Zehntausend Schritte zu zweit

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„Wir schenken Ihnen Zeit.“ Das ist das Motto des ökumenischen Hospizdienstes Christophorus. Aber was nützt das, wenn Kontakte nicht möglich sind? Regina Graw hatte eine Idee, wie man trotz Corona Zeit schenken kann – im Gehen. 

Wandern in winterlicher Landschaft
Sonne, Nebel, Frost: Alle, die mitgehen, bekommen eine Fotocollage mit Erinnerungen. Auf dem Bild: Regina Graw. Fotocollage: Hospizdienst Christophorus

10 000 Schritte, das sind etwa sieben Kilometer. Nicht zu lang, dass man sich die Füße wund läuft. Aber lang genug, um Zeit zu haben zum Zuhören und zum Reden, ohne Stoppuhr und Themenplan. Zum Sprechen über alles, was gerade ansteht im Leben und was einen Menschen bewegt. Und dabei lässt sich noch die wunderschöne Schöpfung genießen, am Inselsee oder am Güstrow-Bützow-Kanal oder an den Wiesen und Feldern rund um Güstrow und Bützow. Seit Beginn der Fastenzeit im Februar hat sich draußen viel verändert. Damals hat der ambulante Hospizdienst St. Christophorus eingeladen, zu zweit einen Weg zu gehen, „10 000 Schritte auf Ostern zu“.

„Wir sind im tiefsten Schnee losgegangen. Dann hatten wir plötzlich Frühling, und jetzt wieder Frost“, sagt Koordinatorin Regina Graw. „Wir schenken Ihnen unsere Zeit“, so heißt das Motto des  ökumenischen Hospizdienstes St. Christophorus, der im Großraum Güstrow und Teterow tätig ist. 

Die Coronakrise hat aber die Aktionsfähigkeit für die Haupt- und Ehrenamtlichen in diesem Dienst stark eingeschränkt. Denn dort geht es um die direkte Begegnung mit schwer kranken oder sterbenden Menschen und ihren Angehörigen. „Wir kommen nicht mehr in die wöchentlichen Sitzungen der Palliativstationen in den Krankenhäusern und mussten unsere Arbeit stark zurückfahren“, berichtet Regina Graw. „Dabei möchten unsere Ehrenamtlichen, auf die wir stolz sind, gern etwas tun.“ 

„So viel Trauriges gab es gar nicht!“

Da kam ihr die zündende Idee. Zeit schenken, das kann man auch anders. Etwa mit Gesprächen auf einem Weg. Das ging auch während des Lockdowns. Sechs Ehrenamtliche fanden sich schnell bereit mitzumachen. Eingeladen ist jeder, der möchte. Man macht einen Termin und einen Treffpunkt aus und geht den Weg. „Es müssen auch nicht unbedingt 10 000 Schritte sein, kürzer geht es auch.“ 

Die Erfahrung der ersten Wochen: Beim Gehen sind die Gespräche anders als im Sitzen. Die Natur spielt mit, und auf dem gemeinsamen Gang können sich Menschen leichter öffnen. „Beten ist möglich, muss aber nicht sein. Plaudern kann man am Anfang – aber es wird immer sehr schnell persönlich.“  

Die Gespräche drehen sich um Partnerschaft, um Familie, um Schwiegermütter und Enkelkinder. Es geht darum, wie schwer es ist, Dinge auszusprechen, die man Menschen in seiner Nähe sagen möchte oder sagen müsste. Um die Hemmungen, sich als bedürftig zu zeigen und sich jemandem anzuvertrauen. „Und sehr oft spielt Einsamkeit eine große Rolle“, sagt Regina Graw. „Dabei dachte ich am Anfang: Das wird schwer, da kommt viel Trauriges zutage. Aber so viel Trauriges gab es gar nicht!“

Viele Kilometer hat sie inzwischen mit ihren Begleitern zurückgelegt. „Ich merke, dass es sehr zeitaufwändig ist. Aber ich merke auch, wie mich diese Wege bereichern – allein dadurch, dass ich Wege kennenlerne, die ich bisher noch nicht kannte.“ 

Eigentlich waren die „10 000 Schritte“ eine Corona-Notlösung, die am Karsamstag enden sollte. Aber jetzt planen die Güstrower, auch im kommenden Jahr diese Wege zu zweit anzubieten. 

Die Kontaktaufnahme ist einfach über das Hospizbüro in Güs­trow möglich: Tel. 03843 / 72 13 70, E-Mail: hospiz-gue@caritas-im-norden.de – oder direkt bei Regina Graw unter Tel. 0162 / 300 33 26.

Aber trotz dieser guten Erfahrungen hoffen alle Mitarbeiter des Hospizdienstes, dass sie bald auch wieder ihre normale Arbeit aufnehmen können. Der Kontakt zu den 40 Ehrenamtlichen in Güstrow und 18 in Teterow läuft zur Zeit nur per Videokonferenz. „Ich hoffe, dass es mit den Schnelltests mehr möglich ist, und dass unsere Arbeit nun langsam wieder anlaufen kann“, sagt Regina Graw.

Text: Andreas Hüser