Vorsitzender des Zentralrats der Muslime über die AfD und Israel
Wir haben diesen Angriff mehrfach verurteilt
Foto: kna/Jannis Chavakis
Herr Mazyek, wenn Sie auf die vergangenen Jahre als Vorsitzender des Zentralrates der Muslime in Deutschland zurückblicken - auf was sind sie stolz?
Um die Jahrtausendwende herum waren die Muslime in Deutschland - vor allem nach den Anschlägen des 9. September 2001 - eine Art Angstfaktor. Ich glaube, es ist uns gelungen, durch sachliche Aufklärung und eine moderate Position, aufzuräumen mit vielen diffusen und irrationalen Ängsten. Persönlich bin ich zufrieden, dass ich als Generalsekretär ab 2002 und Vorsitzender ab 2011 meinen Job einigermaßen skandalfrei und bei Gesundheit über die Runden gebracht habe.
Gibt es etwas, was in Ihrer Amtszeit nicht so gut geklappt hat?
Ach, da gibt es natürlich ein paar Dinge. Ich hätte mir beispielsweise gewünscht, dass wir bei der strukturellen Anerkennung der muslimischen Religionsgemeinschaften in Deutschland weiter gekommen wären. Das ist ohne Frage ein offenes Thema, das sicherlich auch die nächsten Jahre prägen wird.
Unlängst hat die Ramadan-Beleuchtung in einigen Innenstädten für Diskussionen gesorgt. Ein Zeichen dafür, dass es bei der Anerkennung der Muslime in Deutschland noch hapert?
Das ist eher ein Beispiel für schrille Debatten, die von den Sozialen Medien noch einmal gepusht und von Teilen der Öffentlichkeit übernommen werden.
Kritisiert wurde unter anderem, dass die Steuerzahler, also auch Nicht-Muslime, für diese Ramadan-Beleuchtungen aufkommen.
Damit wollen die Kritiker doch nur Aufmerksamkeit erhaschen! Muslime erfreuen sich an einem Chanukka-Leuchter oder an Weihnachtsbäumen in Städten genauso wie an der Ramadan-Beleuchtung, wohl wissend, dass sie für diesen Schmuck als Steuerzahler ebenfalls mit aufkommen. Überhaupt bin ich der Überzeugung, dass wir in unserer Medienblase dazu neigen, aus einzelnen kritischen Stimmen ein Problem zu konstruieren, dass die Allgemeinheit gar nicht als solches wahrnimmt.
Gilt das auch für die Schlagzeilen um die Tauhid-Geste, die der deutsche Fußballnationalspieler Antonio Rüdiger zu Beginn des muslimischen Fastenmonats Ramadan auf Instagram postete? Spätestens, seitdem die Terroristen von Al Kaida oder dem sogenannten Islamischen Staat in den Sozialen Medien den erhobene Zeigefinger zu ihrem Markenzeichen gemacht haben, handelt es sich dabei doch mindestens um eine zweideutige Geste, oder?
Das ist Ihre Interpretation, die ich überhaupt nicht teile. Natürlich hat es in der Geschichte immer wieder Gewalttätige und Kriminelle gegeben, die religiöse Symbole und Zeichen missbrauchen. Ebenso gibt es Kriminelle, die sich zum Beispiel bekreuzigen. Aber das ist bestenfalls eine Randnotiz. Der Zeigefinger verweist auf den Glauben an die Einheit Gottes. Die öffentliche Debatte um Rüdiger demaskiert sich selbst, indem sie den Terroristen die Deutungshoheit über diese Geste zugeschrieben hat.
Naja, diesen Zeigefinger kennt man in der westlichen Medien nun einmal ausschließlich von Fundamentalisten und Terroristen. Da ist es doch zumindest unglücklich, wenn Rüdiger so posiert.
Nochmals, ich mache mir die Inszenierung von Extremisten nicht zueigen und instrumentalisiere sie schon gar nicht auf Kosten des Ansehens eines deutschen Fußballstars, der durchaus auch ein Vorbild für den Zusammenhalt und die Vielfalt der Gesellschaft darstellt.
Schauen wir nach vorn. In diesem Jahr finden mehrere Wahlen statt, bei denen die in Teilen rechtsextreme AfD mutmaßlich viele Stimmen erhalten wird. Macht Ihnen das Angst?
Ja, das besorgt uns und und treibt uns natürlich in erheblichem Maße um, weil wir zu den Teilen der Bevölkerung gehören, die als erste von einem Rechtsruck betroffen sind. Allerdings muss man dazu sagen, dass die AfD den Populismus und den Rechtsradikalismus nicht erfunden hat. Sie hat lediglich am meisten politisches Kapital geschlagen aus den schrillen Debatten, die rund um die Themen Migration und Integration geführt wurden. Wären wir beispielsweise weiter bei der staatlichen Anerkennung muslimischer Religionsgemeinschaften, dürfte es für die Rechten strategisch schwieriger sein, uns als Projektionsfläche für Hass und Ressentiments zu nutzen.
Umso erstaunlicher, dass es auch unter Muslimen AfD-Sympathisanten gibt. Wie erklären Sie sich das?
Vereinzelt gibt es das, es ist aber mehr eine Nach-mir-die-Sintflut-Option, die rational völlig gaga ist.
Warum rational völlig gaga?
Weil Muslime am Ende zu den ersten gehören, die das Nachsehen haben werden, sollte die AfD an die Macht kommen.
Im Zentralrat der Muslime gab es zuletzt zwei Vereinigungen, die unter Extremismus-Verdacht standen: Die Deutsche Muslimische Gemeinschaft DMG, der eine Nähe zur fundamentalistischen Muslimbruderschaft attestiert wird, ist zwar kein Mitglied mehr im ZMD. Aber es gibt weiterhin die ATIB, die den rechtsradikalen türkischen "Grauen Wölfen" nahe stehen soll. Wie gehen Sie damit um?
Bei der ATIB erkennen wir einen starken Willen, Handeln und auch die Bereitschaft, die Vorwürfe, mit denen sie konfrontiert sind, aufzuklären und politisch wie personell die Weichen in die richtige Richtung zu stellen. Das sollten wir verbandspolitisch nicht auch noch bestrafen und zumindest den laufenden Prozess bis zum Ende abwarten. Dass wir am Ende in der Lage sind, auch Konsequenzen zu ziehen, wenn ein Erfolg ausbleibt, haben wir in der Vergangenheit bei einigen Ex-Mitgliedern zu Genüge bewiesen.
Im Nahen Osten herrscht nach dem Angriff der palästinensischen Hamas gegen Israel Krieg. Können Sie nachvollziehen, dass die anfängliche Zurückhaltung der muslimischen Verbände bei der Verurteilung der grausamen Terrorattacke vom 7. Oktober 2023 Fragen gerade in Deutschland aufgeworfen hat?
Wir haben diesen Angriff mehrfach und auch schon direkt danach verurteilt. Tatsache ist aber auch, dass der Konflikt im Nahen Osten nicht mit dem 7. Oktober beginnt, sondern an diesem Tag nur einen weiteren, schrecklichen Höhepunkt erlebt hat.
Das Existenzrecht von Israel gehört in Deutschland wegen des von den Nationalsozialisten durchgeführten Holocaust zur Staatsräson.
Wir waren die erste deutsch-muslimische Gemeinschaft, die das Konzentrationslager Auschwitz besucht und dort eine klare Standortbestimmung vorgenommen hat. Was bedeutet es, Deutscher und Muslim zu sein? Natürlich haben wir eine Verantwortung gegenüber den Juden und eine Verantwortung gegenüber Israel.