Pilgertour der sächsischen Malteser

Auf dem Weg zu dem, was wirklich zählt

Pilgertour der sächsischen Malteser

Fotos: Ruth Weinhold-Heße

Pilgern liegt im Trend – nicht nur bei Christen. Wie man Pilgergruppen begleitet, lernte Silke Maresch unter anderem in der Sächsischen Wander- und Pilgerakademie. Sie bietet als Malteser-Seelsorgerin jährlich einen Pilgerausflug für Mitarbeiter und Ehrenamtliche an. Werbung muss sie dafür nicht machen.

Die Gruppe von Pilgern läuft schweigend an der Elbe entlang, das letzte Stück auf dem Ökumenischen Pilgerweg – kurz vor dem heutigen Ziel Pirna. Auf den Rücken sitzt teilweise großes Gepäck mit Schlafsäcken. Trinkflaschen baumeln daran oder in den Händen; an den Füßen tragen die meisten Wanderschuhe. Die Sonne steht schon hoch, der Wind ist kühl, die Vögel singen wild durcheinander – sonst herrscht Stille.

Ein ungewöhnlicher Einstieg für eine Reporterin, die eigentlich Fragen stellen soll. Das muss erst einmal warten. Ich reihe mich ein, konzentriere mich auf die Eindrücke aus der Natur, das rhythmische Laufen, die Gedanken, die mir kommen – wann nehme ich mir sonst schon Zeit dafür?

Wie eine Schnur reihen sich die Maltesermitarbeiter auf dem schmalen Weg aneinander. Die Pilgergruppe von 20 Menschen ist bunt gemischt: Unter ihnen sind Christen, Atheisten, feste Mitarbeiter aus ganz unterschiedlichen Gegenden vom Spreewald bis zur Sächsischen Schweiz, ein Drittel von ihnen sind Ehrenamtliche. Viele pilgern zum ersten Mal, so wie Anja Höhne aus Dresden. Nachdem die Schweigezeit beendet ist, erzählt die 38-Jährige begeistert von dieser neuen Erfahrung: „Das Gehen hat mich sofort entschleunigt. Das ist total wichtig in unserer schnelllebigen Zeit.“ Die Malteser-Verwaltungsmitarbeiterin nennt sich selbst „nicht konfessionell, aber spirituell“. Offen für die geistlichen Impulse sollten die Teilnehmer schon sein, aber Vorwissen wird nicht verlangt. Anja Höhne erlebte das dreitägige Seelsorge-Angebot als eine „wunderbare Gemeinschaft“ mit „Klassenfahrtfeeling“. Beeindruckt ist sie besonders von den einfachen Unterkünften: „Das waren meist Räume von Kirchen und wir waren überall willkommen und sind herzlich empfangen worden – wo hat man das heute schon noch?“

bergauf pilgern

„Die Kirchen sind leer, aber die Pilgerwege sind voll“

Pilgern ist gerade in Mode. Und damit ist nicht nur die praktische Outdoor-Kleidung gemeint, sondern die offensichtliche Sehnsucht vieler Menschen, zu sich zu kommen. Beim Gehen, was an und für sich schon meditativ sein kann, gelingt das vielen anscheinend auch. Die Anzahl der Pilger auf der bekanntesten aller Pilgerrouten, dem spanischen Jakobsweg, ist in den Jahren 2003 bis 2024 stetig gestiegen. Ausnahmen bildeten nur Heilige Jahre (da waren es mehr Pilger) und die Corona-Zeit, wo es besonders wenige waren. Trotzdem ist der Trend deutlich zu erkennen: Von unter 100 000 Pilgern noch vor 20 Jahren ist die Zahl auf beinahe eine halbe Million Pilger 2024 angewachsen.

Pilgern ist außerdem ein Angebot von Kirche, bei dem sie automatisch nach außen gehen muss. „Die Kirchen sind leer, aber die Pilgerwege sind voll.“ Dieser Satz aus dem Programm der Ökumenischen Akademie Gera/Altenburg bringt es gut auf den Punkt. Und so sind in den letzten Jahren immer mehr Pilgerherbergen auch in Ostdeutschland entstanden. Wege wurden erschlossen oder wiederbelebt, nicht zuletzt von den Tourismusverbänden unterstützt. In Sachsen wirbt auch Tourismusministerin Barbara Klepsch, selbst Katholikin, für das Pilgern. Zwar machen sich nicht alle Pilger auf den Weg, um Gott zu suchen, aber es ist eine gute Möglichkeit, ihm zu begegnen.

Pilgerausweis des sächsischen Jakobusweges

Denn dass das Pilgern eine gewisse Faszination ausübt, liegt gerade an dem geistlichen Angebot, das dahinter steckt. Anja Höhne beschreibt ihre Erfahrung so: „Ich war ganz schnell bei mir selbst und konnte auch das sehen, was so am Wegesrand ist. Worüber ich schon bei der Vorbereitung nachdenken musste: Was brauche ich eigentlich dringend, was ist wirklich wichtig? Denn das fängt ja beim Packen schon an.“ Aus der Packliste von Anja Höhne („Das Make Up bleibt zu Hause!“) wurde die Frage nach dem, was wirklich zählt im Leben. Der Gedanke begleitete sie weiter – auch durch die Impulse und die erlebte Gemeinschaft. Am Ende, erzählt sie, genoss sie es auch, dass jemand anderes die Reiseroute plante und sie als Mutter mal keine Verantwortung übernehmen musste, einfach nur mitgehen und sich mit anderen austauschen konnte über ihr Leben. „Das war wie eine gute Therapie für mich.“

Liane Börner aus Dresden beschreibt, wie vor allem das Schweigen sie bereichert hat: „Wir haben in einer Kirche gesungen, bevor wir gestartet sind, und haben die Melodie mit ins Schweigen genommen. Dabei konnte ich besonders gut meinen Gedanken nachgehen.“ In der Danke-Runde am Ende der dreitägigen Pilgertour sagt eine Teilnehmerin noch: „Durch das Schweigen bin ich erst richtig zur Ruhe gekommen und angekommen bei mir.“

Silke Maresch verlässt eine Fähre
Silke Maresch ist Malteser-Seelsorgerin und hat das Mitarbeiterpilgern initiiert.

Pilgern in Etappen und kleinen Gruppen

Hinter dem Angebot des Mitarbeiterpilgerns der Malteser in den Bistümern Dresden-Meißen und Görlitz steht Silke Maresch. Sie ist Seelsorgerin für über 2000 Mitarbeiter. Die Angestellten in den caritativen Einrichtungen sind längst nicht nur Christen, dazu kommen Ehrenamtliche, wie in der Hospizarbeit. „Der Hintergrund für meine Arbeit ist, dass wir erklären müssen, wer wir sind und dass die Grundintention für unsere Arbeit das christliche Menschenbild ist. Wir erklären, warum wir die Dinge so tun, wie wir sie tun“, so Maresch. Das dreitägige Mitarbeiterpilgern ist eines der Angebote, wo sie das gut kann. In einer kleineren Gruppe kann es eine intensive Erfahrung für alle werden. „Ich habe das aus dem Bauch heraus gemacht, weil ich selber gerne pilgern gehe. Als meine Kinder noch klein waren, bin ich mit Freundinnen in Etappen gepilgert, immer von Donnerstag Abend bis Sonntag“, erzählt sie. Bei den Maltesern ging sie deshalb auch den Ökumenischen Pilgerweg durch Sachsen in Etappen, in diesem Jahr von Großenhain bis Riesa.

Bereits zum vierten Mal bot sie das Pilgern für Mitarbeiter an, die ihre Dienstzeit dafür nutzen können. „Ich brauche keine Werbung zu machen, die Plätze sind immer schnell weg. Es durchmischt sich auch immer wieder neu, weil nicht alle, die beim letzten Mal dabei waren, wieder kommen können.“ Wenn es nach den Nachfragen ginge, könnte Silke Maresch noch größere Gruppen voll bekommen. „Die gemeinsame Zeit fördert den Gemeinschaftssinn und ist kein Urlaub“, betont sie. Ab einer gewissen Anzahl an Personen werde es aber schwierig, Unterkünfte zu bekommen. Auch andere Fragen der Organisation werden herausfordender, denn nicht alle können gleich schnell laufen.

Was Silke Maresch dabei geholfen hat, mit den Maltesergruppen unterwegs zu sein, ist die Christliche Pilgerbegleiter-Ausbildung der sächsischen Wander- und Pilgerakademie. „Die Ausbildung hat mich vor allem darin bestärkt, dass es prinzipiell richtig ist, was ich mache“, so Maresch. Auf dem Kursprogramm steht natürlich das praktische Planen, Vorbereiten und Durchführen von ein- oder mehrtägige Pilgertouren für Gruppen. „Tricks, wie die richtigen Wege-Apps oder wie ich Unterkünfte finde, habe ich neu gelernt.“ Ein wichtiger Punkt sei auch, wie Pilgerbegleiter mit schwierigen Situationen umgehen, wenn jemand nicht mit der Gruppe mitkommt etwa. Vorerfahrungen in Gruppenarbeit hatte Silke Maresch bereits und als Malteserin hat sie das Glück, eigentlich immer einen Rettungssanitäter in der Gruppe dabei zu haben. „Sehr interessant fand ich aber den Teil der Kirchenpädagogik, wo ich neue Methoden lernen konnte, wie ich Menschen Kirchen nahebringen kann.“ Wenn rund 70 Prozent der Bevölkerung keinen Bezug zu Kirche mehr haben, müsse sie manchen der Mitpilger erklären, wie sie sich in Kirchen verhalten können.

Pilgerbox mit Rosenkranz und KruzifixEtwas mitnehmen in den Alltag

„Neben dem Austausch in der Gruppe ist mir in der Vorbereitung wichtig, Menschen vor Ort zu finden, mit denen wir ins Gespräch kommen können“, sagt Silke Maresch weiter. So habe ihre Gruppe im letzten Jahr mit einer der Zisterzienserinnen aus dem Kloster Marienstern gesprochen, in diesem Jahr besuchten sie die „Pilgeroase JVA Zeithain“, eine Pilgerraststätte mit Begegnungsgarten. Sie ist ein Projekt der Gefängnisseelsorge in Zeithain. Bei einem erfrischenden Getränk können die Pilger Gespräche mit Gefangenen führen, die dadurch ebenfalls bereichert werden. Das habe die Teilnehmer beeindruckt.

Am Ende der Pilgerreise bekommen die Teilnehmer noch ein kleines „echt katholisches“ Geschenk von den Verantwortlichen: Eine kleine weiße Dose mit einem Mini-Rosenkranz („Als Zeichen dafür, dass jeder eine kleine Perle in der Gemeinschaft ist.“), einem Fläschchen Weihwasser („Als Symbol dafür, dass wir alles von Gott bekommen werden, was wir brauchen.“) und einem kleinen Kreuz („Zur Erinnerung an Jesus Liebe, weil er für uns am Kreuz gestorben ist.“). Das Döschen lässt sich wie eine Mini-Erste-Hilfe-Schachtel leicht im Gepäck verstauen.

„Das Beste wäre natürlich, wenn die Leute das, was sie hier kennengelernt haben, selber weiter machen. Sich mit Freunden zusammenschließen und weiterpilgern“, wünscht sich Silke Maresch. Soweit ist ihr Anliegen auch erfolgreich, denn einige der Teilnehmer haben sich vorgenommen, den Ökumenischen Pilgerweg noch einmal selbst in Görlitz zu beginnen und gen Westen zu pilgern. Für die Malteser steht im nächsten Jahr das letzte sächsische Stück von Riesa nach Leipzig auf dem Plan, danach werden neue Pilgerwege ausprobiert.

Ruth Weinhold-Heße
Ausbildung fürs Wandern Plus

Die Christliche Pilgerbegleiter-Ausbildung in Sachsen ist eines der Angebote der Wander- und Pilgerakademie Sachsen, die ein Bereich der Evangelischen Erwachsenenausbildung ist. „Wir sind in der Ausrichtung ökumenisch offen“, betont Holger Richter, der die Akademie leitet. „Der Bedarf, sein Leben ein Stück zu verlangsamen, ist vor allem in Phasen von Umbruch und Neupositionierung groß“, beobachtet Richter. „Pilgern ist Wandern Plus, weil die geistliche Dimension dazukommt“, erklärt er. Neben der Nachfrage nach dem Einzelpilgern sehe er aber nach wie vor steigenden Bedarf für Gruppenangebote zum Pilgern.

Die Ausbildungen werden gefördert durch den Freistaat Sachsen und finden in Kooperation mit dem Landestourismusverband Sachsen statt. Weitere Kurse gibt es für Wegewarte und Wanderführer. Es sei ein Alleinstellungsmerkmal Sachsens, dass Pilgern und Wandern hier zusammen gedacht werden, so Richter.

Die Pilgerbegleitausbildung wird in drei aufeinander aufbauenden Modulen durchgeführt und umfasst insgesamt zwölf Tage. Neben der Teilnehmerbescheinigung gibt es am Ende auch ein Zertifikat. Bis zum Spätsommer können sich Interessierte aus Sachsen für einen Kurs im Jahr 2026 bei Holger Richter informieren und anmelden. E-Mail: Holger.Richter@evlks.de