Interview zum Schwerpunkt: Neues Leben in alten Mauern

„Abriss ist immer die schlechteste Lösung“

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Hinweisschild an Kirche
Nachweis

Foto: kna/Harald Oppitz

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Hinweisschild an der Glastür der Kirche Sankt Marien in Bonn.

Experte Albert Gerhards über die Weiternutzung von Kirchen, die für den Gottesdienst nicht mehr gebraucht werden

„Das Thema ist inzwischen überall angekommen“, sagt Albert Gerhards. „Auch in Süddeutschland, wo es lange tabu war, darüber zu reden, Kirchen zu schließen.“ In den meisten Diözesen gibt es inzwischen Pläne oder Richtlinien, wie kirchliche Gebäude reduziert werden. „Aber oft wurden da vor allem Fachleute für Immobilienverkauf gefragt“, sagt der Priester und emeritierte Liturgiewissenschaftler, der sich schon lange mit der Umnutzung von Kirchen beschäftigt. In den kommenden 20, 30 Jahren, heißt es, muss der Bestand um die Hälfte, mancherorts bis zu zwei Drittel abgebaut werden – das trifft natürlich auch Kirchen.

„Die schlechteste Lösung“, sagt Gerhards, „ist immer der Abriss.“ Auch wenn dies zusammen mit dem Verkauf des Grundstücks vielleicht das Profitabelste ist, gerade in guten Lagen. „Investoren, die etwas Neues und Schickes bauen wollen, finden sich immer.“ Doch dagegen protestieren inzwischen viele – nicht nur die Frommen. So wurde das Manifest „Kirchen sind Gemeingüter. Für eine neue Verantwortungsgemeinschaft“ aus dem Jahr 2024 von mehr als 22 000 Menschen unterschrieben, darunter viele aus Denkmalschutz und Kultur. Olaf Zimmermann, der Geschäftsführer des Deutschen Kulturrats, betont im Gespräch mit dem Evangelischen Pressedienst: „Kirchen sind Allgemeingüter. Sie gehören gefühlt allen.“

Albert Gerhards
Albert Gerhards. Foto: KNA/Nicola Terenz

Gerhards sieht das ähnlich. „Die Kirchen wurden in der Zeit der Volkskirchen und damit praktisch von der Gesamtbevölkerung gebaut“, sagt er. „Da kann nicht irgendwer kommen und darüber bestimmen, was aus ihnen wird.“ Die einfache Lösung Abriss und Verkauf des Grundstücks führe dazu, „dass unser kulturelles Erbe systematisch zerstört wird“. Ihm ist klar, dass nicht alle Kirchen als Gottesdienstorte gehalten werden können und müssen. „Es muss eine Transformation stattfinden“, sagt er. „Und für Gemeinden, die sich auf diesen Weg machen, kann das durchaus positiv sein.“ 

Doch es gibt ein Problem. „Zuständig dafür, was aus ihrer Kirche wird, ist die Pfarrei, insbesondere der Kirchenvorstand“, sagt Gerhards. „Die Ehrenamtlichen sind von dem Thema aber komplett überfordert und werden von den Bistümern oft alleingelassen.“ Denn wenn man nach Alternativen und Neunutzung suche, sei vieles zu bedenken: „Was wird im Ort oder im Stadtteil gebraucht? Mit wem könnte man kooperieren? Welche Fördertöpfe könnte man anzapfen?“ Gerade die finanzielle Förderung ist oft entscheidend. „Es gibt alle möglichen Förderprogramme auf kommunaler Ebene, im Bund oder in der EU. Aber die muss man kennen, das ist echtes Expertenwissen“, sagt Gerhards. Dieses Wissen müssten sich Diözesen aneignen. „Manch gute Idee ist daran gescheitert, dass sich niemand dahintergeklemmt hat“, sagt er – und meint mehr die Hauptamtlichen in den Verwaltungen als die Ehrenamtlichen in den Gemeinden.

„Es geht mehr, als man auf den ersten Blick denkt.“

Beispiele, wie Kirchen neu genutzt werden können, sammeln Gerhards und andere schon lange. Auf der Internetseite kirchen-zukunft-raeume.de sind allein 119 Projekte aus Nordrhein-Westfalen beschrieben – vom Seniorenheim bis zur Kletterhalle, von der Synagoge bis zum Kulturzentrum, von der Kita bis zum Restaurant. In einigen Kirchen wird weiter gelegentlich Gottesdienst gefeiert, andere werden rein säkular genutzt. 

Manchen tut das weh, aber Gerhards sagt: „Wir müssen Sakralität neu denken.“ Die strikte Trennung von heiligem Raum für Gottesdienste und profanem Raum für das normale Leben sei kein Muss. Der Theologe nennt Beispiele aus seinem Heimatbistum Aachen: „In Düren wurde eine Kirche zur Kita umgebaut, Gottesdienste waren gar nicht vorgesehen. Aber nach einiger Zeit kam die Frage auf: Wenn dort am Sonntag kein Betrieb ist, können wir dann da nicht Messe feiern?“ Inzwischen, sagt er, werde das regelmäßig getan – mit einem tragbaren Altar und viel Atmosphäre.

Auf den ersten Blick noch skurriler wirkt, was aus der ehemaligen Kirche St. Rochus in Jülich geworden ist, einem 60er-Jahre-Bau des Architekten Gottfried Böhm. „Als klar wurde, dass sie entwidmet werden soll, meldete sich ein Fahrradhändler, der aus der Gemeinde kommt, ein aktiver Katholik, der selbst in St. Rochus getauft wurde und einen neuen Verkaufsraum suchte“, erzählt Gerhards. 2023 zog er ein. „Die Orgel steht noch, die Glocke läutet noch und ab und zu gibt es Konzerte“, sagt Gerhards. Und die kleine achteckige Kapelle, die mit dem Hauptraum verbunden ist, aber auch von außen betreten werden kann, wird weiter als Gottesdienstort genutzt. Gerhards sagt: „Das alles hat in der Gemeinde zu einer hohen Akzeptanz dieser ungewöhnlichen Lösung geführt.“

Sein Fazit: „Gemeinden sollten sich nicht zu schnell von ihren Kirchen trennen. Es geht mehr, als man auf den ersten Blick denkt.“ Auch verkauft werden sollte nicht zu schnell, Verpachten sei eine gute Alternative, um auch später über die Verwendung mitreden zu können. Damit das gelingt, gilt: Mehr fachliche Unterstützung ist dringend nötig.

Susanne Haverkamp

Zur Person: Albert Gerhards (73) hat Liturgiewissenschaft in Bochum und Bonn gelehrt. Er ist Priester des Bistums Aachen. 

Eine Kirche als Arbeitsplatz für Jungunternehmer, als Pflegeeinrichtung oder Kulturzentrum - im Schwerpunkt "Neues Leben in alten Mauern" lesen Sie drei Beispiele, wie Kirchen kreativ weitergenutzt werden: www.aussicht.online/artikel/wie-kirchen-neu-genutzt-werden