Abt Nikodemus Schnabel hofft auf einen gesellschaftlichen Wandel im Heiligen Land
"Wir sind in einem spannenden Moment"
Foto: kna/Afif Amireh
An Pfingsten ist Nikodemus Schnabel zum Jerusalemer Benediktiner-Abt geweiht worden - in einer Zeit, in der die Lage der Christen im Heiligen Land als schwierig gilt. Im Interview spricht er über seine Hoffnung und seine Erwartungen an die israelische Gesellschaft und Religionsführer.
Pater Nikodemus, mit der Weihe zu Pfingsten haben Sie ihre bisherige Aufgabe als Patriarchalvikar des Lateinischen Patriarchats abgegeben. Haben Sie ein Programm für ihre neue Aufgabe in der Dormitio-Abtei?
Die Abts-Benediktion war für mich als liturgisch fühlenden Menschen eine bewegende Wegmarke. Seit meiner Wahl vor vier Monaten war ich eher Abt im Nebenamt, weil ich weiterhin für die rund 100.000 katholischen Migranten und Asylsuchenden in Israel zuständig war. Nun bin ich dort nicht mehr in verantwortlicher Position - ich gebe zu, dass ich schweren Herzens gehe. Jetzt bin ich Vollzeit-Abt, meine Energie gilt meinen Mitbrüdern und den beiden Klöstern auf dem Zionsberg und in Tabgha. Allerdings bin nicht der Typ, der mit einem Programm in ein neues Amt hineingeht.
Wie ist Ihre Nachfolge im Vikariat für Migranten und Asylsuchende geregelt?
Das Patriarchat ist hier einen guten neuen Weg gegangen. Das Vikariat wird künftig von einer Doppelspitze geleitet. Mein Nachfolger mit dem Titel des Patriarchalvikars ist der indische Geistliche Matthew Marcel Coutinho, Salesianer und Professor für Moraltheologie, der bereits seit sieben Jahren für das Vikariat arbeitet. Er ist für die Priester und die Gemeinden zuständig. Für alle Pastoralzentren, die Kinderkrippen, Horte und das Kinderheim sowie für alle Ordensfrauen des Vikariats ist die deutsche Benediktinerin Gabriele Penka als Administratorin verantwortlich. Die beiden arbeiten bestens zusammen.
Sie treten Ihr Amt in einer angespannten und für die christliche Minderheit schwierigen Zeit an. Seit Jahresbeginn gab es mehrere Vandalismus-Anschläge auf Christen. Ist es inzwischen besser?
Nein, im Gegenteil, die Lage ist kontinuierlich katastrophal. Dafür sorgt auch die gegenwärtige Regierung, die dazu beiträgt, dass der Hass nicht abnimmt. Zuletzt hat es sogar einen Angriff von extremistischen Juden auf Evangelikale gegeben, die ja zu den wenigen Unterstützern der derzeitigen israelischen Regierung gehören. Aber so sehr ich mich von der derzeitigen israelischen Regierung als Christ im Stich gelassen fühle, so sehr bin ich ermutigt von der Verteidigung von uns Christen durch die israelische Zivilgesellschaft - die nicht will, dass der Rechtsstaat Israel von der gegenwärtigen Regierung ausgehebelt wird. Soeben hat Israels Oberrabbiner Shlomo Moshe Amar in einer offiziellen Erklärung die Beleidigungen und Attacken gegen Christen als "verantwortungslos" bezeichnet und "strengstens verboten".
Gibt es konkrete Hoffnungszeichen?
Zum 16. Juni haben israelische Wissenschaftler und Kulturträger zu einer Konferenz in Jerusalem eingeladen, die solche Formen der Feindseligkeit erfasst und analysiert - unter dem Titel: "Warum spucken einige Juden Nichtjuden an?" Denn das ist inzwischen so alltäglich; es geht nicht mehr darum, ob ich angespuckt werde, sondern wie oft. Ich finde es großartig, dass dies nun thematisiert wird. Amar ist die erste prominente Stimme, die sich jetzt zu diesen Übergriffen gemeldet hat - bezeichnenderweise ein Religionsführer, während die Politik versagt. Das für den Kontakt zu den Religionsgemeinschaften zuständige Außenministerium will die Konferenz boykottieren.
Wie reagiert die Regierung auf Übergriffe gegen Christen?
Von dort hören wir immer, sehr allgemein: Wir verurteilen jede Verletzung der Religionsfreiheit in Jerusalem. Aber wenn wir einen konkreten Fall vortragen, gibt es keine konkrete Reaktion. Die Politik war immer leise. Aber jetzt gibt es eine neue Qualität. Die Brandstifter unseres Klosters von Tabgha 2015 wurden anwaltlich von Itamar Ben Gvir verteidigt. Der ist jetzt für die nationale Sicherheit verantwortlich und sitzt auf der Regierungsbank. Das ist eine neue Dimension.
Sehen Sie einen Ausweg aus dieser Situation?
Wir sind an einem Scheideweg, in einem spannenden Moment. Es ist beachtlich, wie viele Menschen aus der Zivilgesellschaft jetzt aufstehen und demonstrieren. Auf der anderen Seite besteht Hass. Ich habe nie einen so tiefen Hass mir gegenüber gespürt wie zuletzt. Durch die neue Regierung hat das spürbar Auftrieb bekommen. Für Minderheiten sind schwierige Zeiten angebrochen. Meine Hoffnung ist, dass die Zivilgesellschaft aufsteht und wir gleichsam eine Art neue Staatsgründung Israels erleben. Denn nicht wenige Menschen fühlen sich im Land inzwischen heimatlos, beantragen europäische Pässe, denken ans Auswandern.
Als Benediktiner, erst recht als Vollzeit-Abt, sind Sie zur "Stabilitas loci", zur Bindung an ihr Kloster angehalten. Bisher waren Sie eng vernetzt, hatten viele Aufgaben und Kontakte, die mit Reisen verbunden waren. Wir es für Sie jetzt ruhiger?
Es wird nicht ruhiger, aber anders. Ich habe durch die beiden Klöster, durch das Theologische Studienjahr und die Jugend- und Behindertenbegegnungsstätte Beit Noah genügend Aufgaben, die weiterhin Vernetzungsarbeit erfordern. Es gibt Oblaten, Freundeskreise, wieder mehr offizielle Politikerbesuche in Jerusalem. Mir wird es nicht langweilig. Und die Reisetätigkeit dürfte kaum weniger werden, wenn auch anders und jeweils kürzer. Denn letztlich geht - ungeachtet aller Video-Konferenzen - nichts über persönliche Begegnungen. Ich freue mich. Ich habe wunderbare Mitbrüder an zwei wunderbaren Klosterstandorten mit wunderbaren Aufgaben.
Aber Sie leben im Moment noch auf einer Baustelle, deren Ende freilich abzusehen ist. Sind Sie auf gutem Weg?
Ich bin dem Auswärtigen Amt sehr dankbar für die Förderung, und auch hier meinem Mitbruder Pater Basilius, der als fast immer präsenter "Bau-Mönch" mit Herzblut seine Energie einsetzt hat. Jetzt stehen wir vor der Herausforderung des Neu-Einzugs. Wir haben diese herrliche Kirche und das herrliche Kloster, die uns neu anvertraut sind und die wir mit Leben füllen dürfen. Wie wollen wir Mönche sein, welche Tagesordnung wollen wir, wie die Klausur und die Gastfreundschaft gestalten? Das ist eine wunderbare Stunde Null. Mein Programm ist: zuhören und gemeinsam mit den Brüdern diese Suchbewegung vollziehen.