Besinnungskurs „Komm und sieh“ am St. Benno-Gymnasium Dresden
Loslassen lernen
Foto: Jürgen Leide
Anfangs sind nur wenige junge Leute in der kleinen Kapelle im Erdgeschoss des St. Benno-Gymnasiums in Dresden. Zwei Mädchen spielen auf der Geige ein paar Lieder. Jürgen Leide, der geistliche Leiter von „Komm und sieh!“, stellt den Karton mit den Liederheften bereit. Eine Lehrerin stellt das Licht ein. Dann füllt sich der Raum, Decken werden auf den Boden gelegt, denn alle Hocker sind schon besetzt. Schüler und ihre Eltern, auch Ehemalige, finden sich ein. Zu Beginn des Gottesdienstes, Sonntag um 19 Uhr, sind es rund sechzig Teilnehmer, darunter mehr als ein halbes Dutzend Instrumentalisten: Klavier, drei Geigen, zwei Flöten, Cello.
Die Lieder, eingängige Melodien, die an Taizé erinnern, meist lateinische oder italienische Texte, prägen den Gottesdienst. Manche singen mit Inbrunst. Andere summen nur mit. Manche können die Lieder auswendig, andere tasten sich an Text und Melodie heran. Der Gottesdienst greift eine gemeinsame Erfahrung auf: die Gebetsstunden in Assisi. Das Erlebnis wird so zum Ritual, verstetigt sich, bekommt Beständigkeit. Vielleicht wird es Bindung.
Das Angebot „Komm und sieh!“ hat der scheidende pädagogische Leiter Jürgen Leide vor gut 25 Jahren vom Jesuitenkolleg in St. Blasien mit ans St. Benno-Gymnasium in Dresden mitgebracht. Vor dreißig Jahren hat er dieses Angebot dort erstmalig erprobt und seitdem stetig weiterentwickelt.
Drei wichtige Elemente hat es, auf das sich Jahr für Jahr eine wachsende Schülerschar, ganz unabhängig vom eigenen Glauben, von religiösem und spirituellem Hintergrund einlässt. Neben diesen Gottesdiensten am Abend des ersten Sonntags jeden Monats, sind es intensive „Exerzitien im Alltag“ mit einer anschließenden Pilgerfahrt nach Assisi im Frühjahr oder Herbst. Tage der Einkehr und Besinnung, Handyfrei und abseits von „Cappuccino und Gelato“. Keine leichte Übung mit Jugendlichen um die 18, für Schüler im Alltagsstress, für eine Schule mit Klausur- und Prüfungsterminen. Doch viele trägt der Geist von Assisi. „Rückkopplung auf das eigene Ich“, ist Jürgen Leide überzeugt, „gibt Kraft, dann wieder aus sich heraus zu gehen, im Alltag zu bestehen.“
Das Thema dieses Gottesdienstes „Halte den Sabbath“ ist programmatisch. Eine ehemalige Teilnehmerin berichtet, wie wichtig für ihren Alltag als Studentin es ist, sich diesen freien Tag zu gönnen. Die Gottesdienste wollen genau das sein: eine Pause vor Gott, eine Pause mit Gott. Wichtiger Bestandteil, neben den ruheverbreitenden Liedern, ist eine 15-minütige Stille und anschließend die Möglichkeit, zu meditativem Gesang Gebetskerzen zu entzünden.
„Sich leer machen“, Tagebuch schreiben, Handy abgeben
Tilmann und Elias haben vor ihrem Abi im letzten Jahr die Assisi-Fahrt mitgemacht. Sie kommen immer wieder zu den Gottesdiensten. Der eine empfindet diese Schweigezeit als eine Chance, zur Ruhe zu kommen. Der andere berichtet davon, dass er wichtige Entscheidungen seines Lebens hier in der Stille bedacht, vor Gott getragen und aus dieser Inspiration heraus getroffen hat.
Felizitas und Anastasia waren bei den diesjährigen „Exerzitien im Alltag“ ein „Tandem“. Fast täglich haben sie sich getroffen. Nachdem sie alles Aktuelle besprochen hatten, sie sagen „sich leer gemacht haben“, konnten sie miteinander schweigen und in der Stille Tagebuch schreiben. Das war nicht leicht, aber Teil vom gemeinsamen geistlichen Weg nach Assisi. Die Tage dort, so erzählen alle, prägen anhaltend.
Luzia berichtet, dass das so eine Art „Schwerelosigkeit“ war. Sie ist davon überzeugt, dass der Kurs, aber insbesondere die Assisi-Fahrt, ihr beim Abitur geholfen haben: loslassen, gelassen sein, Nein sagen können, Wichtiges vom Unwichtigen unterscheiden. Das hätte sie nicht gelernt, sondern erfahren.
Skepsis, wie lange dieses Gefühl, diese geradezu mystische Glaubenserfahrung anhält, lässt die Abiturientin nicht gelten. „Das bewirkt etwas. Das gehört zu dir. Das bleibt dir“, davon ist sie überzeugt.
Auch Jürgen Leide glaubt daran, dass diese Erfahrungen sich einprägen. Religiosität ändert sich. Lebenserfahrungen bedrängen die jungen Leute. Oftmals bieten die Kirche und ihre Formen keinen Halt im Leben für sie. Einfache Glaubenslösungen für komplizierte Welterfahrungen reichen nicht aus. Sich Pausen zu geben, sich auf Stille, Tiefe und Kontemplation einzulassen, wird für die jungen Menschen anhaltend hilfreich sein. Jedenfalls, wenn man aus diesen Erfahrungen Leben gestaltet.
„Komm und sieh!“ ist eine „ergebnisoffene“ Einladung. Die drei Elemente und die angebotenen „Biografie-Exerzitien“, die darauf zielen, die eigene Passion, die eigene Berufung zu finden, wollen Werkzeuge in die Hand, einen Rahmen geben, um selbst den eigenen Raum zu finden und zu gestalten. „Menschen sind Werde-Wesen!“ formuliert der Pädagoge Leide, der in der Spannung zwischen ignatianischer Prägung und franziskanischem Geist „das magis“, das Größere, Tiefere findet, das ihn bewegt.
Dreißig Jahre Erfahrung hat Jürgen Leide mit den „Komm und sieh!“-Kursen. Der Gottesdienst am 3. Juni war sein letzter als pädagogischer Leiter des katholischen Gymnasiums. Ein Verein, der Ende 2023 gegründet wurde und in dem er weiter aktiv ist, wird sie auch zukünftig, ebenfalls an anderen Orten, anbieten können.
Weitere Infos: www.kommundsieh.info