Pilgern in Norwegen
„Echte Pilger rasieren sich nicht“
Foto: privat
Ihre Frauen erkannten sie fast nicht wieder, als sie auf dem Bahnhof ankamen. Sechs Wochen lang waren Horst Birkefeld aus Niederorschel und sein Schwager Gerhard Konradi auf dem Olavsweg in Norwegen unterwegs gewesen. „In vierzig Tagen wächst ein Bart schon mächtig“ sagt der 71-jährige Birkefeld und fügt hinzu: „Es ist ein Ritual für mich geworden. Echte Pilger rasieren sich nicht“.
Der Traum: Einmal in Norwegen pilgern
Birkefeld ist ein erfahrener Pilger. Den Jakobsweg in Spanien ist er mehrfach gelaufen. Im Jahr 2019 nahm er sich die 1000 Kilometer lange kräftezehrende Nord-Süd-Route von Sevilla nach Santiago de Compostela vor. Fast 30 Grad Celsius in Südspanien konnten dem rüstigen Rentner nichts anhaben. Aber einmal pilgern in Norwegen – das reizte ihn noch. Für Gerhard Konradi hingegen war es die erste Pilgerreise.
So standen ab 3. Juli für die beiden Eichsfelder 32 Etappen in 32 Tagen an. Rund 660 Kilometer waren zu bewältigen, also ungefähr 22 Kilometer pro Tag. So jedenfalls war der Plan – und der sollte aufgehen. „Bei so einer Reise weiß man nie. Uns war bekannt, dass es ständig bergauf und bergab gehen würde. Aber es war dann doch schwieriger als gedacht“, gibt Birkefeld zu und sagt: „Bei meinen Touren in Spanien hatte ich längst nicht so wechselhaftes, extrem ungemütliches Wetter.“ Entlang auf Asphalt, Schottersteinen, Moos, Flechten, Geröll und durch Sümpfe brachten die beiden Pilger Tag für Tag hinter sich, holten sich in den Stationen entlang der Route ihre Pilgerstempel ab und trotzten Wind und Regen.
„Man muss diszipliniert sein. Jeden Morgen standen wir um 6.30 Uhr auf, Morgentoilette, dann Wanderschuhe und Kleidung an und los ging es“, erzählt Konradi. „Eines haben wir nie vergessen“, fügt Schwager Horst hinzu: „Jeder Tag begann mit dem Gebet ‚Engel des Herrn‘. Das war uns ein Bedürfnis. Und während des Pilgerns haben wir täglich einmal alle Gesätze des Rosenkranzes gebetet. Das gibt Kraft und macht Mut.“
Pilgernahrung: Knäckebrot und Käse
Die raue norwegische Wildnis und das unbequeme Terrain seien die größten Herausforderungen gewesen, erzählen die beiden. „Dazu kommt, dass höchstens alle 20 bis 30 Kilometer mal ein Dorf oder ein Gehöft zu sehen waren. Supermärkte gab es deshalb auch wenige. So ernährten wir uns oft nur von Knäckebrot und Käse, den wir aber kaufen konnten“, blickt Birkefeld zurück. In Norwegen in Restaurants zu speisen, sei kaum zu bezahlen, sagen die Eichsfelder. „Wir sollten mal für eine Suppe und ein Getränk 42 Euro zahlen – pro Person. Das muss nicht sein“, so der Niederorschler.
„Fast 16 Kilogramm Hab und Gut trägt man täglich acht Stunden auf dem Rücken. Aber wir wussten, dass Gott mit uns geht. Das spürt man“, erzählt Konradi. Manchmal, so sagen die beiden, seien sie auch mal stundenlang schweigend hintereinander her gegangen. „Man muss nicht ständig reden“, sind sich beide sicher.
Oft konnten sich die Wanderer nur in Bächen und Flüssen waschen. Nicht jede Pilgerhütte unterwegs habe Strom und Wasser gehabt. „Unsere Füße rieben wir jeden Tag mit Hirschtalg ein. Die mit Zeitungspapier gefüllten nassen Schuhe mussten am Propangaskocher über Nacht trocknen. Alles muss klappen, wenn man solch eine Tour macht“, stellt Birkefeld klar.
Gott im Herzen – Imposantes vor Augen
„Sei immer heiter – Gott hilft weiter“. Das selbst ausgewählte Pilgermotto machten sich die Senioren zu eigen und lebten es. Birkefeld und Konradi trafen herzliche Menschen unterwegs, wie sie sagen. „Und beeindruckende Landschaften und ruhige saubere Ortschaften und Städte werden uns in Erinnerung bleiben. Auch an die imposanten Kirchen, wie die ‚Stavkirke‘ (Stabholzkirche) in Ringebu, einer kleinen Stadt“, denkt Birkefeld gern zurück. Nach 32 Tagen erreichten die Pilger ihr Ziel Trondheim, wo eine evangelische Messe im Nidarosdom den Abschluss nach den knapp 660 Pilgerkilometern bildete.