Schüler stellen Zeichnungen ermordeter Kinder nach
Zielbahnhof: Auschwitz
Einige der Kinder, die in Auschwitz ermordet wurden, zeichneten vorher Bilder über ihr Leben. Jugendliche der Osnabrücker Thomas-Morus-Schule haben dazu mit polnischen Jugendlichen geforscht. Die Exkursion nach Polen hat Spuren hinterlassen.
Da stehen sie, zu dritt, zwei von ihnen halten sich an den Händen: drei Mädchen in dünnen Kleidchen, während die Passanten in Wintersachen an ihnen vorbeigehen. Still und reglos stehen sie da, mit traurigem Gesichtsausdruck, wie die Kinder von der Bleistiftzeichnung, die sie in Auschwitz gesehen haben. Die drei Schülerinnen der Thomas-Morus-Schule stellen an dem Tag in Osnabrück als Stillleben nach, was auf der Zeichnung zu sehen ist.
Während die Passanten in der Bierstraße an ihnen vorbeigehen, beobachten ihre Mitschüler die Reaktionen der Menschen, sprechen sie an, informieren sie über das Schulprojekt und kommen so mit den Leuten über die Judenverfolgung und das Konzentrationslager Auschwitz ins Gespräch. Die wenigsten Angesprochenen wissen, dass in dem Gebäudeteil des Vernichtungslagers Auschwitz, der heute als Museum dient, auch eine Ausstellung mit Kinderzeichnungen zu sehen ist.
Eine Künstlerin aus Israel, Michal Rovner, hat Bilder, die von jüdischen Kindern gemalt wurden, maßstabsgetreu auf die Wände übertragen. Die Kinderzeichnungen zeigen Familien mit Koffern, Szenen am Bahnhof, eine Kinderschar mit Roller und Puppenwagen, Flugzeuge bei einem Luftangriff und Verhaftungsszenen im Hof mehrerer Mietskasernen. Man braucht nicht viel Fantasie, um zu wissen, wovon die Kinder mit ihren Bildern erzählen.
Die Jugendlichen der Thomas-Morus-Schule haben in Auschwitz zusammen mit polnischen Jugendlichen zu den Kinderzeichnungen geforscht. Mit dem Nachstellen der Bilder tragen sie ihre Erkenntnisse und Betroffenheit in den Osnabrücker Raum. Manchmal laufen Fußgänger einfach vorbei, manchmal bleiben sie stehen, äußern sich zur Wirkung, die die Szenen auf sie haben. Das Standbild mit drei Jugendlichen, die mit Roller und Puppenwagen unterwegs sind, wird am wenigsten beachtet. Die frierenden Mädchen dagegen um so mehr. Die größte Kontroverse ergibt sich vor dem Osnabrücker Hauptbahnhof, wo Malin mit einem Koffer, der als Zielbahnhof den Titel Auschwitz trägt, auf einer Bank sitzt. Der Zug fährt hier nicht mehr, kommentiert jemand. Manche Menschen reagieren aggressiv.
Aufwühlender Besuch in Auschwitz-Birkenau
Festgehalten werden die Reaktionen durch Videoaufnahmen, die später zu einem Film zusammengeschnitten in der Schule präsentiert werden. Aurora Drago und Jonas Schuckmann haben den Film erstellt. Dabei hätten sie viele Clips auch weggelassen, erzählt Aurora. Manche Menschen hätten sich zwar in der Befragung geäußert, wollten aber nicht gefilmt werden. Eine ältere Dame erzählt, dass ihr Vater Lokführer war. Manchmal habe auf dem Nebengleis ein Zug mit Deportierten gestanden.
Für die Schülerinnen und Schüler, die in Auschwitz geforscht haben, war die Präsentation des Films und die Eröffnung der Ausstellung mit den Zeichnungen das Ende ihrer Zeit in der Arbeitsgemeinschaft (AG). Seit September hatten sich die 16 Jugendlichen des Jahrgangs zehn in der AG bei Ursula Mäscher mit dem Thema befasst. Vertreterinnen des Osnabrücker Projekts „Judentum begreifen“ informierten sie über die jüdische Religion, außerdem lernten sie bei Jürgen Kaumkötter einiges zum Thema Kunst in Auschwitz. Doch all die Unterrichtsstunden konnten nicht wirklich darauf vorbereiten, wie aufwühlend ein Besuch in Auschwitz-Birkenau ist.
Die Exkursion führte die Jugendlichen im November nach Krakau und Auschwitz. Auch die polnischen Jugendlichen des Lyceum Nr. 6 aus Stettin nahmen an der Besichtigung von Auschwitz-Birkenau teil und sahen sich im Museum die Kinderzeichnungen an. „Man kann sich nicht vorbereiten“, sagt Niklas Marnfeld. Er ist froh, an der AG teilgenommen zu haben. „Ich verstehe jetzt mehr über das Thema und dass man darüber keine Scherze macht.“ Mitschülerin Jette hat sich schon vor der Teilnahme an der AG für die NS-Zeit interessiert. „Man denkt, man weiß schon alles“, sagt sie, aber sie habe auf der Exkursion noch Neues erfahren, zum Beispiel über die Versuche des KZ-Arztes Josef Mengele.
Die Jugendlichen wohnten in einem Internat und arbeiteten zum Thema Schoah. Mit den polnischen Jugendlichen habe man sich auf Englisch verständigt, mit manchen auch auf Deutsch, berichtet Joel Pham. Die Exkursion habe gezeigt, dass die Erinnerung an die NS-Verbrechen wachgehalten werden solle „und sich das nie wiederholen darf“.
Andrea Kolhoff