Heiko Klinge verstorben
Abschied vom Medienmacher
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„Der liebe Gott tut nichts als fügen.“ Diesen Satz, dem frommen Volk vom Maul abgeschaut, wird der Mann in seinem Leben noch oft sagen.
Und selten war sein Mantra treffender als jetzt: Gerade schickt er sich an, der katholischen Publizistik Beine zu machen, da schieben die Väter des Zweiten Vaticanums ihren Konstitutionen, Erklärungen und Verordnungen noch eine bahnbrechende Forderung nach: Katholische Bischöfe, macht was mit Medien! Aber bitte richtig! Diese römische Ansage gibt ordentlich Wind in die Segel von Heiko Klinge, der, als die Pastoralinstruktion „communio et progressio“ (Gemeinschaft und Fortschritt) erscheint, gerade mal 28 Jahre alt ist und dabei doch alles andere als ein Anfänger. Er ist Verbands-, Partei- und Kommunalpolitiker von einigem Einfluss, bereits seit drei Jahren Geschäftsführer des Bernward Verlages und ein Medienmacher durch und durch. Ab dem 23. Mai 1971 heißt es für ihn endgültig: Leinen los.
In den nächsten Jahrzehnten gibt niemand der katholischen Publizistik mehr Impulse, keiner lässt mehr zukunftsweisende Projekte vom Stapel als er.
Er initiiert die Kooperation der Bistumszeitungen
Noch bevor der Markt für die konfessionelle Presse schwierig wird, stielt Klinge 1972 die erste Kooperation seiner Hildesheimer Kirchenzeitung mit dem Berliner Petrusblatt ein, bald kommen der Osnabrücker Kirchenbote und der Paderborner Dom dazu. 1991 initiiert er die Gründung der Nordostdeutschen Verlagsgesellschaft, der Münsteraner Bistumsverlag wird weiterer Partner, ebenso die Kirchenzeitungen der Diözesen in Ostdeutschland. Umfirmiert in Verlagsgruppe Bistumspresse produziert das von Klinge entworfene Kooperationskonstrukt heute für 14 Diözesen den überregionalen Teil. Qualitätsjournalismus mit einer bezahlten Gesamtauflage von gut 70 000 Exemplaren. Weitere Bistumszeitungen werden 2024 der Kooperation beitreten.
Anders als viele kirchliche Entscheider sieht Klinge in der Einführung des Privatrundfunks in den 1980er Jahren eine große Chance für die Verkündigung. Auf politischem Feld wirkt er mit an der gesetzlichen Verankerung kirchlicher Senderechte. Wirtschaftliche Profite, die bis heute reichlich realisiert werden, sichert er durch Beteiligungen an den neuen Sendern. Er gründet eine Fernsehproduktion, die für private TV-Stationen innovative Verkündigungsformate entwickelt, und der Bernward Verlag wird um eine Rundfunkredaktion erweitert, die seit nunmehr drei Jahrzehnten tagtäglich kirchliche Inhalte nicht nur in niedersächsischen Privatradios platziert.
Als die Mauer fällt, ist es der Hildesheimer Verleger, der für den einzigen katholischen Verlag auf dem Gebiet der damaligen DDR Starthilfe organisiert und so den Grundstein legt für die Erfolgsgeschichte des Leipziger St.-Benno-Verlages.
Pioniere balancieren auf schmalem Grat
Wenn das Leben nur die bestrafte, die zu spät kommen, hätte Heiko Klinge stets auf der richtigen Seite der Geschichte gestanden. Immer ist er unter den Schnellsten und unter denen oft der Erste. Doch gerade Pioniere balancieren auf schma-lem Grat.
Nahezu zeitgleich mit einer großen deutschen Metropole wird in Hildesheim zu Beginn der 1990er Jahre die erste Großbuchhandlung in Deutschland eröffnet. Auf vier Ebenen, davon auf einer Etage mit annähernd 300 Quadratmetern ausschließlich theologische Fachbücher, katechetisches Material, Devotionalien und allerlei Erbauliches. Café, Schmökerecken und etliche Veranstaltungsformate inklusive. Die Vermittlung des Guten, Wahren, Schönen als Einkaufserlebnis inszeniert. Der Plan ist gut, die Umsetzung sorgfältig. Gleichwohl entpuppt sich die Sache als eine einzige schmerzhafte Lernkurve. Zwar bleibt die Unternehmung im verabschiedeten Businessplan, doch schließlich wird das Ende des Projekts beschlossen. Profitieren von den Erfahrungen werden also die Unternehmen, die dem Trend zum Großbuchladen erst später folgen.
Zur etwa gleichen Zeit betritt ein Herr mit ausnehmend distinguiertem Habitus das Hildesheimer Rundfunkstudio: Willi Fährmann, hochdekorierter Jugendbuchautor, liest für den Bernward Verlag Texte ein. Parallel werden eigene Serienkonzepte entwickelt, Manuskripte geschrieben, Cover gestaltet. Trägermedium soll jetzt nicht das gedruckte Buch sein, sondern die Kassette.
Der Buchhandel aber ist auf den Vertrieb solcher Produkte nicht vorbereitet. Und die Kooperation mit einem großen Discounter scheitert am Geld: „Liefern Sie am Montag 75 000 Einheiten an unser Zentrallager, und was bis Donnerstag nicht verkauft ist, nehmen Sie dann bitte wieder mit.“ So viel Risikokapital kann der Bernward Verlag nicht aufbringen, und der Hauptgesellschafter, das Bistum Hildesheim, will es nicht. Ein paar Jahre später beginnt der Hörbuchmarkt durch die Decke zu schießen.
Klinges Dynamik sorgt zuweilen für Unruhe
Wie geht Heiko Klinge mit Erfahrungen wie diesen um? Er ärgert sich, aber nicht zu lange. Er ist zu bibelfest, um nicht zu wissen, dass ein guter Verwalter seine Talente nicht vergraben darf, sondern mit ihnen arbeiten muss. Und als Unternehmer ist ihm klar, dass, wer wagt, auch verlieren kann. Was er im Übrigen auch seinen Mitarbeitern zugesteht. Heiko Klinge verzeiht jeden Fehler, dem eine gute Absicht vorausgeht. Durch alle Hierarchien hindurch, in allen Lebenssituationen. Fehlerkultur avant la lettre.Was Klinge allerdings nicht verzeiht, sind Faulheit, Unzuverlässigkeit, Desinteresse. Jede falsche Entscheidung ist ihm erträglicher als keine. Systeme, in denen viele Akteure sich auch bei Sonnenschein nicht ohne Regenschirm aus dem Haus trauen, kann das nervös machen. Da sorgt die Dynamik eines Heiko Klinge für Unruhe: Immer diese vielen Ideen und Vorschläge.
Oberbürgermeister und Verleger-Präsident
Zwei aber, die genau das an ihm schätzen, sind die beiden Bischöfe, unter denen er sein Unternehmen führt, Heinrich Maria Janssen und, vor allem, Josef Homeyer: Esprit, rhetorische Brillanz, Gewandtheit – da ist endlich mal einer, der sich nicht ängstlich hinter Kirchenmauern verkriecht, sondern rausgeht an die Hecken und Zäune, in Eckkneipen genauso trittsicher ist wie in Salons und Konzernzentralen.
Ihnen imponiert, was manche bloß neidisch macht: Dass da einer mit 33 Jahren schon Oberbürgermeister von Hildesheim ist und – mehr noch! – als kleiner Kirchenzeitungsverleger Präsident des Verbandes Deutscher Zeitschriftenverleger wird. Und Mitglied im Deutschen Presserat. Und Vizepräsident des Zentralverbands der Deutschen Werbewirtschaft. Ist das nicht das, was Kirche eigentlich ausmachen muss?! In der Welt sein?! Die Welt in christlicher Verantwortung gestalten, entwickeln?!
Auch anderen Bischöfen ist Klinge ein gefragter Gesprächspartner und Ratgeber, allen voran Karl Kardinal Lehmann, Erzbischof von Mainz und seinerzeit Vorsitzender der Deutschen Bischofskonferenz. Hermann Josef Spital schließlich, Bischof von Trier und Vorsitzender der Publizistischen Kommission der Deutschen Bischofskonferenz, gewinnt ihn 1993, die Geschäftsführung der Münchner MDG Medien-Dienstleistung GmbH zu übernehmen, einer katholischen Unternehmensberatung. Die Absicht ist klar: Die gesamte katholische Medienarbeit in Deutschland soll von Klinges Kompetenz profitieren, die katholischen Verlage, die katholischen Medienhändler, auch die Kommunikationsabteilungen der Ordinariate.
„Wir wissen viel, aber wir tun nichts“
Und tatsächlich reist Heiko Klinge in den kommenden zwölf Jahren gewohnt rastlos durch die Szene, weitet seinen Radius aus, greift auch kirchlichen Trägern in der Schweiz und Österreich unter die Arme, nicht nur katholischen. Er treibt eigene Projekte voran, etabliert regelmäßige Studien mit dem Institut für Demoskopie Allensbach, Grundlagenforschung gewissermaßen.
Ernüchternd ist für ihn allerdings der mangelnde Wille vieler Klienten, die erarbeiteten Handlungsempfehlungen tatsächlich umzusetzen: „Wir wissen viel, aber wir tun nichts.“ Mit Sorge sieht er das stete Anwachsen der Kommunikationsreferate in den Ordinariaten, deren schwindenden Austausch mit privatwirtschaftlich organisierten Trägern. Verantwortlich dafür ist in seinen Augen allerdings nicht allein die Zentralisierungswut der Bistümer, sondern auch das Phlegma seiner ehemaligen Verlegerkollegen, das sich für ihn auch im Scheitern eines seiner seinerzeit wichtigsten Projekte manifestiert: „Der Sonntag“. Seit Beginn seiner Karriere will er die diözesanen Verleger überzeugen, eine einzige Kirchenzeitung für Deutschland herauszugeben, holt diese Idee auch in MDG-Zeiten noch mal aus der Schublade. Vergeblich: „Wir hätten es auf 1,6 Millionen bezahlter Auflage gebracht. Das wäre eine enorme publizistische und wirtschaftliche Kraft gewesen.“
Trotz vieler Angebote blieb er in der kirchlichen Medienarbeit
Heiko Klinge hätte überall Karriere machen, sich attraktivere Jobs nehmen können; Kontakte und Angebote gab es gerade in der Zeit seiner Verbandspräsidentschaft reichlich. Er blieb bei seiner Kirche. Ihre Medienarbeit wollte er wettbewerbsfähig sehen im Stimmengewirr der Welt von heute, zum Wohl der Gesellschaft. Daran wollte er mitwirken. Dabei ist ihm manches geglückt, manches misslungen. Wie das eben so ist.
Bis zum Ausbruch seiner Krankheit war Heiko Klinge ein zufriedener Senior, mit sich im Reinen, umgeben von Familie und Freunden. Kirchliche Entwicklungen verfolgte er nur noch von der Seitenlinie. Stabil sozialisiert im klassischen „sentire cum ecclesia“, konnten ihn die aktuellen Machtkämpfe kirchlicher Funktionäre lediglich langweilen. Was ihn allerdings zutiefst traf, ja, bis ins Mark verstörte: Die offensichtlichen Verstrickungen „seiner“ beiden Hildesheimer Bischöfe in den Missbrauch. Das konnte er nicht fassen.