Heizungsgesetz: Caritas fordert mehr soziale Gerechtigkeit beim Klimaschutz

"Wir müssen viele Hebel umlegen“

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Wärmepumpe. Foto: imago/IMAGEBROKER
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Moderne Heizung: Wer sich eine neue Wärmepumpe einbauen lässt, wird unabhängig vom Gaspreis.

Die Bundesregierung will noch vor der Sommerpause das neue Gebäudeenergiegesetz verabschieden. Astrid Schaffert vom Deutschen Caritasverband erklärt, wer vom Gesetz profitiert und wie klimafreundliche Politik sozial gerechter werden kann – so dass sie von den Menschen akzeptiert wird.

Das Gebäudeenergiegesetz schreibt vor, dass neue Heizungen zu 65 Prozent mit erneuerbarer Energie betrieben werden müssen. Auf Druck der FDP gelten Klimaschutzvorgaben erst ab 2028. Umweltverbände monieren, dass nach dem Verkehrssektor auch im Gebäudebereich Jahre des Stillstandes drohen. Wie beurteilen Sie das Gesetz?

Der Einstieg in die Wärmewende ist vollzogen und das ist ein bedeutsamer Schritt. Aber: Die Pflicht zum Einbau von klimaneutralen Heizungen kommt aus klimapolitischer Sicht zu spät. Deutschland muss spätestens 2045 klimaneutral sein. 

Der Caritasverband fordert seit langem rasche energetische Gebäudesanierungen und erklärt, dass vor allem ärmere Menschen am meisten vom Klimaschutz profitieren. Können Sie das erläutern?

Astrid Schaffert. Foto: privat
Astrid Schaffert leitet die AG Klimaschutz beim Deutschen Caritasverband. Foto: privat

Fest steht: Der CO2-Preis wird steigen. Das ist auf europäischer und nationaler Ebene politisch gewollt. Das bedeutet, dass das Heizen mit alten Öl- und Gasheizungsanlagen in ungedämmten Wohnungen, in denen vor allem einkommensärmere Menschen wohnen, immer teurer wird. Diese Menschen mussten bereits vor der Energiepreiskrise zehn Prozent ihres Einkommens für Energie aufwenden und konnten sich das vielfach kaum leisten. Wir sprechen nicht umsonst von einer zunehmenden Energiearmut. Gerade Einkommensärmere brauchen daher gedämmte Wohnungen mit effizienten Heizungen, weil sie dann weniger teure Energie verbrauchen.

Aber wer zahlt die neuen Heizungen und Dämmungen?

Bisher ist es den Vermietern möglich, alle energetischen Sanierungen und auch anderweitige Modernisierungsmaßnahmen über die sogenannte Modernisierungsumlage komplett auf die Mieterinnen und Mieter abzuwälzen. Künftig müssen diese Kosten gerechter aufgeteilt werden. 

Mieterschützer monieren aber, dass die Kostenverteilung beim Heizungsgesetz noch völlig offen sei. 

Aktuell sind in dem Gesetz viele blumige Worte enthalten. Die Rede ist sogar von einer neuen Modernisierungsumlage. Das würde bedeuten, dass Mieterinnen und Mieter künftig sogar noch stärker belastet werden als bisher. Die Energiewende darf jedoch auf keinen Fall allein durch die Mieter finanziert werden. Deswegen sind Nachbesserungen dringend erforderlich. 

Was heißt das konkret?

Bisher ist es so, dass die Vermieter Fördergeld bekommen und sich die energetischen Sanierungen zudem durch ihre Mieterinnen und Mieter gegenfinanzieren lassen. Am Ende profitieren die Vermieter auf diese Weise von einer Steigerung ihres Immobilienwertes, ohne dass sie selbst dazu etwas finanziell beigetragen haben.

Aber wollte nicht Wirtschaftsminister Robert Habeck eine soziale Komponente in sein Gesetz schreiben?

Die gab es im ersten Entwurf auch. Dann gab es viele Überarbeitungen. Und im Moment ist nicht geklärt, wer die Kosten für den Austausch der Heizungen tragen soll. Das ist fatal, weil damit Ängsten und Spekulationen Tür und Tor geöffnet sind. Wir haben in unserem progressiven Steuersystem nicht umsonst den Grundsatz fixiert, dass finanziell stärkere Schultern mehr tragen sollten als Schwächere. Dies muss auch auf dem Weg in die Klimaneutralität gelten. Viele Studien belegen, dass es vor allem die einkommensstärkeren Haushalte sind, die die Klimakrise verursachen. Einkommensschwächere Menschen haben einen wesentlich kleineren CO2-Fußabdruck.  

Das Gesetz soll bereits kommende Woche vom Bundestag und anschließend vom Bundesrat beschlossen werden. Was genau muss nachgebessert werden?

Klar ist, dass die Mieterinnen und Mieter nicht noch stärker belastet werden dürfen. Denkbar wäre ein Modell, das die Kosten für energetische Sanierungen zu je einem Drittel auf Staat, Mieter und Vermieter aufteilt. Zudem bräuchten wir ein Fördermodell, das sicherstellt, dass sich die Warmmiete nicht immer weiter erhöht, quasi eine Art Preisbremse für die Warmmiete. Auch bei den Fördersätzen für Hauseigentümer könnte man nachbessern. Bisher sollen sie für den Austausch der Heizungen mit 30 Prozent gefördert werden. Menschen, die bereits staatliche Hilfe wie das Bürgergeld beziehen, bekämen 50 Prozent. Aber selbst das würde viele Ärmere noch überfordern. Hier brauchen wir eine stärkere soziale Staffelung und eine Erhöhung der Fördersätze insgesamt. 

Gibt es solche Ungerechtigkeiten auch in anderen Bereichen der Klimapolitik? 

Leider ja. Der Umstieg auf Klimaneutralität fußt bisher im Wesentlichen auf zwei Säulen: auf der Bepreisung von Energie und auf Förderprogrammen. So wurde der Ausbau der Erneuerbaren Energie lange Zeit durch die EEG-Umlage finanziert. Das war eine Art Konsumsteuer, die ärmere Haushalte vergleichsweise stärker belastet als reichere. Die EEG-Umlage gibt es zwar nicht mehr, aber die CO2-Bepreisung hat die gleiche Wirkung. Auch von anderen Förderprogrammen, beispielsweise für E-Autos, haben vor allem einkommensstarke Menschen profitiert. Ärmere können sich oft kein Auto leisten; geschweige denn ein teures Elektromobil. Mit anderen Worten: Die gesamte Klimapolitik hat bisher eine gewaltige soziale Schieflage.

Wie schätzen Sie die Veränderungsbereitschaft der Bevölkerung ein? Und wie könnte die Politik diese Bereitschaft stärken?

Alle Umfragen zeigen, dass der Klimaschutz immer dann eine hohe Zustimmung erfährt, wenn er sozial gerecht ausgestaltet ist. Das haben wir letztes Jahr beim Neun-Euro-Ticket gesehen. Das war ein Riesenerfolg und zugleich Klimaschutz pur. Ein gut ausgebauter und zudem günstiger Personennahverkehr hilft, Armut zu überwinden. Diese soziale Komponente fehlt vielen Maßnahmen, auch dem Gebäudeenergiegesetz. 

Der Klimaforscher Ottmar Edenhofer hat die Regierung aufgefordert, das Heizungsgesetz einzumotten und die Energiewende über eine Anhebung des CO2-Preises zu gestalten. Was halten Sie von dem Ansatz, der auch Entlastungen über ein Klimageld vorsieht?

Die steigende CO2-Bepreisung ist unbestritten eine wichtige Säule der Klimapolitik. Um diese sozial gerecht auszugestalten, muss der Kohlenstoffpreis dringend mit der Auszahlung eines Klimageldes, also einer Rückerstattung an die Bürgerinnen und Brüger, verbunden werden. Diesen Prozess treibt die Politik leider gerade mit wenig Dynamik voran. Das bedauern wir sehr. Auch kann und darf die CO2-Bepreisung nicht die einzige Säule der Klimapolitik sein. 

Warum nicht?

Menschen, die Geld haben,  können sich höhere Energiepreise leisten – und weiterhin viel CO2 ausstoßen. Klimaschutz muss aber verbindlich für alle gelten. Ergänzend zur CO2-Bepreisung braucht es also  Ge- und Verbote, wie es sie in jedem Lebensbereich gibt. Stellen Sie sich einfach mal den Straßenverkehr ohne verbindliche Regelungen vor, wenn man plötzlich an einer roten Ampel nur noch anhalten soll, aber nicht mehr muss.

Die Frage der Gerechtigkeit wird in den nächsten Monaten und Jahren bei allen klimapolitischen Themen mitschwingen. Was sind die entscheidenden Hebel für eine sozial gerechte Energiepolitik?

Klimapolitik ist aus dem Stadium raus, in dem es nur einen Hebel gibt. Wir brauchen viele Hebel, die wir gleichzeitig umlegen müssen. Und genau das ist leider ein Teil des Problems, weil dadurch in vielen gesellschaftlichen Bereichen Unruhe entsteht. 

Wie könnte die Politik sicherstellen, dass einerseits die wirklich Bedürftigen bei der Energiewende unterstützt werden – andererseits aber auch die in Wahrheit nicht Bedürftigen nicht zu sehr vom Staat subventioniert werden?

Wir brauchen eine stärkere soziale Staffelung der Förderprogramme, etwa bei den E-Autos. Auch beim Deutschlandticket könnten wir uns vorstellen, es für Geringverdienende noch etwas günstiger zu machen. Gerade aus sozialer Sicht ist der Ausbau der Erneuerbaren Energien ein Riesenthema. Denn: Die Erneuerbaren sind die einzigen Energien, die vergleichsweise günstig und geringen Preisschwankungen unterworfen sind. Zudem sollte man die Maßnahmen zur Klimarettung lieber durch höhere Steuern für Vermögende finanzieren als über Abgaben, die alle Bürgerinnen und Bürger bezahlen müssen, von denen aber die Industrie zum Teil ausgenommen war, wie das bei der EEG-Umlage der Fall war.

Was muss sich noch ändern, damit der Kampf gegen die Klimakrise Erfolg hat?

Wir müssen insgesamt weniger Energie und Ressourcen verbrauchen. Die fossilen Energien durch Erneuerbare zu ersetzen wird dafür allein nicht reichen. Wir müssen auch über Genügsamkeit sprechen, denn wir alle müssen einen klimaschonenden Lebensstil anstreben. Das müssen auch die Kirchen wieder mehr in die Debatte einbringen. Die politischen Parteien allein scheinen damit zum Teil überfordert zu sein.
 

Andreas Kaiser