Anstoß 30/2024

Lucky

Anstossbild
„Hallo Lucky!“ Ich gehe in die Hocke, um den Jungen zu begrüßen. Der Dreijährige klammert sich bei der Mutter fest. Seine Mama, Anfang 30 aus Indonesien, streichelt ihm beruhigend über den Kopf. Die beiden sind auf der Flucht – vor der Abschiebung, vor den Behörden.

Porträt von Lissy Eichert
Lissy Eichert, Berlin
"Wort zum Sonntag"-Sprecherin

Erst kürzlich erfuhr ich die ganze Geschichte. „Ich habe hier einen Notfall“, erklärte mir der Mann vom Jugendamt am Telefon. Lucky und seine Mutter wurden von der Bundespolizei abgeholt. Abschiebung nach Indonesien. Auf dem Rollfeld brach die Mutter neben dem Kleinen zusammen. Epileptischer Anfall. Bewusstlos wurde sie in das Flugzeug getragen. Doch der Pilot weigerte sich, zu starten.

In unserer Flüchtlingswohnung in St. Christophorus haben die beiden nun erstmal ein Dach über dem Kopf. Aber sicher ist gar nichts. Eine Rechtsanwältin verhandelt mit den Behörden. Alles steht auf der Kippe. Aber Sorge – das will ich nun gerade nicht vermitteln, als ich die beiden besuche. Ich erfahre, dass Vater und Bruder in der Heimat an epileptischen Anfällen starben. Der Mutter droht das gleiche Schicksal. Lucky soll einmal das Glück bekommen, was der Familie bisher nicht vergönnt war. Deshalb trägt er einen Namen, der so viel wie „Glückspilz“ bedeutet.

Alles, was wir tun, hat eine Auswirkung auf das Gleichgewicht der Welt. Ob die Waagschale nach unten sinkt oder nach oben steigt, hängt ganz von unserem Handeln ab. Das sind Gedanken von Maimonides, einem bedeutenden jüdischen Gelehrten des Mittelalters. Jeder kann dazu beitragen, die Waagschale ins Gleichgewicht zu bringen. So wie schon in der Geschichte vom barmherzigen Samariter. Er hilft als einziger dem von Räubern überfallenen Mann im Straßengraben. Damit hat er das Überleben dieses Menschen gesichert. Und irgendwie auch ein Stück unserer Welt.

Lissy Eichert