Interview mit Gerhard Poppe zum Bistumjubiläum von Dresden-Meißen
„Wir wollen raus aus der Nische“
Das heutige Bistum Dresden-Meißen wurde vor 100 Jahren wiedererrichtet. Das Jubiläum ist auch Anlass für historische Aufarbeitung der Bistumsgeschichte. Foto: kna |
Herr Professor Poppe, Sie haben gemeinsam mit Dr. Albrecht Voigt das Buch „Bistum Dresden-Meißen 100 Jahre Wiedererrichtung“ herausgegeben. Welchen Beitrag will das Buch zum Bistumsjubiläum leisten?
Das Buch will anregen, im Jubiläumsjahr innezuhalten und aus der Kenntnis der Geschichte Perspektiven für die Fragen aufzeigen, die uns in Zukunft beschäftigen werden.
Das Buch ist keine fortlaufende Geschichtsdarstellung, sondern eine Sammlung verschiedener Beiträge, die die Vielgestaltigkeit des Bistums deutlich machen. Welche Aspekte sind Ihnen besonders wichtig?
Gerade diese Vielgestaltigkeit ist uns wichtig. Deshalb haben wir die Themen so ausgewählt, dass jeder Text für sich gelesen werden kann, aber alle zusammen trotzdem ein Ganzes bilden – ohne Anspruch auf Vollständigkeit. Abgesehen von den ersten vier Beiträgen, die sich mit der Geschichte vor 1921 beschäftigen, gibt es drei Typen von Texten – solche, die einen bestimmten Zeitabschnitt wie die DDR-Zeit oder die Zeit seit der Deutschen Einheit behandeln, dann Texte, die Längsschnitte über Teilbereiche für 100 Jahre herstellen, und außerdem Texte, die Einzelereignisse wie das Leipziger Oratorium oder die beiden Synoden in den Mittelpunkt stellen.
Die Auswahl der Beiträge hat auch mit dem Zustandekommen des Buches zu tun. Wir haben nach Autoren gesucht, die sich mit einem Thema schon einmal gründlich beschäftigt haben und aus der Fülle ihres Detailwissens schöpfen können. Das ist in vielen Fällen auch gelungen.
Gerhard Poppe: Beschäftigung mit der Geschichte ist nicht nur ein Thema für wenige Spezialisten, sondern ein genuin geistliches Tun. |
Neben dem Buch wird es im März ein Online-Kolloquium zum Bistumsjubiläum geben. Außerdem wird ein Heft der Sächsischen Heimatblätter vom Zentrum für Kultur und Geschichte das Thema aufgreifen. Diese drei Dinge stehen in einem Zusammenhang.
Das Buch will das Thema den interessierten Laien nahebringen. In der Tagung geht es dagegen konsequent um Bereiche der Bistumsgeschichte, die von der bisherigen Forschung vernachlässigt wurden. Deshalb sind zum Beispiel die beiden Synoden dort kein Thema, während dem Leipziger Oratorianer Werner Becker oder den Leipziger Gesangbüchern im 18. Jahrhundert eigene Vorträge gewidmet sind. Die Sächsischen Heimatblätter greifen weitere Themen auf, die weder in unserem Buch noch bei der Tagung Berücksichtigung fanden, aber eine Behandlung verdienen. Dazu gehören zum Beispiel die Dresdner Hofkirchenmusik, die vier Pfarreien des Bistums, die nach Ende des Zweiten Weltkrieges zu Polen gekommen sind, oder Pater Georg von Sachsen, der letzte sächsische Kronprinz, der nach dem Zusammenbruch der Monarchie Priester wurde und später bei den Jesuiten eintrat.
Welche Zielgruppen haben Sie bei diesen Aktivitäten im Blick?
Neben den Katholiken gibt es in Sachsen eine Menge geschichtsinteressierter und geschichtsbewusster Zeitgenossen mit christlichem und auch nichtchristlichem Hintergrund. Die wollen wir ansprechen. Außerdem denke ich bei unserem Buch besonders an Gemeindemitglieder, die nach der Deutschen Einheit aus dem Westen zugezogen sind. Andererseits wollen wir nicht eine katholische Nische bedienen, sondern suchen ausdrücklich den Bezug zur sächsischen Regionalgeschichte. Deshalb arbeiten wir mit dem Zentrum für Kultur und Geschichte und bei unserer Tagung mit dem Institut für Sächsische Geschichte und Volkskunde zusammen.
Lassen Sie uns zu einigen inhaltlichen Fragen kommen: Der Titel des Eröffnungsvortrages zum wissenschaftlichen Kolloquium bezeichnet das Bistum Dresden-Meißen als „Exot unter den deutschen Diasporabistümern“. Was macht diese Exoten-Rolle aus?
Vor dem Hintergrund der Standarderzählung zum „Wiedererwachen des katholischen Lebens in den Gebieten, die vollständig von der Reformation betroffen waren“ gibt es im Bistum Dresden-Meißen eine Reihe von Besonderheiten – das Erbe der Lausitz, das katholische Königshaus in Sachsen, das Leipziger Oratorium mit einer Ausstrahlung auf die liturgische Bewegung im gesamten deutschen Sprachraum, das komplizierte Rechtsverhältnis zwischen den Domkapiteln Meißen und Bautzen. Diese Aufzählung ließe sich leicht verlängern.
Sie selbst werden in einem Vortrag über das Thema „Katholisches Singen in den sächsischen Erblanden nach der Reformation“ sprechen. Welche Aspekte bringt dieses Thema zur Bistumsgeschichte ein?
In den letzten Jahrzehnten gab und gibt es ein wachsendes internationales Interesse an der Dresdner Hofkirchenmusik. Für die gleichzeitig in Leipzig entstandene katholische Gemeinde gab es nichts Vergleichbares, dafür aber eigene gedruckte Gesangbücher. Darauf bin ich erst vor kurzem gestoßen und glaube, dass das selbst in Leipzig heute kaum bekannt ist. Und wer nach der Geschichte des geistlichen Lebens fragt, stößt zwangsläufig auf Gesangbücher und ihre praktische Bedeutung. Insgesamt ist die Gesangbuchgeschichte des Bistums Dresden-Meißen noch wenig erforscht; da lohnt sich ein dezidierter Hinweis allemal.
Die Gesangbücher sind also eine der offenen Fragen zur Bistumsgeschichte. Erhoffen Sie sich von den Aktivitäten zum Bistumsjubiläum weitere Impulse zu historischen Forschungen?
Die Wunschliste möglicher Themen kann schnell lang werden und offene Fragen gibt es mehr als genug. Über Einzelthemen hinaus ist mir aber bei den vorbereitenden Gesprächen zum Bistumsjubiläum etwas Wichtiges aufgegangen: Beschäftigung mit der Geschichte ist nicht nur ein Thema für wenige Spezialisten, sondern ein genuin (echtes) geistliches Tun: Sich der eigenen Herkunft bewusst zu werden, ist eine Voraussetzung, um den Weg in die Zukunft weiter zu gehen.
Interview: Matthias Holluba
Buch und Tagung |
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Das Buch zum Jubiläum „Bistum Dresden-Meißen: 100 Jahre Wiederbegründung“ herausgegeben von Gerhard Poppe und Albrecht Voigt ist im St. Benno Verlag Leipzig erschienen (ISBN 978-3-7462-5709-9, Preis: 16,95 Euro). Ein wissenschaftliches Kolloquium zur Bistumsgeschichte findet als Online-Veranstaltung vom 18. bis 20. März statt. Das Programm im finden Sie im Internet. Anmeldung bitte bis zum 16. März unter: www.isgv.de/100jahrebistum; Hinweise zum Zugang erhalten Sie nach der Anmeldung. |