Thüringer Landtagspräsident Thadäus König im Interview

Wenn jeder sein Bestes tut ...

Thadäus König läutet die Glocke

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Seit mehr als 100 Tagen ist der Eichsfelder Katholik Thadäus König als Thüringer Landtagspräsident im Amt. Kann er als Christ dazu beitragen, dass im Freistaat Frieden und Zusammenhalt wachsen? Ein Interview.

Was hat Sie am meisten geprägt als Politiker?

Mein Fundament ist zweifellos die Christliche Soziallehre. Ganz wichtig ist mir das Vorbild Adolph Kolpings. Eines seiner Zitate, die mich begleiten, lautet „Wenn jeder auf seinem Platz das Beste tut, wird es in der Welt bald besser aussehen“. Nicht zuletzt war mein Eichsfelder Umfeld prägend. Ich habe hier immer Gemeinschaft gelebt. In der Familie mit drei Generationen unter einem Dach, in der Kirchengemeinde, in Jugendgremien und im Sportverein habe ich erlebt: trotz unterschiedlicher Charaktere und Meinungen gehört man zusammen. Ich habe gelernt, auch einmal einen Schritt zurückzugehen und mich selbst nicht allzu wichtig zu nehmen.

In Ihrer Antrittsrede haben Sie sich als Vermittler präsentiert. Wie leben Sie diese Rolle jetzt im Landtag?

Als Landtagspräsident bin ich für alle Abgeordneten da, vermittle also zwischen den Fraktionen. Darüber hinaus möchte ich auch zwischen Landtag und Regierung, zwischen Politik und Bevölkerung vermitteln. Dazu gehört für mich, meine Entscheidungswege offen zu kommunizieren und Begegnungen zu ermöglichen, die unser Land nach Corona gerade so dringend braucht. Ich bin dafür viel unterwegs. Nicht nur einzelne Parteien sollten den Rahmen für Diskussionsveranstaltungen in den Regionen bieten, auch der Landtag.

Nach Ihrer Wahl haben Sie dafür plädiert, Parteiinteressen und Befindlichkeiten hinter die Interessen des Gemeinwohls zu stellen. Findet dieser Appell Gehör?

Ich bekam anschließend von vielen Seiten Zustimmung. Meine Antrittsrede wurde sogar in Predigten und im Schulunterricht zitiert. Für mich war die Rede auch eine Gelegenheit, die Grundprinzipien unserer Soziallehre ins Licht zu rücken, Personalität, Solidarität und Subsidiarität. Für viele war das unbekannt. Ich bin jetzt über 100 Tage im Amt und seither ist im Landtag eine Ruhe eingekehrt, wie wir sie schon länger nicht hatten: keine Skandale, kein Klamauk, kein Herumgeschreie. Trotz der Sperrminorität der AfD war es seit 2004 das erste Mal, dass ein Ministerpräsident schon im ersten Wahlgang gewählt wurde. Für all das bin ich dankbar.

Was tun Sie, um eine Kultur des Respekts zu fördern?

Beim Amtsantritt habe ich auf die Verantwortung hingewiesen, die wir Thüringer aufgrund unserer Geschichte im Nationalsozialismus und der DDR haben. Ich habe auch über Umgangsformen gesprochen. Ich versuche, offen für jeden zu sein. Auf Regeln weise ich natürlich hin, versuche aber auch, es damit nicht zu übertreiben, um Konflikte nicht unnötig anzuheizen. Alle Abgeordneten zusammen prägen das Bild, das der Landtag nach außen hin abgibt, daran erinnere ich oft.

Respektlosigkeit und fehlende Bereitschaft, fremde Argumente überhaupt anzuhören, lösen sogar bei sonst friedfertigen Menschen Abneigung oder gar Hass aus. Wie gehen Sie mit negativen Gefühlen um?

Ich lerne, sie nicht nach außen zu tragen, und ich achte sehr auf die Überparteilichkeit meines Amtes. Auf mich als Politiker richten sich aber in wachsendem Maße negative Gefühle anderer. Nach meiner Wahl habe ich über Social Media so viele Hassnachrichten erhalten wie nie zuvor. Das ging in Richtung Morddrohungen und betraf erstmals auch meine Familie. Ich habe mit einem Brief an alle Abgeordneten reagiert und darauf hingewiesen, dass Hass im Netz jeden treffen kann und dass man solche Vorfälle ernst nehmen und beim Landeskriminalamt melden sollte. Selbst habe ich das bisher noch nicht getan. Mir ist wichtig, dass mein Leben und das meiner Familie normal weitergeht, dass Hass es nicht beeinträchtigt.

Fake News und Verschwörungstheorien breiten sich aus und tragen zur Polarisierung bei. Was hilft dagegen?

Dass so viele Menschen offensichtlich erfundene Inhalte teilen, ärgert mich sehr. In persönlichen Gesprächen widerspreche ich dem. Wenn mir zum Beispiel jemand sagt, dass wir ja in einem „besetzten Land“ leben, frage ich nach, wie er darauf kommt. Mit dem Phänomen müssen wir wohl weiter leben, aber wir sollten aufklären, Unterscheidung lernen, angefangen in der Schule: Kommt die Nachricht aus einer seriösen Quelle, welche Interessen stecken dahinter? Mit der Landeszentrale für politische Bildung leisten wir als Freistaat einen Beitrag. Über 20 000 Besucher kommen jedes Jahr in den Landtag. Jeder erhält bei uns auch Informationen darüber, wie unser Staat aufgebaut ist, wie die Verfassung funktioniert.

Nach Ihrer Wahl sprachen Sie von der Demut, die es jetzt brauche. Können Politiker diese Tugend in Wahlkampfzeiten überhaupt leben?

Wahlkampf lebt von Zuspitzung, braucht aber trotzdem Regeln. Ich betone häufig, dass wir als Abgeordnete eine dienende Rolle haben, die uns die Bevölkerung für eine bestimmte Zeit gibt und dass wir Entscheidungen nicht für uns persönlich treffen. Jedem sollte bewusst sein, dass er nicht alles kann und dass er Fehler macht. Dies dürfen wir uns und anderen zugestehen.

Papst Franziskus rückt im Heiligen Jahr 2025 Hoffnung in den Blick. Was legen sie denen ans Herz, die ihre Hoffnung auf die Politik verloren haben?

Wichtiger als gute Ratschläge scheint mir, ihnen zuzuhören, sich ihre Probleme anzuhören. Wenn ich Lösungen sehe, unterstütze ich natürlich konkret. Als Politiker sollten wir aber nicht die Illusion nähren, wir könnten jede Ungerechtigkeit beenden. Zuhören ist wirklich der erste und wichtigste Schritt. Es gibt gerade viele Menschen, die sich nicht gehört fühlen. Ich habe viel beim Zuhören gelernt. Auch heute versuche ich zu verstehen, warum politische Gegner in bestimmter Weise agieren. Als Geschäftsführer des Kolping-Bildungswerks hatte ich mit benachteiligten Jugendlichen zu tun. Zu hören, wie es bisher in ihrem Leben gelaufen war, half mir, sie gut zu unterstützen.

Von christlichen Politikern ist zuweilen zu hören, sie fühlten sich von ihrer Kirche alleingelassen. Geht es Ihnen auch so?

Nein. Ich wünsche mir aber, dass meine Kirche sich etwas weniger mit sich und ihren Strukturen beschäftigt. Sie muss mehr nach außen wirken. Auch wenn wir Christen in Thüringen eine Minderheit sind, sollten sich unsere Vertreter verstärkt zu wichtigen Themen wie Lebensschutz oder Stärkung von Familien zu Wort melden.

Dorothee Wanzek