Gottesdienst im Radio
Zu viel Stille darf nicht sein
Die Übertragung eines Gottesdienstes im Radio ist eine Herausforderung: Jeder Schritt ist einstudiert, jedes Wort sekundengenau getaktet. Auch eine politische Predigt haben bis zu 300 000 Menschen weltweit jetzt aus Salzbergen gehört.
Von einem „ganz normalen Gottesdienst“ hat Pfarrer Daniel Brinker gesprochen. Doch wenn ein Radiosender eine Gottesdienstübertragung macht, die Schola bis wenige Minuten vor der Livesendung probt und die Kirche sich mitten in einer Pandemie so gut füllt wie kaum zuvor, dann muss etwas Außergewöhnliches vor sich gehen in Salzbergen. Der Norddeutsche Rundfunk (NDR) hat die dort beheimatete St.-Cyriakus-Gemeinde darum gebeten, einen Hörfunkgottesdienst zu gestalten.
Auf gleich drei Radiosendern ist die Sonntagsmesse zu hören (NDR info, WDR 5 und SR 2-Kulturradio). Daher haben alle Beteiligten der Messe, darunter Musiker, Ordner, Lektoren, Kommunionhelfer und Messdienerinnen ihre Abläufe geübt, so oft sie konnten. Der heiligen Messe ging eine Generalprobe am Samstag voraus. Anders als im normalen Gottesdienst muss die Gemeinde dabei besonders auf eines achten: dass keine Stille entsteht. Zwischen Gesang und Lesung darf höchstens einmal durchgeatmet werden. Denn sobald zu viel Stille entsteht, schaltet eine Automatik des Sendezentrums im Radio auf ein Ersatzprogramm um. Das darf nicht passieren. Zudem ist der Ablauf der Liturgie auf die Sekunde genau festgelegt. Die Mikrofone sind immer besetzt und alles Einstudierte passt in einen festen Zeitrahmen.
Wo Hektik droht, ist stets ein Ruhepol in der Kirche zu finden: Pfarrer Brinker. „Ich bin sehr gelassen“, sagt er. Er kenne die Zusammenarbeit mit dem Radio noch aus seiner Zeit als Pastor in Bremen.
Gerne politische Äußerungen: "Dafür kennt man mich hier"
Inhaltlich ist es Brinker wichtig, dass trotz Radioübertragung der Sonntagsgottesdienst als solcher wiederzuerkennen ist. Um 10 Uhr geht es los. Die Messe darf nicht länger als eine Stunde dauern. Dann kommen die Nachrichten um 11. Das ist die einzige harte Einschränkung. Ansonsten hat Brinker freie Hand, seinen Gottesdienst und insbesondere seine Predigt in seinem Stil zu gestalten. Der Pfarrer äußert sich sehr gerne politisch. „Dafür kennt man mich hier“, sagt er. Ihm hören an diesem Tag geschätzt 70 Teilnehmerinnen und Teilnehmer live in der Kirche zu. Am Radio sind es bis zu 300 000 Menschen.
Im Zentrum der Predigt steht das Zitat eines buddhistischen Mönchs, den Brinker in den priesterlichen Bibelkommentaren gefunden hat: „Unsere wahre Heimat ist der gegenwärtige Augenblick.“ „Ganz oft“, so der Pfarrer, erlebe er sich gedankenschweifend in der Vergangenheit oder der Zukunft, aber nicht im Jetzt. Er sieht darin Parallelen zum Propheten Jesaja, auf den sich – der Überlieferung nach – auch Jesus Christus bezog, als er sagte: „Der Geist des Herrn ruht auf mir, denn er hat mich gesalbt. Er hat mich gesandt, damit ich den Armen eine frohe Botschaft bringe.“ In beiden Textausschnitten erkenne er einen „Aufruf zum Handeln“, so Brinker. „Wenn du deine Kirche leben willst, setz dich ein bisschen darüber hinweg, was vielleicht auch aus Rom kommt. Wir sind gesandt, gesalbt und beauftragt, die Kirche mitzugestalten.“
Auch auf die Missbrauchsstudie des Erzbistums München geht er ein und sieht insbesondere hier eine gesteigerte Pflicht der katholischen Kirche, Verantwortung zu übernehmen. Sich vor allem um die Menschen zu kümmern, „die von der Institution Kirche ausgeschlossen werden“, ist Brinker ein besonderes Anliegen. Nach dem Gottesdienst rufen viele Gläubige in der Gemeinde an. Die überwiegende Mehrheit lobt Pfarrer und Gemeinde für ihre Arbeit an diesem Sonntag.
Florens Böwering
Der Hörfunkgottesdienst ist abrufbar in der Mediathek des NDR