Fragerunde mit Bischof zu Missbrauchsfall in Ostercappeln

"Wir sind blind gewesen"

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Enttäuschung und Wut zeigte sich in den Redebeiträgen der Anwesenden, als Bischof Franz-Josef Bode in Schwagstorf zur Fragestunde kam. Ein Priester aus der Pfarreiengemeinschaft Ostercappeln ist des Missbrauchs beschuldigt.


„Zu wenig den Blick der Betroffenen gesehen.“ Bischof Franz-Josef Bode während der Diskussion in Schwagstorf. Foto: Thomas Osterfeld

„Herr Bischof, wie definieren Sie eine Liebesbeziehung?“ Diese Frage stellte eine Frau, die an der Versammlung der Pfarreiengemeinschaft im Veranstaltungszentrum Schwagstorf teilnahm, und sie formulierte sie mit scharfer Betonung. Vielleicht hatte sie auf eine einfache Antwort gehofft, eine Antwort wie: „Eine Liebesbeziehung ist eine sexuelle Beziehung zwischen zwei Menschen, die sich respektieren und auf Augenhöhe begegnen, wobei beide erwachsen sein sollten und keine Abhängigkeiten zwischen den Beteiligten bestehen dürfen.“ 

Die Veranstaltung am vergangenen Sonntag war bereits die fünfte Versammlung, in der sich die Gemeindemitglieder mit den Missbrauchsvorwürfen gegenüber einem Priester, der in Ostercappeln wohnt, auseinandersetzten. Pfarrer Thampi Thomas Panangatu sagte, man sei nun mit dem Bischof zusammengekommen, „um sich zu informieren und Betroffenheit zu äußern“. 

Die Fragestellerin zielte mit ihrem Redebeitrag offenkundig darauf ab, dass in der Studie der Universität Osnabrück zu Missbrauchsfällen im Bistum das Fallbeispiel des Beschuldigten „F.H.“ erwähnt wird und laut Studie die Vorfälle in den Akten des Bistums als Taten einer „Liebesbeziehung“ geführt werden. 

Eine Betroffene hatte erstmals Mitte der 1990er Jahre im Gespräch mit Weihbischof Kettmann gemeldet, dass der Beschuldigte sie seit Mitte der 1980er Jahre belästigt und an den Genitalien berührt hatte – damals war sie 14 Jahre alt – und dieses Verhalten weiterging. Der Priester hatte sich vor den Vertretern des Bistums gerechtfertigt und von einer Liebesbeziehung gesprochen. Dieser Terminus setzte sich in den Akten zu diesem Fall fort. Es wird also die Rechtfertigung des Beschuldigten übernommen; das bringt offenbar viele Menschen, die selbst Teenagertöchter haben oder hatten, auf die Palme.

Frage nach "Liebesbeziehung" ist bezeichnend dafür, wie mit dem Fall umgegangen wurde

Auf die Frage, wie er nun eine Liebesbeziehung definiert, antwortete Bischof Bode dann in der Versammlung: Ja, es könne vorkommen, dass ältere Menschen jüngeren gegenüber eine Verliebtheit spüren, zum Beispiel in Schulen, doch dem dürften sie auf keinen Fall nachgeben. In diesem Fall sei man davon ausgegangen, dass die Liebesbeziehung erst später entstanden sei. Er selbst hat mit der Frau nie gesprochen. 

Die Frage aus dem Publikum ist im Grunde Dreh- und Angelpunkt des Unverständnisses darüber, wie mit dem Fall umgegangen wurde: dass nicht die Sicht der Betroffenen, sondern des Beschuldigten eingenommen wurde. Das sei ein Fehler, gab Bode zu. Man habe bei den Missbrauchsvorwürfen viel zu wenig vom Blick der Betroffenen her gedacht. „Wir sind blind gewesen, haben die Belange der Betroffenen nicht genug beachtet.“ Er habe nicht damit gerechnet, dass die Studie, die er selbst in Auftrag gegeben hat, so viele Verletzungen der Sorgfaltspflicht feststellen würde.

Bode erläuterte, dass er als Bischof in einem Dilemma stecke. Bei der Priesterweihe legten die Priester ein Gehorsamsversprechen gegenüber ihrem Bischof ab. Von ihm als Bischof werde erwartet, dass er als Seelsorger für die Priester da sei. „Deshalb habe ich eine Doppelrolle, ich bin Vater und Seelsorger für die Geistlichen und muss auch der Richter sein, der ihn bestrafen muss.“ Das sei schwierig, „weil man immer zuerst an den Schutz des Täters und der Kirche denkt“.

Warum ist der Bischof nicht zurückgetreten?

Im Verlauf der Debatte zeigten sich viele Ehrenamtliche empört, dass durch das Verhalten des Bistums Vertrauen in die Kirche verloren gegangen ist. Auf die Frage, warum er nicht zurückgetreten sei, antwortete Bode, er wolle den Weg der Aufarbeitung in den Jahren bis zu seinem Ruhestand  vorantreiben. Ein Zuhörer sagte, das überzeuge ihn nicht, es habe sich seit 2010 im Bistum doch wohl nichts geändert: „Das ist Ihre Verantwortung.“ 

Außerdem ging es um die Zukunft des Beschuldigten, der als Rentner gern in Ostercappeln wohnen bleiben würde. Dem Priester ist vom Bistum ein Zelebrationsverbot auferlegt worden. Bischof Bode würde befürworten, wenn er den Wohnort wechselt. Während eine Dame empört war, dass F.H. Bezüge des Arbeitgebers erhält (Bode: „Im Kirchenrecht gibt es nur entlassen und nicht entlassen.“), äußerte eine andere Frau den Wunsch, mit dem Beschuldigten sprechen zu können, um seine Sicht zu erfahren. 

Der Priester war bei vielen Menschen beliebt und hat einige für ein Engagement in der Kirche begeistert. Marita Sack, Vorsitzende des Pfarrgemeinderats in Schwagstorf, sagt, es wäre gut gewesen, wenn das Bistum Mitte der 1990er Jahre, als die Vorwürfe aufkamen, richtig gehandelt hätte. 

Andrea Kolhoff


Chronik

Abläufe im Fall „F.H.“

- Für die wissenschaftliche Studie der Universität Osnabrück zu Missbrauchsfällen wurden Akten des Bistums ausgewertet. Für das Fallbeispiel F.H. ergibt sich folgender Ablauf:

- Mitte der 1990er Jahre wandte sich die Betroffene an das Bistum. Der Beschuldigte wurde dazu befragt und ermahnt.

- 2010 wurden im Bistum Personalakten gesichtet und auf Missbrauchsverdacht hin untersucht. Im Erfassungsbogen wurde der Fall als „langjährige Freundschaft/Beziehung zu einer anfangs 16- bis 18-Jährigen“ betitelt.

- Nach Veröffentlichung der  MHG-Studie, die deutschlandweit Fälle auflistete, begann die Staatsanwaltschaft mit Ermittlungen. Die Betroffene wurde polizeilich vernommen.

- F.H. bat 2019 um Entbindung von der seelsorglichen Gemeindearbeit. Später wurde er in den Ruhestand versetzt. 

- 2020 meldete sich ein ehemaliger Freund der Betroffenen und äußerte den Verdacht, dass es in den 1990er Jahren weitere Betroffene gegeben habe.

- Ende 2021 bat die Betroffene um ein Gespräch mit der Bistumsleitung. 2022 schickte das Bistum die Akten zur Prüfung durch die Glaubenskongregation nach Rom.