Nikolausaktion für Fernfahrer auf einem Rastplatz

Einfach mal „Danke“ sagen

Diakon Franz-Georg Lauck reicht eine Geschenktüte in ein LKW-Führerhaus.

Fotos: Johanna Marin

Freiwillige verteilen Geschenke an die Fernfahrer, die gerade Pause machen.

Ihre Lage ist prekär: Die Arbeitsbedingungen der Fernfahrer in Europa grenzen an „Moderne Sklaverei“. Gleichzeitig sichern sie die Versorgung in Deutschland und Europa. Diakon Franz-Georg Lauck und andere Meißner Christen haben die Fahrer auf einer Raststätte als Nikoläuse beschenkt.

Keine Schokolade zu Weihnachten, keine Bücher, keine Apfelsinen unterm Tannenbaum. Die Regale in Deutschland wären leer, wenn es die Berufskraftfahrer nicht gäbe, denn knapp 80 Prozent des europäischen Güterverkehrs finden auf der Straße statt. Dabei arbeiten viele der Fernfahrer, die täglich Waren durch Deutschland fahren, unter sehr schlechten Bedingungen. Diakon Franz-Georg Lauck aus der Pfarrei St. Benno, Meißen, hat die Situation selbst beobachtet und wollte sich bei den Fahrern für ihre Arbeit bedanken. Gemeinsam mit Mitgliedern der Pfarrei packte er zum zweiten Mal zu Nikolaus Geschenktüten, die sie an der Raststätte Dresdner Tor an die Männer und Frauen, die dort Pause machten, verteilten.

Helfer der Nikolausaktion„Ist das immer so?“, dachte der Diakon, als er eines Tages in Wilsdruff an der Raststätte mit seinem kleinen E-Auto stand, eingepfercht zwischen zwei Lastern, und weder vor noch zurück konnte. Der ganze Parkplatz war völlig überfüllt, selbst auf den Zwischenwegen parkten LKWs. Was für ihn eine Ausnahmesituation war, ist für viele Lastkraftfahrer Alltag, denn in Deutschland fehlen laut ADAC rund 20 000 Stellplätze für LKW.  Gleichzeitig sind die Fahrer verpflichtet, regelmäßig eine Pause einzulegen. Tun sie dies nicht, droht ein Bußgeld. Das droht allerdings auch, wenn sie im Halteverbot stehen. Franz-Georg Lauck ließ diese Erfahrung nicht mehr los. Der Diakon, der zivilberuflich als Anwalt arbeitet, sieht seine Aufgabe darin, den Blick der Pfarrei auf die Außenwelt zu richten, „vom eigenen Mittelstand weg“. Und so fing er an, sich mit der Situation der Berufskraftfahrer auseinanderzusetzen.

Unhaltbare Zustände

Auch Georg Steinmetz hat dazu einiges zu sagen. Die Pfarrei St. Benno lud ihn im Vorfeld der Nikolaus-Aktion dazu ein, in einer Zoom-Konferenz von der Situation auf den deutschen Straßen zu erzählen. Der Diakon ist Fernfahrerseelsorger in Günzburg in Bayern und berichtet, dass ihm bei seiner Arbeit Menschen aus aller Welt begegnen. Allerdings nicht, weil der Beruf des Kraftfahrers so beliebt wäre, sondern weil Fahrer aus Usbekistan und Südafrika billiger seien als aus Polen, Tschechien oder Deutschland. Während die Fahrer, die bei deutschen Unternehmen festangestellt sind, zumindest durch den Mindestlohn geschützt werden, wie Franz-Georg Lauck erklärt, werden die Fahrer von Sub-Unternehmen schlecht bis gar nicht bezahlt, berichtet Georg Steinmetz. Er hat miterlebt, wie Fahrer im Frühjahr diesen Jahres in den Hungerstreik gingen, weil sie nicht bezahlt wurden und unter widrigsten Bedingungen ihre Ware ausfahren mussten. Nur mit Mühe konnten die sowieso schon mangelernährten Arbeiter von medizinischem Personal wieder dazu gebracht werden, zu essen. Georg Steinmetz schildert anschaulich, unter welchem Druck die Männer und Frauen arbeiten: „Ein Fernfahrer sagte mir mal: ‚Ich bin ein Sklave.‘“

Schon in Deutschland werden Berufskraftfahrer im Vergleich zu anderen Fachkräften unterdurchschnittlich bezahlt, so das Statistische Bundesamt. Viele deutsche Speditionen lassen die Waren außerdem von ausländischen Sub-Unternehmen transportieren, sagt Franz-Georg Lauck. Die Regelungen dort seien andere – während hierzulande eine Spedition die Kosten für Unterkunft, Knöllchen und Reparaturen am Wagen übernehmen muss, werden diese in fremden Unternehmen teils den Fahrern selbst zulasten gelegt. Den Euro für das Raststätten-Klo sparen sich viele deshalb. Lieber nehmen sie Wasserkanister mit, die zum Trinken und für die Katzenwäsche herhalten, erzählt der Meißner Diakon. Das Geschäft wird im Gebüsch verrichtet.

Abgesehen von der schlechten Bezahlung und den wenigen Stellplätzen haben vor allem die Fernfahrer einen fordernden Job. Sie sind oft wochenlang im LKW unterwegs und schlafen in ihren Fahrerkabinen. In Wilsdruff am Dresdner Tor hängt einer gerade seine frisch gewaschene Wäsche hinten am Kofferraum auf, daneben brutzelt Essen auf dem Campingkocher. Viele Fahrer machen dort das ganze Wochenende lang Pause. Dabei dürften sie das eigentlich gar nicht. Die Lenk- und Ruhezeiten besagen, dass sie pro Woche eine 45-stündige Ruhezeit außerhalb des Wagens verbringen müssen – entweder an ihrem Wohnort oder in einer vom Arbeitergeber bezahlten Unterkunft. Auf der Raststätte wird deutlich, dass die Realität anders aussieht.

„Ich fahre gerne“

Im Selbstmitleid suhlen sich die Fahrer trotzdem nicht. „I like driving“ – „Ich fahre gerne“, sagt Marcin aus Polen, der gerade vom Duschen zu seinem Wagen zurückgekehrt ist. Er erzählt, dass er zu viel zu tun hat und dafür nicht fair bezahlt wird. Doch die Arbeit selbst macht Spaß. Er kommt weit rum: England, Spanien, Frankreich, Italien… am liebsten fährt er durch Schottland. „Da ist weniger Verkehr und es gibt wunderschöne Berge.“ In den Pausen duscht er, geht spazieren und guckt Filme. Während der Fahrt hört Marcin außerdem gerne Musik über YouTube. Er freut sich darauf, Weihnachten mit seiner Familie zu verbringen. Überhaupt erzählen viele LKW-Fahrer, die die fleißigen Helfer aus der Meißner Pfarrei antreffen, dass sie über Weihnachten zu ihren Familien heimkehren.
 

Nikolaus-Helfer
200 Geschenktüten haben die fleißigen Helfer gepackt.

Eine Gruppe rumänischer Fahrer macht Pause vor einem schwarzen Van. Sie trinken Kaffee, essen Brötchen und albern miteinander herum. „Wir haben uns gerade erst kennengelernt“, erzählt der älteste von ihnen auf Englisch, „Aber es ist schön, gemeinsam Pause zu machen.“ Unter ihnen ist auch eine Frau – von denen gibt es wenige auf der Raststätte in Wilsdruff und auch das Statistische Bundesamt schreibt, dass nur etwa drei Prozent aller Berufskraftfahrer in Deutschland weiblich sind.

Miroslav aus der Ukraine freut sich über den Besuch des heiligen Nikolaus an seinem LKW. Er streckt den Arm aus der himmelblauen Fahrerkabine und nimmt eine Geschenktüte entgegen. Auch ein Kreuz reichen ihm die Helfer und er küsst es überschwänglich. Berufskraftfahrer ist er geworden, um seine drei Kinder zu ernähren. Es ist sein „Schicksal“, dass er arbeiten und Geld verdienen muss, sagt er. Lieber wäre er zu Hause bei seiner Familie statt allein im LKW. Dafür freut er sich über den Kontakt mit anderen Fahrern. „Jeden Tag treffen wir Menschen aus unserem eigenen Land und aus anderen Ländern“, erzählt er in seiner Muttersprache, „Es ist sehr angenehm, sich in den Pausen zu unterhalten, weil man im Auto ja allein ist.“

Einfach „Danke!“ sagen

Kreuze zum VerteilenDie Nikolaus-Aktion der Pfarreimitglieder aus St. Benno kommt gut an. 200 Geschenktüten haben die Helfer mit Duschgel, Handtüchern, selbst gebackenen Plätzchen und einem Nikolaus aus Schokolade bestückt. Dazu werden Kreuze verteilt – allerdings nur, wenn die Fahrer sie auch haben wollen. „Wir wollen niemandem etwas aufdrängen“, betont Franz-Georg Lauck. Zusätzlich zu den Pfarreimitgliedern aus St. Benno sind auch Menschen aus der benachbarten evangelischen Gemeinde dabei, sowie ein junger Mann, der nicht gläubig ist. „Ich fand die Idee einfach aus humanistischen Gründen gut“, sagt er. Und der Diakon erzählt, dass die Veranstaltung verschiedenste Leute angelockt habe: Intellektuelle, Handwerker, ehemalige Kraftfahrer und auch die Firmlinge der Pfarrei.

Priester Norbert Gatz hält zwischen den Autos eine Andacht für die rund zwanzig Unterstützer. „Wir können die Situation der Fahrer mit unserer Aktion nicht verbessern“, mahnt er, „wir wollen einfach nur danke sagen“. Und so machen sich die Helfer in kleinen Gruppen auf den Weg zu den Fahrerkabinen. Gleich mehrere sind als Nikolaus verkleidet. Das öffne Türen, sagt Rentner Bernhard Wendt, der bereits letztes Jahr bei der Aktion mitgemacht hat, denn der heilige Nikolaus sei bis weit in den Osten bekannt.

Und tatsächlich kommen die meisten der Fahrer, die am Dresdner Tor pausieren, aus osteuropäischen Ländern: Belarus, Polen, Ukraine, viele Rumänen sind dabei und der am weitesten gereiste Fahrer stammt aus Batumi in Georgien. Die Rumänen und Belarussen berichten den Helfern von der politischen Lage in ihren Ländern und schimpfen auf ihre Regierungen. Auch ein Spanier ist unter den Männern. „Mit dem sind wir sprachlich ewig nicht zurande gekommen“, lacht Bernhard Wendt, „weil wir einfach nicht damit gerechnet hatten, dass er aus Spanien kommt“.

Der heilige Nikolaus würde sich freuen

Dem Rentner gefiel die Aktion im vergangenen Jahr so gut, dass er sie dieses Jahr mit organisiert hat. „Ich glaube, der heilige Nikolaus würde sich freuen“, sagt er über das Geschenkverteilen. Ihm ist aufgefallen, dass viele der Fahrer erst misstrauisch gucken, wenn man auf sie zugeht. Sie dächten, die Helfer wollten ihnen etwas verkaufen, vermutet er. Doch sobald sie merken, dass sie beschenkt werden, sei die Freude groß: „Ja, die freuen sich so richtig!“, strahlt Bernhard Wendt.

Sabine Müller schiebt die Geschenktüten auf ihrem Rollator von LKW zu LKW. „Die Fernfahrer tun einem leid“, erklärt sie ihre Motivation. „Es sind viele, die eben ständig unterwegs sind.“ Sie konnte sich mit ihnen nett unterhalten, erzählt sie und klopft schon an die nächste Fensterscheibe. Sprechen sie und die Fahrer nicht die gleiche Sprache, behilft sie sich mit einer Übersetzer-App auf dem Handy. „Es war wunderbar. Also wirklich“, ist ihr Fazit.

Nicht ganz neu ist das Thema „Fernfahrer“ für Mara Baumann. Die 14-Jährige hatte in der Grundschule einen Klassenkameraden, dessen Vater Berufskraftfahrer war. „Der hat immer erzählt, dass sein Vater selten zu Hause war“, erinnert sie sich. So richtig befasst habe sie sich mit der Situation der Arbeiter bisher aber nicht. Vor allem der Alltag in der Fahrerkabine und auf dem Parkplatz hat sie überrascht: „Ich finde wirklich krass, wie die auf diesem wenigen, kleinen Platz ihre Zeit verbringen und alles dabei haben, was sie zum Leben brauchen“, sagt sie. Toll findet sie, dass sie beim Verteilen mit Menschen aus so vielen verschiedenen Ländern in Kontakt gekommen ist. Ihre Hoffnung ist, dass die LKW-Fahrer durch die Aktion erfahren, dass sie ihnen dankbar für ihre Arbeit ist.

Den Blick der Pfarrei auf die Außenwelt zu richten, wie Franz-Georg Lauck es sich wünscht, scheint gelungen zu sein. Und Bernhard Wendt hofft, dass die Arbeit, die der Diakon auch in den lokalen Medien leistet, Gutes für die Berufskraftfahrer bewirken kann. Aber die werden bald erst mal ihren Weihnachtsurlaub genießen.
 

Ein Freiwilliger hatte sich auch als Bischof Nikolaus verkleidet.
Sankt Nikolaus ist international bekannt und die Kostüme sorgen für Freude bei den Fahrern.
Johanna Marin