Hexenverfolgung in Papua-Neuguinea
55 Menschen gerettet
Die körperlichen Wunden, unter unsäglichen Folterqualen zugefügt, werden vielleicht irgendwann heilen. Aber die äußerlich nicht sichtbaren psychischen Erschütterungen, von denen die Betroffenen gnadenlos verfolgt werden, begleitet von der ständigen Angst vor der nächsten Misshandlung, bleiben oft ein Leben lang.
Die Besucher einer Veranstaltung im Heiligenstädter Marcel-Callo-Haus hörten und sahen anhand von Fotos, einem Film und einem Bericht Unfassbares, Unmenschliches. „Einige Bilder zeige ich euch nicht. Da könntet ihr nicht mehr schlafen“, unterstrich Schwester Lorena Jenal aus der Schweiz. In Begleitung der Missio-Referenten Monika König (Erfurt) und Georg Poddig (Hildesheim) war sie für ihren Vortrag „Nächstenliebe ist keine Hexerei“ zuerst nach Heiligenstadt, anschließend nach Gotha gereist.
Schwester Lorena berichtete in Heiligenstadt und Gotha über ihren Kampf gegen die Hexenverfolgung in Papua-Neuguinea. Foto: Christine Bose |
Aus der Steinzeit in die Neuzeit geschleudert
Die frohe Botschaft wollte die Franziskanerin verkünden, in Worten und Taten, als sie vor vier Jahrzehnten ihre Tätigkeit als Missionarin in Papua-Neuguinea aufgenahm. „Es war buchstäblich Steinzeit“, erinnerte sie sich und führte Beispiele an: Männer im Lendenschurz, Frauen in Grasröcken, Pfeil und Bogen für die Jagd, Süßkartoffelernte mit dem Grabestock. Die Ordensfrau schilderte, wie die Menschen dort „in die Neuzeit geschleudert“ wurden. Große ausländische Unternehmen fielen in das an Bodenschätzen reiche Land ein; amerikanische, chinesische, japanische, russische Öl-Konzerne bereicherten und bereichern sich an den Rohstoffen. Rücksichtlos wurden Regenwälder abgeholzt. Die Einheimischen waren und sind völlig überfordert und vom Reichtum ausgeschlossen. Besonders viele junge Männer betäuben sich angesichts ihrer ausweglosen Situation mit Alkohol und Drogen, üben Gewalt gegen Frauen aus.
Zwar sind 80 Prozent der Bevölkerung Christen, wobei es zahlreiche Freikirchen gibt, aber 20 Prozent sind heute noch dem Ahnenkult und dem Geisterglauben verfallen, der unter anderem zum Inhalt hat, Frauen, aber auch Männer und Kinder als Hexen zu verfolgen, ihnen den Prozess zu machen. „Aberglaube gab es schon immer; doch die Jagd auf Hexen nimmt dramatisch zu, wird zu einem Ventil für die eigenen Probleme“, berichtete Schwester Lorena.
Für ihren unermüdlichen, lebensgefährlichen Einsatz wurde sie 2018 mit dem Menschenrechtspreis der Stadt Weimar geehrt. 55 Menschen hat sie gerettet; vier sind gestorben.
Gänsehaut verursachte ihr Bericht, wie Kinder die Folterungen ihrer Mütter mit ansehen müssen, wie im 21. Jahrhundert Hexenverbrennungen vonstattengehen. Oftmals werden die maßlos Gequälten grundlos für den natürlichen Tod eines anderen Menschen verantwortlich gemacht. „Die Verurteilten tanzen nach Ansicht derer, die sie beschuldigen, aus der Reihe“, erklärte die Franziskanerin. An der Seite der Ordensschwester dürfen die überlebenden Opfer Schmerz, Wut und Aggressionen herausschreien, verzweifelt fluchen. Um ihnen zu helfen, bei ihnen zu sein, bleibt die 69-Jährige schon mal für eine Woche ihrer Pfarrei fern, schläft draußen im Dschungel. Unvorstellbar, aber wahr: „Ich bin in den Augen der Peiniger die Oberhexe, die Advokatin des Teufels“, betonte sie. Schon mehr als einmal hat sie ein Messer am Hals gehabt und andere haben dabei tatenlos zugeschaut. Korrupte Polizisten, Anwälte, Richter nehmen Drohungen und Angriffe nicht zur Kenntnis.
Sogar aus den Reihen der Polizei wurde ihr mit Mord gedroht. Im UNO-Büro in Genf hat sie den Alltag in Papua-Neuguinea geschildert, hat gefragt: „Wer macht unsere Arbeit, wenn wir morgen tot sind?“ Dennoch kämpft sie voll Gottvertrauen weiter, startete mit ihren Mitschwestern ein Aufklärungsprogramm; sie gehen in Kindergärten, Schulen, auf Märkte. Unterstützt werden sie von Sozialarbeitern, Ärzten, Anthropologen.
In diesen Tagen will Schwester Lorena mit ihren Verbündeten beginnen, mit Hilfe von Missio-Spendengeldern ein „Haus der Hoffnung“ für die Geschundenen zu bauen, mit Krankenhaus und Schule. Ihre Worte riefen bei allen, die diese mutige Frau erlebten, Hochachtung hervor: „Ich will Stimme sein für die Stimmlosen, will den Hoffnungslosen Hoffnung geben, solange ich kann.“
Von Christine Bose