Werbung für Religionsunterricht

„Wir sind noch da!“

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Überall stemmen sich die Kirchen gegen das sinkende Interesse der Schulkinder am Religionsunterricht. So auch in Berlin und Brandenburg, wo sie vor Beginn des Schuljahres mit großflächigen Plakaten für „Reli“ geworben haben.

Den Kindern beibringen, mit Gott die Welt ein wenig besser zu verstehen – das ist erklärtes Ziel von „Reli“.    Fotos: Erzbistum Berlin

 

„Glaubt Gott an mich?“, fragt der junge Schüler – und reißt ein Stück Tapete ein, hinter der die Welt zum Vorschein kommt. Wie – oder besser: wo – junge Menschen vielleicht eine Antwort auf diese und andere große Fragen finden können, das steht gleich darunter: „Religionsunterricht“. Neun Quadratmeter waren die Plakate groß und damit kaum zu übersehen, an über 150 Orten in Berlin und Brandenburg.
„Wir wollen in Reli die Fragen der Kinder aufgreifen, wollen wissen, was sie beschäftigt und auch, was sie bedrückt“, sagt Claudia Bütow, Fachleiterin für Religionsunterricht beim Erzbischöflichen Ordinariat in Berlin. Dieser Ansatz sollte auch auf den Plakaten zum Ausdruck kommen.
Wie sind die Menschen in der Bibel damit umgegangen, wenn sie in Not waren, Angst um ihre Familie oder ihre Existenz hatten? Welche Rolle hat Gott dabei gespielt, wie hat der Glaube an ihn den Menschen geholfen? Fragen dieser Art sollen die Kinder in „Reli“ stellen dürfen.

Ohne Bildschirm geht es heute gar nicht mehr – oder?

 

Neue Wege beschreiten wegen Corona
„In Berlin war der Tag der offenen Tür für uns bisher immer die Gelegenheit, auf die Kinder und Eltern zuzugehen“, so Claudia Bütow. Wegen Corona seien diese und andere klassische Möglichkeiten aber entfallen. „Auch deshalb hatten wir das Gefühl, wir müssen da jetzt ein Stück weit nachlegen und zeigen: Uns gibt es noch, wir sind noch da!“ Und dafür auch mal bis dato ungewöhnliche Wege beschreiten. Also wurde im Eiltempo eine Werbefirma mit der Anfertigung des Motivs beauftragt. „Es musste ganz zackig gehen, dabei ist solch eine Kampagne ja nicht von heute auf morgen umgesetzt“, sagt Claudia Bütow.

Die Glaubensgeschwister mit ins Boot geholt
Recht früh habe hingegen festgestanden, die Evangelische Kirche Berlin-Brandenburg-schlesische Oberlausitz (EKBO) mit einzubeziehen, die ebenfalls mit sinkenden Teilnehmerzahlen zu kämpfen hat. Schon in der Vergangenheit habe man hier und da gut zusammengewirkt, allerdings wären diese Bemühungen zwischenzeitlich etwas eingeschlafen. „Dabei sitzen wir ja in vielerlei Hinsicht im selben Boot“, so Claudia Bütow.
Jedenfalls war die EKBO einverstanden mit der Motivgestaltung und erhielt ihren eigenen viereckigen QR-Code auf dem Plakat zum Abscannen mit dem Smartphone – gleich neben dem Erzbistum Berlin. Mit einem solchen QR-Code gelangen Passanten blitzschnell auf die Website und werden mit Infos versorgt.
Weil die Abstimmung gut geklappt habe, sei das Erzbistum Berlin aufgeschlossen für weitere gemeinsame Aktionen mit der EKBO in der Zukunft, erklärte Claudia Bütow.

Das Smartphone stets zur Hand: Bei der Gestaltung des Werbematerials (hier eine Postkarte) wurde die Lebensrealität junger Menschen bewusst berücksichtigt.

 

Immer weniger besuchen Religionsunterricht
Seit einigen Jahren nehmen in Berlin und Brandenburg, prozentual gesehen, immer weniger Kinder am Religionsunterricht teil. Betraten im Schulahr 2010/11 noch 25 021 Schüler das Klassenzimmer für den katholischen Reli, waren es 2019/20 (jüngere Zahlen existieren nicht) nur noch 23 300.
Dabei war die Zahl der Berliner Schüler im gleichen Zeitraum stark angestiegen, um beinahe 40 000 auf schultypenübergreifend insgesamt 365 942. Womöglich ein Mitgrund: In Berlin ist Religion kein festes Schulfach, sondern nur freiwilliges Zusatzfach.
Stattdessen führte der Berliner Senat 2006 „Ethik“ für alle verpflichtend ein. Hier erfahren die Schüler zwar auch etwas über die verschiedenen Glaubensrichtungen, ansonsten ist das Fach aber religiös und konfessionell neutral. Kinder, die „echten Religionsunterricht“ bevorzugen, müssen also beide Fächer besuchen und damit einen volleren Stundenplan in Kauf nehmen als ihre Mitschüler.

ZAHLEN

In den anderen ostdeutschen Bundesländern

... stellt sich die Situation ähnlich dar wie in Berlin und Brandenburg.
Dies belegen die Anteile der Schüler, die „Reli“ belegt haben, im Verhältnis zur Gesamtschülerschaft (vorn die Werte zum katholischen, in Klammern zum evangelischen RU):

M.-Vorpommern:
      2015/16: 0,48 % (30,9)
      2019/20: 0,46 % (27,5)
Sachsen:
      2015/16: 1,47 % (17,8)
      2019/20: 1,31 % (16,3)
Sachsen-Anhalt:
      2015/16: 0,57 % (13,5)
      2019/20: 0,62 % (11,7)
Thüringen:
      2015/16: 4,91 % (18,9)
      2019/20: 4,55 % (16,7)

Quellen: Kultusministerkonferenz/Statistisches Bundesamt

2007 hatte sich die Initiative „Pro Reli“ dafür eingesetzt, dass Schüler und Eltern selbst zwischen Ethik und Reli entscheiden dürfen. Zwei Jahre später kam es zum Volksentscheid, in dem die Mehrheit der Berliner gegen eine Gesetzesänderung stimmte.
Anders ist es in Brandenburg. Dort dürfen sich die Schüler seit 2002 von „Lebensgestaltung – Ethik – Religion“ (LER) befreien lassen und stattdessen den Religionsunterricht wählen. Doch auch hier sind die Zahlen rückläufig: Besuchten 2010/11 laut epd noch 5100 Schulkinder den katholischen Religionsunterricht, waren es im vergangenen Schuljahr 2020/21 nur noch 4929. Und das, obwohl die Zahl der Schüler in Brandenburg im gleichen Zeitraum deutlich um 20 000 auf 294 698 gestiegen ist.

Nicht genug Lehrpersonal vorhanden
Indirekt richten sich die Plakate nicht nur an die Schüler, sondern auch an die Lehrer. „Der Lehrkräftemangel macht sich auch bei uns bemerkbar. Wir können nicht einmal alle Anfragen der Schulen nach Reli-Lehrern bedienen. Der Unterricht muss dann leider entfallen.“ Auch dieser Umstand trage zu abnehmenden Teilnehmerzahlen bei.
Ob und wie viel Wirkung die Plakatwerbung zeigt, sei schwierig zu bemessen. Eine statistische Auswertung ist laut Claudia Bütow bisher nicht angedacht. Generell sind alle Interessierten herzlich willkommen: „Wir freuen uns über alle, die zu uns in den Unterricht kommen.“
Ermunterndes Feedback, erzählt Claudia Bütow, habe sie übrigens von ihren Lehrerkollegen erhalten. „Viele haben sich bei mir gemeldet und gefreut: Endlich haben wir Reli und uns als Kirche allgemein wieder mal selbstbewusst in der Öffentlichkeit gezeigt.“

Von Stefan Schilde