Bischof Ulrich Neymeyr spricht über Kirchenentwicklung im Bistum Erfurt

Die Kräfte konzentrieren

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Porträt Bischof Ulrich Neymeyr
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Foto: Eckhard Pohl

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Bischof Ulrich Neymeyr, hier neben einem Bild des heiligen Franziskus der Künstlerin Hildegard Hendrichs. Neymeyr schätzt Franziskus.

Auch 2040 wird es thüringenweit kirchliche Orte geben, in denen die Gläubigen zusammenkommen können, sagt der Erfurter Bischof Ulrich Neymeyr. Jetzt gilt es, dafür die richtigen Weichen zu stellen.

Herr Bischof, zu Beginn des neuen Kirchenjahres haben Sie in einem Hirtenwort von anstehenden Weichenstellungen im Bistum Erfurt gesprochen. Worauf kommt es dabei besonders an?

Wir werden zunehmend weniger Mitarbeiter, Kirchenmitglieder und Geld haben. Entsprechend müssen wir unsere Kräfte konzentrieren. Dabei gilt es, das kirchliche Leben in den Gemeinden und anderen Orten möglichst zu erhalten und zugleich vielen Menschen das Evangelium anzubieten – durch niedrigschwellige Angebote, aber auch durch Hilfs- und Qualifizierungsangebote für Ehrenamtliche.

Als Gründe für das Kleinerwerden von Kirche hierzulande werden oft der Missbrauch oder Corona genannt. Welche Ursachen sehen Sie darüber hinaus?

Menschen wollen heute ihr Leben nach ihren individuellen Wünschen gestalten. Das gilt auch für die Religion. Sie suchen, was ihnen gut tut und nehmen das wahr. Gottesdienstbesuch gehört oft nicht dazu. Viele möchten sich nicht an Institutionen binden. Aber es gibt unter den Einheimischen auch eine Gotteskrise. In einer Welt, in der alles machbar scheint, wird Gott für viele bedeutungslos. Zudem fragen sich Menschen angesichts von Leid und Katastrophen, wo Gott ist. Gleichzeitig sehnen sie sich nach Halt, Trost und Zuversicht. Weihnachten wird das besonders deutlich. Kirchenferne entdecken dann Tröstendes in den christlichen Riten.

Gelingt es, das Evangelium zeitgemäß zu verkünden? Welche Schwierigkeiten sehen Sie?

Weil Jesus die Botschaft von Gottes Liebe in Geschichten und Zeichenhandlungen verkündet hat, ist dies zu allen Zeiten möglich. Hier können wir von Jesus lernen, nämlich mit Worten zu sprechen, die die Menschen, auch Nichtchristen, verstehen. Das Evangelium muss aber immer auch durch die Tat weitergetragen werden. Dies geschieht, wenn sich Menschen zum Beispiel für andere einsetzen, etwa für Flüchtlinge. Dieser Einsatz allein ist schon ein Bekenntnis für das Evangelium, gerade in dieser Zeit, in der das Thema Migration stark polarisiert.

Stimmt der Eindruck, dass es unter den kirchlich Verantwortlichen hierzulande viel Hilflosigkeit angesichts der kleiner werdenden christlichen Gemeinden gibt?

Im Bistum Erfurt sehen wir sehr realistisch, dass wir als Christen eine Minderheit sind. Nach der Friedlichen Revolution gab es etliche Ansätze, etwa durch Ordensleute, verstärkt das Evangelium zu verkünden, was kaum gelungen ist. Die Kirchen sind jedenfalls nicht voller geworden und auch die Zahl der Berufungen für ein gottgeweihtes Leben schnellten nicht in die Höhe. Für uns ist das gegenwärtig Mögliche leicht beschrieben: Wir werden künftig vielleicht noch 20 Pastoralteams haben, die wir situationsgerecht einsetzen müssen.

Ja, es gibt eine gewisse Hilflosigkeit. Um es mit dem Weisheitslehrer Kohelet zu sagen: Es ist nicht schön, eine Zeit des Niederreißens gestalten zu müssen. Aber wir versuchen, es verantwortungsbewusst zu tun, etwa, indem wir Akzente setzen. Zum Beispiel bekam das Heiligenstädter Elisabeth-Gymnasium, das bald in einen Neubau in Leinefelde umzieht, einen Regelschulzweig. Oder: In jedem unserer sieben Dekanate soll es einen Jugendreferenten geben.

Fehlt es möglicherweise an einer Theologie und Spiritualität, mit dem Niedergang geistlich umzugehen?

Jesus ist nicht davon ausgegangen, dass die ganze Welt christlich ist: Das Gleichnis vom Senfkorn etwa ist nur vor dem Hintergrund einer kleinen Gemeinschaft verständlich. Uns in der Diaspora war schon immer das Jesuswort bewusst: Wo zwei oder drei in meinem Namen versammelt sind, da bin ich mitten unter ihnen. Das sollten wir uns vielleicht in den Gemeinden immer wieder in Erinnerung rufen.

Im Spätherbst fand im Bistum erstmals ein Diözesanforum statt. Genügt dieser Austausch auf Augenhöhe, um beim Ringen um richtige Entscheidungen ein angemessenes synodales Miteinander zu pflegen?

Ich hätte mich gefreut, wenn mehr Christen daran teilgenommen hätten. Aber ich sehe auch die begrenzten zeitlichen Ressourcen ehrenamtlichen Engagements. Zudem haben Ehrenamtliche nur einen begrenzten Blick auf das ganze Bistum. Deshalb wollen wir zusätzlich zu Diözesanforen auch in den Dekanaten zu synodalen Foren einladen. Außerdem soll im Januar 2026 erstmals eine gemeinsame Werkwoche für Priester, Diakone und Gemeindereferentinnen und -referenten stattfinden.

In den Pfarreien Arnstadt, Erfurt-Nord und Sömmerda laufen derzeit Pilotprojekte in Sachen Gemeindeleitung. Ist das die Zukunft?

Die Projekte laufen gut. In Arnstadt mit einer Gemeindereferentin als Pastoraler Pfarrbeauftragten und einem Verwaltungspfarrbeauftragten und Hochschulseelsorger. Ebenso in Erfurt-Nord und Sömmerda, wo ein Diakon die Pfarrei leitet, jeweils mit einem Priester als Kooperator. Doch auch diese Modelle haben ihre personellen Grenzen: Nicht jede Gemeindereferentin, jeder Gemeindereferent kann sich vorstellen, eine Pfarrei zu leiten.

Wie steht es um den gemeinsamen Auftrag als Kirchen? Gilt es, enger zusammenzurücken?

Das ökumenische Miteinander in Thüringen ist auch dank einer lebendigen Arbeitsgemeinschaft christlicher Kirchen vielfältig und vor Ort längst gängige Praxis. Manches ist aber ausbaufähig. Wir Katholiken schauen zum Beispiel: Wo ist die evangelische Kirche etwa im Bereich der Diakonie präsent, wo wir es nicht mehr sein können und vielleicht auch nicht müssen. Sehr gut funktioniert die Ökumene im Bereich der Klinikseelsorge, wo wir viel kooperieren.

Wohin steuert die Kirche in Thüringen?

Die Gläubigen in Thüringen werden auch 2040 die Sakramente empfangen können, das Evangelium wird verkündet. Kirchliche Orte werden neben Gemeinden auch Schulen, Kitas und andere karitative Einrichtungen sein. Teilweise werden sich die Katholiken aber ein Stück auf den Weg machen müssen, um zu solchen Orten etwa zur Feier der Eucharistie zu gelangen. Auf jeden Fall weiß sich die Kirche angesichts der Zusage Gottes nie allein und ist wie jedes ihrer Mitglieder eine Pilgerin der Hoffnung.

Eckhard Pohl