Theaterabend

"Wir denken uns nichts aus"

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Zwei Männer in schwarzer Kleidung stehen auf einer Theaterbühne.
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Theater Hildesheim/Jochen Quast

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Beim Theaterstück "Der Weg zur Hölle ist mit guten Absichten gepflastert" wirken Karl Haucke (rechts) als Betroffener und Daniele Veterale vom Ensemble des Theaters für Niedersachsen (tfn) Hildesheim mit. 

Eine Aufführung des Hildesheimer Theaters für Niedersachsen bringt das Thema Missbrauch und Vertuschung auf die Bühne. Die Texte beruhen auf Berichten Betroffener.

Ja, das ist schwere Kost, denn es geht um Menschen, die als Kinder von katholischen Geistlichen missbraucht wurden. Die Berichte der Betroffenen sind Basis für die Texte einer Aufführung im Theater für Niedersachsen (tfn) Hildesheim, mit dem sieben Schauspielerinnen und Schauspieler und ein Betroffener dem Publikum die Problematik nahe bringen, und das ist für viele Zuschauer und Zuschauerinnen schwer auszuhalten. Es geht um Vergewaltigungen und Demütigung und um die systematische Vertuschung der Taten. Darüber wird an dem Abend berichtet, aber nichts von dem Gesagten wird als Spielszene gezeigt. „Das Thema wird nur über den Text behandelt“, sagt Dramaturgin Cornelia Pook, „das ist schon schmerzhaft genug.“ 

Pook erläutert, das Stück mit dem Titel „Der Weg zur Hölle ist mit guten Absichten gepflastert“ sei eine Mischung aus Textcollage und einem Kaleidoskop verschiedener Szenen. Wenn es um die Erinnerungen Betroffener geht, lesen die Schauspielerinnen und Schauspieler die Texte vom Blatt ab, alles beruht auf den Berichten der Betroffenen, auf den Erinnerungen der Kinder und Jugendlichen von damals. Sie sind inzwischen erwachsen und wurden im Vorfeld der Aufführung interviewt, ihre Antworten sind Grundlage der Texte des Theaterabends. „Wir denken uns nichts aus, wir zitieren Betroffene“, betont Dramaturgin Pook.

Schauspieler auf der Bühne
Ensemblemitglieder tragen die Texte vor. Foto: Theater Hildesheim/Jochen Quast

Die Texte wurden von Regisseurin Ayla Yeginer geschrieben sowie von Studentinnen und Studenten des Studiengangs Kulturwissenschaften und Ästhetische Praxis der Universität Hildesheim. Vorgelesen werden sie von Mitgliedern des Ensembles. Gleich zu Beginn erläutern sie auch einige Fakten, zum Beispiel, dass die Deutsche Bischofskonferenz eine Studie über sexuellen Missbrauch in der katholischen Kirche in Auftrag gegeben hat, die 2018 beendet wurde und tausende Fälle dokumentierte. „Der Abend hat einen informativen Teil, es wird viel erklärt“, sagt Pook.

Im zweiten Teil nach der Pause kommen Spielszenen hinzu, die laut Pook mit zynischem Humor die Aufarbeitung der Missbrauchsfälle thematisieren. In einer fiktiven Talkrunde treffen Personen des öffentlichen Lebens aufeinander, die über den Umgang der Kirche mit der Schuld der Täter sprechen („Aber die Kirche hat doch gute Absichten“); in einer Quizshow treten zwei Priester als Kandidaten an und müssen Fragen beantworten, zum Beispiel, wie viele Missbrauchsfälle es wohl im Bistum Hildesheim gab? Eine weitere Szene zeigt ein Telefonat zwischen Petrus und dem Teufel. Petrus will einige verstorbene Priester nicht in den Himmel lassen, weil sie als Täter in die Hölle gehören. Der Teufel jedoch weist darauf hin, dass es Geistliche sind – die kämen doch wohl in den Himmel.

Die Pflicht, Kinder zu schützen

Als Gast auf der Bühne dabei ist Karl Haucke, ein Betroffener, der als Kind in einem katholischen Internat von einem Ordensmann vergewaltigt wurde, über Jahre hinweg. Für Karl Haucke ist es wichtig, dass die Aufführung nicht nur die Taten nennt, sondern auch die Strukturen der Vertuschung durch ein innerkirchliches System aufdeckt, welches er ein „vergiftetes System“ nennt. Haucke, der Mitglied im Betroffenenbeirat auf Bundesebene ist, betont in einem im Programmheft abgedruckten Interview, dass sexuelle Gewalt gegen Kinder ein gesamtgesellschaftliches Problem ist und jeder Mensch die Pflicht habe, Kinder zu schützen, in der Familie, in Schulen, in der Freizeit, im Leistungssport und im kirchlichen Umfeld. Er setzt darauf, dass der Theaterabend die Menschen berührt und für das Thema sensibel macht. Die Gesellschaft müsse aufwachen und die Kinder im Blick haben. Der Hildesheimer Bischof Heiner Wilmer, der die Premierenaufführung besuchte, sagte über den Theaterabend: „Ich denke, dass diese Art der Darbietung die Menschen anders erreichen kann. Wach rütteln ist gut und wichtig.“

Weitere Vorstellungen am 17. April in Wolfenbüttel, 24. April in Gronau, 14. Mai in Nienburg und 3. Mai, 17. Juni und 27. Juni in Hildesheim. Infos: www.tfn-online.de

Andrea Kolhoff