Benediktiner-Abt Nikodemus Schnabel spricht über die Lage in Israel

„Ich bin pro Mensch“

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Benediktiner-Abt Nikodemus Schnabel im Gespräch
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Foto: Tomas Gärtner

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Benediktiner-Abt Nikodemus Schnabel in der Katholischen Akademie des Bistums Dresden-Meißen im Gespräch mit Referent Sebastian Ruffert. 

Der Benediktiner-Abt Nikodemus Schnabel aus Jerusalem sieht sich nicht als „Schönwetter-Mönch“. Bei seinem Besuch in Dresden berichtete er von der Lage in Israel und sagte, Christen müssten bei den Leidenden bleiben.

Bisweilen kommt es Nikodemus Schnabel so vor, als schauten viele in Deutschland auf die Ereignisse im Nahen Osten wie auf ein Fußballmatch. Die einen schwenken ihre Fahnen für Israel, die anderen für Palästina. „Man meint, auf der richtigen Seite der Geschichte stehen zu müssen.“ Der Benediktiner-Pater, 1978 in Stuttgart geboren, seit Mai 2023 Abt der Dormitio-Abtei in Jerusalem, nimmt sehr viel Schwarz-Weiß und schrille Bekundungen wahr, wie er bei einem Vortrag am 27. Februar in der Katholischen Akademie in Dresden sagte. 

Die göttliche Kostbarkeit der Menschenwürde hat jeder – auch Migranten

Der Jerusalemer Abt hingegen vertritt zusammen mit seinen Glaubensgeschwistern in Israel eine christliche Perspektive, nämlich die einer Minderheit von nicht einmal zwei Prozent der Bevölkerung. „Ich bin weder pro-israelisch, noch pro-palästinensisch, ich bin pro Mensch.“ Die göttliche Kostbarkeit der Menschenwürde habe jeder. Vielfalt ist für ihn Alltag. „Christliche Kirche ist bei uns bunt und international vernetzt.“ 13 Kirchen unterschiedlicher Konfessionen aus vier Ländern vereint seine Bischofskonferenz. 
Besonders gut kennt er inzwischen etliche Migranten und Asylbewerber in Israel, unter ihnen sehr viele Menschen von den Philippinen. Als „moderne Arbeits­sklaven“ müssten sie ihren Arbeitgebern fast rund um die Uhr zur Verfügung stehen, etwa im Baugewerbe oder als Putzkräfte. Von 2021 bis zu seiner Wahl als Abt war er ihr Seelsorger. Er würde sich wünschen, wenn solche kaum sichtbaren Menschen auch in Deutschland mehr Platz in der Kirche hätten, merkte er an. Ihr größter Wunsch sei, beten und ihren Glauben praktizieren zu können. Viele ihrer Arbeitgeber verwehrten ihnen das. „Da müssen wir kreative Wege gehen.“ Gottesdienste feiern sie in der Woche, heimlich, in Fabrikhallen oder in einem Karate-Studio. 
Unter den Menschen, welche die Terroristen der Hamas am 7. Oktober 2023 ermordete, waren neben Juden, Muslimen, Drusen, Buddhisten auch vier Christen, ein Mann, drei Frauen. Alle Philippinos, als Arbeitsmigranten Altenpfleger in Kibbuzim. Im Requiem für sie Anfang November habe die Witwe des ermordeten  Paul Vincent Castelvi in den Fürbitten zuerst um Schutz für die christlichen Geschwister im Gazastreifen gebetet.

Wenn jeder in seinem Leid steckt, ist es schwer, miteinander zu sprechen

17 von ihnen, Männer, Frauen, Kinder, kamen um, als bei einem Angriff der israelischen Luftwaffe die Mauer des griechisch-orthodoxen Pfarrzentrums St. Porphyrius auf sie stürzte. Elham Farah, eine 81 Jahre alte christliche Palästinenserin, die als pensionierte Musiklehrerin die Orgel der römisch-katholischen Pfarrei „Zur Heiligen Familie“ in Gaza-Stadt spielte, wurde versehentlich von einem israelischen Soldaten erschossen. „Es trauert sich nicht anders um einen Menschen, der von der Hamas ermordet, oder um einen, der als ‚Kollateralschaden‘ einer militärischen Aktion getötet wurde,“ sagte Schnabel.
Auch sie als Geistliche habe die blutige Gewalt und das Leid sprachlos gemacht. Deshalb öffnete der Lateinische Patriarch am 17. Oktober 24 Stunden lang die Dormitio-Basilika. In ökumenischer Gemeinschaft beteten sie alle 150 Psalmen. Mit Benefizkonzerten machen sie Kirchen zu Oasen für Trost und Hoffnung. „Dort sieht man dann auch Männer mit Kippa und Frauen mit Kopftuch. Miteinander zu sprechen ist kaum möglich, wenn jeder in seinem Leid steckt. Aber miteinander musizieren.“ 
Bevor Vertreter der Kirchen in Deutschland ihre Statements abgaben, hätte sich Abt Nikodemus gewünscht, dass sie bei ihnen in Jerusalem nachgefragt hätten, worauf es jetzt ankomme. Radikale Politiker beider Seiten neigten dazu, die Gegenseite zu dehumanisieren. Religion sollte sich nie vor den Karren der Politik spannen lassen. „Wir als Glaubende sind ihr freches Gegenüber.“
Bei den leidenden Menschen zu bleiben, darauf komme es gerade jetzt mehr denn je an, betont Abt Nikodemus. Auch wenn er auf der Straße täglich angespuckt wird von radikal nationalistischen Israelis, „Hooligans der Religion“, wie er sie nennt. „Wir sind keine Schönwetter-Mönche.“ Dieser Krieg stelle die Frage nach dem Glauben besonders dringend. „Ich glaube an Ostern, sonst würde ich in diesem Ozean an Leid und Verzweiflung versinken.“

Tomas Gärtner