Zukunft der Seelsorge

Abschied von alten Bildern

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Wohin geht die Seelsorge im Bistum Hildesheim? Erst vor wenigen Wochen hat Bischof Heiner Wilmer den Abschied von kirchlichen Selbstverständlichkeiten gefordert. Jetzt hat der Leiter der Hauptabteilung Pastoral, Christian Hennecke, ein Buch vorgelegt, das radikal die bisherige kirchliche Praxis hinterfragt.  

Viele Alte, spärlich besuchte Gottesdienste – der Leiter der Seelsorge-Abteilung im Generalvikariat, Chris­tian Hennecke, hat ein anderes Bild von der Zukunft der Kirche.
Viele Alte, spärlich besuchte Gottesdienste – der Leiter der Seelsorge-Abteilung im Generalvikariat, Chris­tian Hennecke, hat ein anderes Bild von der Zukunft der Kirche.

„Raus in eine neue Freiheit“ ist der Titel des neuen Hennecke-Buches. Darin hinterfragt der Mann, der für die Seelsorge im Bistum Hildesheim zuständig ist, das derzeitige Handeln in der Pastoral. Muss alles „weiter so gehen“ – die Erstkommunion, die Jugendarbeit, die Gottesdienste? Wer ist dafür zuständig, dass alles so bleibt, wie es ist? Von wem wird das eigentlich erwartet? 

Der Autor beschreibt, wie diese Angebote immer mehr Mühe kosten und immer weniger Menschen ansprechen. Das führt ihn zu der Frage: „Wie kommt es dazu, dass wir das Evangelium und seine Strahlkraft so stark mit einer Kirchengestalt verwechseln?“ Christian Hennecke möchte die Kirche öffnen, er möchte Platz und Mut machen für neue Bewegungen, neue Impulse – und dazu braucht es aus seiner Sicht den Abschied von Liebgewonnenen: „Es braucht ein radikales Desinteresse am Erhalt des Gefüges kirchlichen Lebens, wenn wir ernsthaft mit dem glaubenswirksamen Evangelium umgehen wollen“ – ein Satz, der neugierig macht, manchen allerdings auch erschüttern dürfte. 

Hennecke ist es wichtig – und das ist ein zentrales Thema des Buches – sich von alten Bildern, Pflichten, Denken und alt gewordenen Dauerdiskussionen verabschieden zu können. „Ich mag nicht mehr.“ „Die Blockaden sind lähmend und machen mürbe.“ In diesen Sätzen hört man einen erfahrenen Priester, der leidenschaftlich mit seiner Kirche ringt – vom müden Abwinken bis hin zum wütenden Fuß-Aufstampfen. Der Autor fragt nach der Zukunft und Zukunftsfähigkeit der Kirche jenseits der bekannten „Kirchenlandschaft“. 

„Wieso müssen wir eigentlich auf Einzelpersonen setzen“? „Wie viel Vertrauen wird im Volk Gottes ineinander investiert?“ Auch hier geht es ihm darum, jenseits der eingefahrenen Ämter- und Aufgabenzuschreibungen insbesondere etwa unter den Hauptamtlichen Raum für neue Charismen zu finden. Dabei versucht er den Abschied von einer Kirche, die auch seitens der hauptamtlichen Theologinnen und Theologen auf die Priester zugespitzt wird, zu finden. Neue Charismen bedeutet für ihn, das Christentum und den Missionsauftrag an alle ernst zu nehmen und alle in ihrem Charisma zu fördern – nicht, in den Pfaden der Priester zu gehen. 

Er betrachtet auch die verschiedenen Kirchenmitglieder: Diejenigen, die schon lange dabei sind, die katholisch aufgewachsenen, aber als Gruppe eher aussterben. Dagegen setzt er die Konvertiten und andere Gruppen – Kirchenferne, Lobpreisbegeisterte etwa. Wie verändern diese Gruppen die Kirche?

Christian Hennecke verarbeitet in diesem Buch viele verschiedene Erfahrungen und Beobachtungen – aus der Corona-Zeit, aus den Bewegungen um Maria 2.0 oder auch etwa die Lobpreisbewegung, aber auch sehr konkrete Gespräche und Erlebnisse in Pfarreien. Dies verbindet er mit den aktuellen theologischen und kirchenpolitischen Aussagen etwa des Papstes und Bischof Heiner Wilmers. Christian Hennecke will, wie vom Papst und Bischof gefordert, die Kirche auf den Kopf stellen. Dabei entwickelt er seinen Ansatz der „Lokalen Kirchenentwicklung“ weiter und bricht ihn gleichzeitig auf: Er ist davon überzeugt, dass sich Kirche nur verändern kann, wenn sie sich von den alten Kirchenbildern und dem alten pfarreizentrierten Denken verabschiedet – in eine neue Form des Kirche-Seins. Dabei stellt der Autor stark infrage, ob und wie weit sich die klassische Ortspfarrei noch halten kann. Hier würde man sich in einem weiteren Schritt oder Buch eine ebenso tiefe Auseinandersetzung etwa mit dem Verwaltungsgefüge auf Bistumsebene, den verschiedenen anderen Orten des Kirche-Seins wie den Bildungswerken, der Caritas und den Orden, wünschen.

Das Buch gibt einen Fragenkatalog, mit dem man quasi wie eine Checkliste sein eigenes Kirchenbild hinterfragen kann. Gleichzeitig bietet es viel Raum für kontroverse Diskussionen und kritische Anfragen auch an den Autor selbst. Angenehm ist, dass Hennecke nicht der Versuchung erliegt, in dem Buch schnelle Lösungen zu geben. Es bleibt bei dem Ausgerichtetsein und dem Hinhören auf andere Entwicklungen. Dies bedeutet aber auch, dass am Schluss des Buches die Frage nach dem „Wie geht es denn jetzt weiter?“ offen bleibt – in voller und bester Absicht des Autors.

Von Sr. Birgit Stollhoff

Die Autorin ist Mitglied der Congregatio Jesu und leitet das Jugendpastorale Zentrum Tabor in Hannover.

 

Buchinfos: Christian Hennecke: „Raus in eine neue Freiheit“, Kösel-Verlag in der Verlagsgruppe Penguin Random House, 20 Euro.