Krieg in Israel und in Gaza
„Wir gehören auf beide Seiten“
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Die Bilder, die Stephan Wahl vom Massaker des 7. Oktober gesehen hat, haben sich ihm eingebrannt: Leichen auf den Straßen, ermordete Kinder, Menschen, die in Panik vor den Hamas-Terroristen fliehen. Genauso hat er nun auch das Leid der palästinensischen Zivilbevölkerung in Gaza vor Augen: Verletzte und Tote, Krankenhäuser, die ihre Patienten nicht versorgen können, Eltern, die ihren Kindern Namen und Geburtsdaten auf T-Shirts schreiben, damit sie im Todesfall identifiziert werden können.
„Ich kenne Palästinenser, ich kenne Israelis. Ich erlebe hier in Ost-Jerusalem, wie Palästinenser darunter leiden, was in Gaza passiert“, sagt der Priester Wahl, der seit fünf Jahren in Jerusalem wohnt. Wie verhält er sich jetzt? Wie steht er zum Krieg? Auf wessen Seite schlägt er sich?
„Ich kann mich nicht für eine Seite entscheiden – und das muss ich auch nicht, darf ich nicht und will ich nicht“, sagt Wahl. „Als Christen gehören wir auf beide Seiten oder auf keine.“ Schon vor dem Terror des 7. Oktober und dem Krieg in Gaza hielt er das so: Er regte sich über die radikalen israelischen Siedler in der Westbank genauso auf wie über die Diskriminierung von Behinderten und Homosexuellen durch Palästinenser. „Als Christ versuche ich zu differenzieren und mich vor leichtfertigem Schwarz-Weiß-Denken zu bewahren.“
Das rät er auch den Menschen in Deutschland. „Sie sollten sehr vorsichtig sein mit ihren Urteilen – gegenüber beiden Seiten“, sagt Wahl. Es sei vollkommen klar, dass sich Israel kraftvoll gegen die Hamas wehren müsse, die den Staat vernichten will. Genauso müsse aber auch gesehen werden, dass das Gehabe von radikalen Siedlern und faschistoiden Gruppierungen, die von einem Groß-Israel und der endgültigen Vertreibung der Palästinenser träumen, immer bedenklicher werde.
Entscheidend ist für Wahl, jegliches Aufflammen von Antisemitismus zu bekämpfen: „Da haben wir Deutsche, insbesondere auch wir als Christen eine große Verantwortung und eine Aufgabe.“
Die Leuchtschrift verkündet: „Wir sind gegen Gewalt“
Als Christ klammert er sich an Zeichen der Hoffnung, die deutlich machen, dass Brücken zwischen Israelis und Palästinensern geschlagen werden können. Da ist die Leuchtschrift an einem Haus in seinem Viertel, die in arabischer und hebräischer Schrift verkündet: „Wir sind gegen Gewalt. Wir wollen gute nachbarschaftliche Beziehungen.“
Da ist die Menschenrechtsorganisation „Tag Meir“, die Ungerechtigkeiten auf beiden Seiten aufdeckt und versucht, Versöhnung zu stiften. Und da ist die Gewissheit, dass es in Israel immer Entwicklungen gab, mit denen die Menschen nicht gerechnet haben – etwa dass „Ministerpräsident Jitzchak Rabin, der Kriege führte, doch irgendwann Yassir Arafat die Hand gab, auch wenn es ihm schwerfiel“, wie Wahl sagt. Die Hoffnung auf einen neuen Friedensprozess sei nach dem 7. Oktober ziemlich unrealistisch: „Aber wer weiß, was in den kommenden Jahren geschieht? Ich weigere mich, die Hoffnung auf ein befriedetes Israel und ein befriedetes Palästina aufzugeben. Trotz allem.“