Weltjugendtag in Lissabon ist vorbei – eine bereichernde Erfahrung
In der Kirche ist Platz für alle
Foto: Alexander Aehlig
„Die erste Erfahrung ist zweifelsohne, dass so viele Menschen sehr ernsthaft und sehr tief an Gott glauben – das ist für uns, gerade in Berlin, ja keine Selbstverständlichkeit“, sagt Erzbischof Heiner Koch in einem Video auf Instagram mit Sonnenbrille im Gesicht, gesendet direkt aus Portugal. Viele junge Menschen, die aus dem Osten Deutschlands dabei waren beim Weltjugendtag (WJT) in Lissabon, stimmen ihm zu. Rufus (17), Vorstand der Dekanatsjugend Erfurt, sagt: „Ich wollte die Gemeinschaft hier mit tausenden von Jugendlichen erleben, die Möglichkeit nutzen, mich mit Leuten aus anderen Ländern über Kultur und den Glauben auszutauschen.“
Zusammengekommen aus dem gleichen Grund: dem Glauben
So erlebte es auch Luise (18) aus Bautzen: „Am meisten beeindruckt haben mich die Massen an Menschen, die zusammengekommen sind aus dem gleichen Grund: wegen ihrem Glauben. Wir konnten mit allen zusammen die gleichen Lieder singen, besondes toll war das in der U-Bahn.“ Bei vielen Freunden zu Hause könne sie zwar nicht damit punkten, dass sie an einem katholischen Großevent teilnimmt, da die katholische Kirche vor allem wegen der Missbrauchsvorfälle in der Kritik steht. „Aber ich persönlich glaube, dass gerade so ein Ereignis zeigt, dass katholische Kirche eben auch anders kann. Und das ist sehr schön“, so Luise weiter.
Agnes (21) aus Dresden erzählt: „Auf jeden Fall ist sehr viel Energie in den Liedern. Wenn man zusammen singt, dann fühlt man sich einfach verbunden, und das ist sehr berührend.“
Kosma (16) aus Magdeburg sagt, sie sei zum WJT gefahren, weil sie Kirche aus einer anderen Perspektive kennenlernen wollte: „Mein Ziel war es, die Kirche anders zu erleben, mit anderen jungen Menschen und ihren persönlichen Seiten, mit denen sie die katholische Kirche bereichern.“ Sie erwarte allerdings von der katholischen Kirche, „dass jeder in ihr einen Platz finden und sich mit Problemen, Glaubensfragen oder Lebenserfahrungen an sie wenden kann.“
Das betonte auch der Papst in Lissabon: „In der Kirche ist Platz für alle“, sagte Franziskus in der Vigil am Samstag und forderte die Jugendlichen auf, „todos“ (deutsch: alle) laut zu wiederholen. Katholische LGBTQ+-Gruppen sehen das als Signal der Inklusion nicht heterosexueller Menschen. So auch Clemens Kannegießer von der Initiative „offen.katholisch“ im Bistum Dresden-Meißen: „Für mich ist es die Bestätigung, dass wir diese Themen jetzt angehen müssen.“ Er selbst habe sehr viele Gespräche auf dem WJT geführt zu den Themen des Frauenpriestertums und der Gleichstellung nicht heterosexueller Menschen. Es habe durchaus sehr negative Rückmeldungen gegeben, auf dem WJT wurden Regenbogen-Fahnen weggenommen, die Fahnenstangen zerbrochen. Positive Reaktionen habe er vor allem von anderen Deutschen und Portugiesen erhalten. Sein Eindruck: „Diese Themen beschäftigen Jugendliche weltweit, aber sie werden nur von uns offen thematisiert. Die Gespräche darüber waren aber oft sehr bereichernd – für beide Seiten.“ Eine offizielle Übergabe ihrer Petition für eine offene Kirche für alle an den Papst durfte genauso wenig stattfinden, wie ein Infostand. Ins Gespräch kamen die Unterstützer der Initiative aber, weil sie Flyer, Sticker und auch T-Shirts verteilten. Einen offiziellen Termin gab es schließlich spontan trotzdem: Das deutsche Pilgerzentrum lud zu einer Podiumsdiskussion mit Bischof Michael Gerber aus Fulda und zwei Jugendlichen von „offen.katholisch“ ein. Obwohl es nur 90 Plätze gab, kamen rund 200 junge Menschen zusammen. „Das war mein Highlight, das motiviert uns weiterzumachen“, so Clemens Kannegießer. Immerhin habe er besonders von vielen Jugendlichen aus seinem Bistum Zustimmung erfahren.
Katholisches Großevent obwohl Kirche in der Krise ist?
Im deutschen Pilgerzentrum auf dem WJT war auch das Format „Ask the bishop“ (deutsch: Frage den Bischof) sehr gefragt. Dort kam auch Weihbischof Reinhard Hauke aus Erfurt mit Jugendlichen ins Gespräch. Luisa (16) aus Beuren im Bistum Erfurt nahm sogar vier Mal daran teil: „Ich fand das Format sehr interessant, sonst ist es ja nicht so oft möglich, direkt mit einem Bischof zu sprechen. Sie haben sich allen Fragen gestellt und auch bei unterschiedlichen Meinungen sind gute Diskussionen entstanden.“ Clemens (17) aus Kallmerode aus dem Bistum Erfurt war ebenfalls vier Mal dabei: „Je nach Bischof war es ermutigend bis schockierend. Es gab einige Aussagen beispielsweise über das Frauenpriestertum und den Umgang mit Homosexualität, die der Zeit hinterherhängen. Es gab aber auch liberale Aussagen einiger Bischöfe, die Hoffnung machen.“
So fuhren viele deutsche Jugendliche mit einer gewissen Erwartung zu dem weltweiten Jugendtreffen, dass sich die katholische Kirche ändert. Tilman (18) aus Magdeburg ermutigte beim WJT etwa, dass „ein junger Mann einen sehr traditionsbedachten konservativen Pfarrer argumentativ widersprochen hat und großen Applaus in der jungen Masse erhielt.“
Benedikt (16) aus Spitzkunnersdorf in Sachsen dagegen findet die Krise der Kirche, wie sie hierzulande wahrgenommen wird, nicht so wichtig: „Ich sehe die Kirche gerade gar nicht so sehr in der Krise, weil das einfach die Sicht von jedem Einzelnen ist.“ Für ihn waren unter anderem die Treffen der Bistumsjugend wichtig: „Als unsere Ordensleute und Priester Zeugnis gegeben haben, hat mich das sehr berührt.“
Der Höhepunkt des WJT war die samstägliche Vigil mit dem Papst und Übernachtung unter freiem Himmel. Ein Instagram-Video mit Berliner Jugendlichen fängt die aufregende Stimmung ein: „Es platzt hier aus allen Nähten, es ist wunderbar! Man sieht überall die unterschiedlichen Fahnen, alle freuen sich auf diesen gemeinsamen letzten Abend, es ist einfach genial!“
Weihbischof Hauke resümiert am Ende: „Wer sich die Frage stellt, wie Kirche in die Zukunft geführt werden kann, hat hier in Portugal eine Antwort bekommen: Die Zukunft können wir den Jugendlichen anvertrauen.“