? Würde ein Mensch jemals wollen, dass ein Roboter ihm die Zähne saniert?

 

Hintergrund: Steinmetze der Romanik waren oftmals Mönche

Bereits in der Steinzeit machte sich der Mensch am Stein zu schaffen und brachte erste Reliefs hervor. Die Pyramiden in Ägypten, die Akropolis in Athen – allesamt Werke von Steinmetzen, ohne den Einsatz von Mörtel, allein durch exakte Bearbeitung der Steine errichtet. 

Durch Karl den Großen kam die Baukunst und das Steinmetzhandwerk nach Mitteleuropa. In der Romanik bis ins 13. Jahrhundert arbeiteten oft Mönche, Laienbrüder, als Steinmetze und Bildhauer. Die ersten weltlichen Bauhütten, die an Kirchen- und Klosterbauten tätig waren, gab es ab der Jahrtausendwende. Ende des 12. Jahrhunderts entstanden die Zünfte, die sich profanen Bauten widmeten. Eine besondere Blütezeit der Steinmetz- und Bildhauerkunst war die Zeit der Gotik Mitte des 12. Jahrhunderts bis circa 1500. Die Steinmetz-Zünfte wurden Mitte des 19. Jahrhunderts aufgelöst, danach bildeten sich Innungen.

Heute gibt es in diesem Beruf zwei Fachrichtungen: Steinmetz und Steinbildhauer. Ein eigener Ausbildungsberuf ist der Natursteinmechaniker, ein Industrieberuf, in dem mithilfe von Maschinen Natursteine bearbeitet werden.

Die Ausbildung zum Steinmetz dauert drei Jahre und findet in Betrieben, in überbetrieblichen Ausbildungszentren und in Berufsschulen statt. (red)

Informationen beim Bundesverband Deutscher Steinmetze: www.biv-steinmetz.de

 

Zur Sache: Die Wormser Liebfrauenkirche

Die Liebfrauenkirche ist die einzig noch erhaltene große gotische Kirche am Rhein zwischen dem Straßburger Münster und dem Kölner Dom. Damit ist sie nach dem romanischen Dom das bedeutendste Wormser Baudenkmal. Nach der Haager Konvention von 1954 gehört sie in die Reihe der besonders schützens- und erhaltenswerten Kulturgüter der Welt.“ So informiert die Pfarrei Liebfrauen auf ihrer Homepage über ihre Pfarrkirche. Liebfrauen ist Wallfahrtskirche. Seit dem 14. Jahrhundert pilgern Menschen zum „Gnadenbild“ der Gottesmutter von 1260. Eine Bronzetafel am Kirchenportal skizziert die Geschichte von Liebfrauen: Schon in fränkischer Zeit gab es eine Kapelle an diesem Ort. 1298 wurde eine Stiftskirche mit Stiftsgebäuden gebaut. Nach der Auflösung des Stifts 1802 ist Liebfrauen seit 1898 Pfarrkirche. Die Tafel erwähnt auch die Bezeichnung für einen bekannten lieblichen Weißwein. „Aus diesen Weingärten um die Kirche nahm die Liebfrauenmilch ihren Weg in die Welt.“ (red)