Ausbreitung von Gedankengut, das christlichen Grundwerten widerspricht

Abgrenzen statt ausgrenzen

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Verkehrsschild mit der Aufschrift "Heimat"
Nachweis

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Die Sehnsucht nach Heimat gehört zu den Themen, mit denen rechtsextreme Gruppierungen auch bei Christen Zugang suchen und finden. 

Wie können Christen reagieren, wenn sich in ihrer Gemeinde Gedankengut ausbreitet, das christlichen Grundwerten widerspricht? In Sachsen bündelt eine ökumenische Arbeitsgemeinschaft Erfahrungen und Erkenntnisse.

Christsein und menschenverachtendes Verhalten schließen einander aus. Das stand für Silke Maresch außer Frage, als sie vor rund zwölf Jahren begann, sich in der sächsischen Arbeitsgemeinschaft „Kirche für Demokratie und Menschenrechte“ zu engagieren. Gegründet hatte sich die Arbeitsgemeinschaft 2004 unter dem Namen „Kirche gegen Rechtsextremismus“. Damals war die NPD gerade in den sächsischen Landtag eingezogen. Die evangelischen AG-Gründer wollten mahnen, beten und Christen motivieren, sich politisch stärker einzumischen und demokratiefeindlichen Stimmen zu widersprechen. 
Dass es auch in der Kirche Menschen gibt, die menschenverachtende Gedanken vertreten, sich in rechtsextremen Gruppierungen engagieren und bei deren Demonstrationen mitlaufen, haben sie erst später gelernt. Auch Silke Maresch, die erste katholische Frau in der AG, verstand mit der Zeit, dass auch in der eigenen Kirche ein Arbeitsfeld auf die AG wartete. Nicht alle Katholiken im Bistum teilten ihre Grundannahme, dass Christsein und Rassismus unvereinbar waren, ging der Pirnaerin auf. „Der Grat zwischen unseren konservativen katholischen Positionen und rechten Tendenzen ist oft nur    schmal, und darin liegt eine Gefahr“, sagt Silke Maresch. „Wir sollten genau hinschauen, wer da zum Beispiel für Lebensschutz auf die Straße geht, bevor wir uns einer Demonstration anschließen“, empfiehlt sie. 
Reiner Wanke, der die Friedensiniative Pax Christi in der AG und im Katholikenrat des Bistums Dresden-Meißen vertritt, hat ähnliches beobachtet, auch bei den Themen Bewahrung der Schöpfung, Migration oder Gender. „Die haben ja gar nicht so unrecht“ stellten Katholiken oft fest, wenn sie die Positionen rechter Organisationen dazu hörten, „und dann marschieren sie plötzlich mit Leuten, die die Demokratie und entscheidende Grundrechte abschaffen wollen.“ Er plädiert dafür, diejenigen, die solchen Positionen zuneigen, als Menschen ernst zu nehmen, sich dabei aber vor einer Verharmlosung der Positionen zu hüten und sich inhaltlich klar abzugrenzen. „Seelsorgegespräche müssen wir mit allen führen, ein Podium dürfen wir nicht jedem bieten“, ergänzt der evangelische Theologe Harald Lamprecht, „und wir sollten unterscheiden zwischen Mitläufern und Organisatoren. Um die Mitläufer bemühen wir uns, ohne die Organisatoren zu verhätscheln.“ 
Empfehlungen wie diese bietet  die AG in Handreichungen  auch den Gemeinden im Freistaat an. Reaktionen darauf gab es in den letzten Jahren katholischerseits kaum, bedauert Reiner Wanke. Der Katholikenrats-Vertreter Norbert Grellmann sieht die Ursache dafür in der Überlastung der wenigen Katholiken, die sich in den Gemeinden ehrenamtlich engagieren, aber auch in dem unter Katholiken „gering entwickelten Bewusstsein, dass es zum christlichen Auftrag gehört, in die Gesellschaft hineinzuwirken.“ 

Warum haben Rechtsextreme Erfolg? 

Dass sich katholische Gemeinden mit dem Thema beschäftigen, sei selten, schätzen alle AG-Mitglieder ein. Eine Ausnahme sieht Steffen Hollmann, neuer Bistums-Beaufragter für Kontakte in die Weltkirche, in der Pfarrei Riesa, die seit einigen Jahren offen mit der Tatsache umgeht, dass NPD-Mitglieder und -Sympathisanten zur Gemeinde gehören. Als Jugendreferent der Region um Riesa hat er vor einigen Jahren beobachtet, dass der Umgang der Gemeindemitglieder mit ihren rechten Mitchristen von „stiller Unterstützung bis hin zu aktiver Ablehnung“ reichte. „Es hat mich damals beeindruckt, wie ruhig die Verantwortlichen der Gemeinde mit der Situation umgegangen sind“, sagt Steffen Hollmann. „Man blieb im Gespräch, insbesondere darüber, wofür die Gemeinde eigentlich steht. Dabei war klar: Jeder ist willkommen, die Gemeinde lässt sich aber nicht instrumentalisieren“, so sein Eindruck.
Als gelungenes Beispiel eines konstruktiven Umgangs mit dem Thema sieht Harald Lamprecht auch die Veranstaltung „Vorsicht Falle!“, die er vor den Sommerferien in der katholischen Gemeinde Wittichenau als Co-Referent mitgestaltete. Er berichtete über die ostsächsischen Aktivitäten des selbst ernannten Königs von Deutschland, Peter Fitzek. Seine Anhänger haben das Schloss Bärwalde bei Boxberg für 1,3 Millionen Euro erworben. Ihr Versprechen: Sie investieren ins „Gemeinwohl“ und ein von der Bundesrepublik unabhängiges Leben. Das sächsische Innenministerium rechnet der extremistischen Reichsbürger- und Selbstverwalter-Szene in Sachsen etwa 2 500 Personen zu, erfuhren die Zuhörer, mehr als doppelt so viele wie 2021. Neben Reichsbürgern siedeln sich auch rechtsextreme Aktivisten seit einigen Jahren verstärkt im ländlichen Raum an. Sie gründen einschlägige Kameradschaftstreffs, Verlage und Kader-Netzwerke.
Mit mehr als 70 Teilnehmern diskutierten die Referenten in Wittichenau, wie Christen diesen Entwicklungen begegnen können. Harald Lamprecht hält es zunächst für wichtig, zu verstehen, woher der Zulauf rührt.  Peter Fitzek etwa sei ein Meister im Zeichnen großer Visionen. Er erreiche Menschen in ihrer Sehnsucht nach einer Welt, in der sich Probleme unkompliziert lösen lassen. Der Wunsch vieler Menschen danach sei so stark, dass sie bereit seien, über die großen Widersprüche in seinen Gedankengängen hinwegzusehen, über unwahre Behauptungen und über Machenschaften, die sich oft an der Grenze zum Betrug bewegen. 

Sich als Christen für Demokratie interessieren 

Förderlich sei zudem, dass Christen sich für die Demokratie interessieren, die durch die Art der Diskussionen derzeit ernsthaft in Gefahr gerate. „Machen Sie sich bewusst, welchen Wert es darstellt, dass wir unsere Religion frei leben können!“, rät er. „Wir haben es mit Kräften zu tun, die Religionsfreiheit abschaffen wollen – vorrangig mit Blick auf die Muslime, aber diese Bestrebungen treffen alle Religionen.“ Rechtsextreme führten oft Scheindiskussionen und polemische Auseinandersetzungen. Wenn es um konkrete Antworten und Lösungen gehe, würden sie schnell diffus. Wo Kirchengemeinden eine gute Position gegenüber Rechtsextremismus haben, könne das die öffentliche Atmosphäre mit färben, auch dort, wo Christen in der Minderheit seien, hat Harald Lamprecht in evangelischen Gemeinden erlebt. „Mit Worten der Bibel gesagt: Wir können wirklich Salz der Welt sein“. 
„Wenn sich rechtsextreme Netzwerke erst angesiedelt und Immobilien erworben haben, ist es zu spät, ihr Wirken zu verhindern“ hat Steffen Hollmann in Sachsen und Südbrandenburg beobachtet. Die rechten Gruppen, die dort eine Reihe alter Höfe aufgekauft haben, wirkten auf ihre Umgebung zunächst attraktiv. „Sie haben viele Kinder, engagieren sich in Vereinen, manche betreiben Bioanbau“, beschreibt Hollmann. Er rät dazu, bereits im Vorfeld genau hinzuschauen und sich zu informieren, wer sich in der Region ansiedelt und welches Gedankengut hinter bestimmten Aktivitäten steckt. 
„Wir Christen müssen nicht unbedingt neue Aktivitäten erfinden, manches hat sich bewährt“, findet Reiner Wanke. Er erinnert an das montägliche Friedensgebet, das Pax Christi lange in Dresden mitgestaltet hat, unter dem Motto „informiert beten“. Auch die alte Form der Mahnwachen hält er für geeignet, um auf besorgniserregende Entwicklungen aufmerksam zu machen. 
„Entscheidend ist, dass Einzelne in der Gemeinde sagen: ich nehme mich des Themas an und suche mir Unterstützer“, sagt Silke Maresch. Es könne eine Bereicherung für die Gemeinde sein, wenn sie sich dabei nicht nur auf  die regelmäßigen Gottesdienstbesucher konzentriere. Es gebe viele junge Katholiken, die sich für Menschenrechte engagierten, oft außerhalb der Kirchengemeinden. „Vielleicht müssen wir als Christen umdenken und die Kirche stärker als eine Gemeinschaft sehen, die für die gesamte Gesellschaft da ist,“, gibt Steffen Hollmann zu bedenken. Er berichtet von einem Beispiel aus der Diözese Meru in Kenia: Bei der Caritas habe man sich dort lange darüber geärgert, dass der Staat so viele gute Mitarbeiter abwarb, in deren Ausbildung die Caritas viel investiert hatte. Inzwischen sieht man den Wechsel als Chance, das Land stärker christlich zu prägen. „Bringt den Geist, den ihr hier kennengelernt habt, in eure neuen Wirkungsstätten ein!“, gibt man den scheidenden Mitarbeitern heute mit auf den Weg.

Dorothee Wanzek