Wo alles zusammenfließt
Die Zahl der Seebestattungen steigt, doch insgesamt sind es nur wenige. Eindrücke von einer letzten großen Fahrt auf die Ostsee bei Kiel.
Manche Badegäste schauen verdutzt, als eine Familie an diesem heißen Sommertag in schwarzer Kleidung über den Deich geht. Ziel der Gruppe ist der nahe Anleger, wo bereits die „MS Seewind“ wartet. Auf dem Oberdeck ist die Urne mit der Asche der verstorbenen Mutter und Großmutter der Familie aufgebahrt – geschmückt mit Blumen und einem Schiffstau.
„Mein Vater wurde bereits vor 19 Jahren auf der Ostsee bestattet“, sagt die Tochter der Verstorbenen. „Nun soll meine Mutter an derselben Stelle beigesetzt werden.“ Der Vater liebte das Reisen und die weite Welt und entschied sich deshalb für die Seebestattung. Die Mutter schloss sich diesem Wunsch an. Die Familienmitglieder sind aus Hessen und Bayern angereist und haben die Bestattung mit einem Urlaub in dem Örtchen Stein am Ostufer der Kieler Förde verbunden, wo heute auch das Schiff startet.
Kapitän und Bestatter Heinz Beutler steuert die „MS Seewind“ zu der Position, an der vor 19 Jahren die Asche des Vaters dem Meer übergeben wurde – gut drei Seemeilen von der Küste entfernt, wie es das schleswig-holsteinische Bestattungsgesetz vorschreibt.
Als der Zielort erreicht ist, verstummt der Schiffsmotor. Die Angehörigen versammeln sich auf dem Oberdeck, wo sich Kapitän Beutler neben der Urne postiert und in einer Trauerrede das Leben der Verstorbenen Revue passieren lässt. „Solange es das Meer gibt, solange gibt es Hoffnung. Denn die Sehnsucht, die das Meer in uns weckt, ist ein Gefühl, das wir schon ewig kennen“, sagt Beutler. „In diesem Sinne verabschieden wir uns in Würde und Respekt von unserer Verstorbenen, die ihr Leben vollendet hat und in ihrem Tod nun endgültig Frieden finden möge – an dem Ort, an dem alles wieder zusammenfließt und sie jetzt symbolisch mit ihrem Mann wiedervereint ist.“
Der Matrose nimmt die Urne und trägt sie auf das Hauptdeck. Beutler läutet die Schiffsglocke mit vier Doppelschlägen – das Signal für den Wachwechsel und damit ein Symbol für den Übergang vom Leben zum Tod. Zusammen mit dem Sohn der Verstorbenen lässt der Matrose die Urne an der Steuerbordseite – der Ehrenseite des Schiffs – mit einem Tau langsam herab. Als sie die Wasseroberfläche erreicht hat, lässt der Sohn das Tau los. Die Urne verschwindet in der Ostsee, wo sie sich schon bald auflösen und die Asche sich am Meeresgrund absetzen wird.
Eine Begleitung durch Geistliche ist möglich
Die Familienmitglieder werfen Blumen ins Wasser. Während sie aufs Meer schauen, umkreist die „MS Seewind“ drei Mal die Stelle. Auf Pfeifkommandos des Kapitäns wird die Nationalflagge, die bisher symbolisch auf Halbmast hing, zum letzten Gruß gedippt und wieder vollständig gehisst. Dann geht es zurück zum Anleger.
Firma Beutler bietet seit über 30 Jahren Seebestattungen an. Heinz Beutler übernahm Ende der 1990er Jahre das kleine Bestattungsunternehmen seines Vaters. „Eigentlich wollte ich Lotse werden“, sagt Beutler. Doch als sein Vater erkrankte, fühlte er sich der Familientradition verpflichtet. Heute ist er geprüfter Bestatter, Trauerredner und Trauerbegleiter. Doch auf See ist auch die Begleitung durch einen Geistlichen möglich.
Nach Angaben des Bundesverbands Deutscher Bestatter hat sich die Nachfrage nach Seebestattungen in den vergangenen zehn Jahren etwa verdoppelt. Insgesamt machen sie aber weiterhin nur einen Anteil von zwei Prozent aller Bestattungen aus.
Anja Beutler, die gemeinsam mit ihrem Mann die Firma in Stein führt, sagt, dass eine Seebestattung in der Regel deutlich günstiger sei als eine Erdbestattung. „Der finanzielle Aspekt spielt aber bei den meisten Menschen keine Rolle“, sagt sie.
Gegen eine Beisetzung zu Wasser spricht für viele Menschen der fehlende Trauerort. Nicht jeder Angehörige kommt laut Bestatterverband im Nachhinein damit klar, dass die Grabstelle auf See praktisch anonym ist, weshalb inzwischen auch Gedenkorte an der Küste geschaffen wurden. Die Tochter der bestatteten Mutter sieht es pragmatisch: „Der Erinnerungsort ist im Herzen.“
Text: Michael Althaus/kna