Engagement in der Suizidprävention
„Das Leid war nicht vergeblich“
Foto: Stefan Schilde
Vier Jahre ist her, dass Viktoria Szewczyk versuchte, sich umzubringen. Damals war sie 15 Jahre alt. Als ihre Depressionen immer schlimmer wurden, dachte sie, ihre Gedanken niemandem offenbaren zu können. Weder ihren Eltern noch ihren Freunden. „Ich hatte Angst, auf Unverständnis zu stoßen, verurteilt oder belächelt zu werden“, sagt sie. Dass Ratschläge kommen könnten wie: „Ach, so schlimm ist das doch nicht. Geh einfach mal raus, dann wird das schon wieder.“
Selbstverletzungen, Magersucht, Angst vor dem Scheitern
Schon mit elf Jahren fing sie an, sich selbst zu verletzen. An Stellen, die verborgen bleiben. Sie aß sehr wenig. Zum Zeitpunkt ihres Suizidversuchs, erzählt sie, war sie so unterernährt, dass sie Nebel vor Augen hatte und nicht einmal an einen Abschiedsbrief dachte. Der Versuch scheiterte – zum Glück, wie sie heute sagt.
Geholfen hat ihr danach die Psychologin, bei der sie in Therapie war. Und ein Rezept: „Ich machte mir klar, was sich ändern muss. Zum Beispiel hatte mein Ehrgeiz krankhafte Formen angenommen“, sagt sie. Obwohl sie in der Schule gute Noten erhielt, steigerte sie sich in den Gedanken hinein, zu versagen. „Leistung ist mir heute immer noch wichtig. Aber ich habe gelernt, mich realistisch einzuschätzen, mal einen Gang zurückzuschalten.“
Inzwischen studiert sie Chemie, hat einen festen Partner und gute Freunde, denen sie sich anvertrauen kann. Und: „Ich habe auch gelernt, auf welche Anzeichen ich bei mir achten muss.“ Wenn sich dunkle Gedanken anbahnten, widme sie sich nun Dingen, die ihr Spaß machen. „Früher hatte ich auch Freunde, aber keine Hobbys und deshalb zu viel Zeit, mich mit mir selbst zu beschäftigen“, sagt sie. Mit ihrem bestem Freund geht die 19-Jährige nun Tanzen, sie baut Gemüse auf ihrem Balkon an, spielt Science-Fiction-Tischspiele. „Dabei kann ich Spannungen abbauen.“
Das eigene Leid nutzen, um es anderen zu ersparen
Doch nur sich selbst zu helfen, genügt Vikoria Szewczyk nicht. Sie will anderen helfen, die mit Depressionen kämpfen oder gar mit dem Gedanken spielen, ihr Leben zu beenden. Sie wurde auf das Projekt [U25] der Caritas aufmerksam. Junge Menschen können sich anonym und ohne Hürden per E-Mail melden, ihren Gefühlen freien Lauf lassen. Bei den überwiegend ehrenamtlichen, zuvor geschulten Helfern am anderen Ende der Internetleitung, selbst 25 Jahre oder jünger, erhalten sie ein offenes Ohr – oder besser gesagt: offene Augen.
Die meisten Ratsuchenden, sagte Viktoria Szewczyk, melden sich nur ein einziges Mal. Dass es sich dabei um Abschiedsbriefe handeln könnte, glaubt sie nicht. „Sie wollen loswerden, was sie belastet, weil sie sonst niemanden haben, mit dem sie reden können.“ Doch es gebe auch längere elektronische Briefwechsel. Was sie ihrem unbekannten Gegenüber zur Ermutigung mit auf den Weg gibt? „Kommt darauf an“, sagt sie. „Wenn erkennbar ist, dass demjenigen die Natur nah ist, rate ich ihm vielleicht, einmal in den Wald zu gehen. Das kann Ruhe und Frieden stiften.“
Ihre Arbeit für [U25] erfülle sie, sagt Szewczyk. Sie will so lange weitermachen, bis sie 25 Jahre alt ist. „Dann werde ich rausgeschmissen“, erklärt sie und lacht. Aber sie will sich mit ihren Erfahrungen weiter einbringen. „Ich habe das Gefühl, wenn ich anderen auf diese Weise helfen kann, hatte mein eigenes Leid irgendwie doch einen Sinn.“
Mehr zur [U25]-Beratung: u25-berlin.de