Bischof Bernward
Allround-Genie aus Hildesheim für Europa
Er ist schon tausend Jahre tot. Aber sein Vermächtnis wirkt bis heute. Bischof Bernward war einer der großen Männer seiner Zeit. Er brachte einem Kaiser Lesen und Schreiben bei, er nahm Einfluss auf Politik und Kirche, er schuf Kunstwerke für die Ewigkeit. Und Hildesheim war zu seiner Zeit ein Zentrum europäischer Geschichte. Am 20. November wird an ihn erinnert.
Sollte dieses Leben jemals als Vorlage für ein Drehbuch dienen, hätten wir alles, was einen spannenden Historienfilm ausmacht: Einen unbeugsamen Hauptdarsteller, der für seine Überzeugungen steht. Ein bisschen Exotik. Schauplätze in vielen Teilen Europas. Gerangel um Macht und Einfluss. Spannende Blicke auf die Kultur jener Zeit. Nun gut, auf eine knisternde Liebesgeschichte müssten wir in diesem Fall verzichten, denn unser Protagonist ist ein Mann der Kirche, der sich – soweit wir das wissen und anders als viele bekannte Beispiele erzählen – an sein Keuschheitsgelübde gehalten hat.
Als Mitautor des Drehbuches müsste ein gewisser Thangmar genannt werden. Ohne ihn wüssten wir so gut wie nichts über den Mann, der im Mittelpunkt unseres Films stünde: Bernward, Bischof von Hildesheim, Landesherr, Kunstmäzen.
Thangmar also, ein gelehrter Hildesheimer Priester, war in der Zeit um das Jahr 1000 Kopf, Herz und Seele der aufblühenden Domschule. Zu seinen Schülern gehörten spätere Bischöfe und sogar der Kaiser. Nein, als Bücherwurm dürfen wir ihn uns nicht vorstellen, viele Jahre war er unterwegs zu den Schauplätzen, wo Geschichte geschrieben wurde. Trotzdem tunkte er immer wieder den Federkiel in die Tinte und schrieb die „Vita Bernwardi“ über das Leben des Mannes, den er so lange begleitet hatte, den er über alle Maßen verehrte und – sicherlich würde uns Thangmar heute, aus der Distanz eines Jahrtausends, den Ausdruck nachsehen – wohl auch im Überschwang der freundschaftlichen Gefühle glorifiziert hat.
Wer das Bistum von heute vor Augen hat, wird sich vielleicht wundern, welcher Einfluss von hier ausging. Hildesheim selbst war zwar nicht mehr als eine Ansammlung von kleinen Siedlungen, die um den Domhügel angelegt waren. Aber die bereits genannte Domschule war ein Zentrum des Wissens und der Bildung, heute würden wir sagen: eine Kaderschmiede, an der die Elite des Landes unterrichtet wurde, Theologie und Sprachen büffelte, philosophische Grundlagen debattierte und der Rechtsprechung auf den Grund ging. Dazu kam: Das Gebiet zwischen Harz und Heide spielte damals, heute nur schwer vorstellbar, eine wichtige machtpolitische Rolle. Hier hatte Karl der Große die heidnischen Sachsen kurz zuvor endgültig in die Knie gezwungen, Kaiser und Könige regierten von den umliegenden Pfalzen aus, Klöster hatten sich zu wirtschaftlichen, geistlichen und kulturellen Mittelpunkten entwickelt und aus den Bergwerken bei Goslar sprudelte förmlich das Geld.
In dieses Umfeld wird Bernward geboren (althochdeutsch für „Schützer vor dem Bären“), wann genau, wissen wir nicht, vermutlich um das Jahr 950. Er stammt aus dem sächsischen Adel, der nach seiner Niederschlagung durch die Franken eine erstaunliche Karriere hingelegt hat und viele Spitzenpositionen besetzt. Auch für Bernward geht es steil nach oben, denn, so schildert Thangmar später in seiner Lebensbeschreibung: „Auf eine Weise, die man nur als ein Wunder bezeichnen kann, wurde Bernward bereits in jungen Jahren die Gnade eines scharfen Verstandes zuteil. Obwohl er sich mit dem Feuer seiner Begeisterung jedem Wissensgebiet zuwandte, richtete er seinen Eifer ebenso sehr auf die niederen sogenannten mechanischen Künste. In der Schreibkunst glänzte er besonders, auch das Malen betrieb er mit großem Können. Die Ausstrahlung seines Talents fand den Wohlgefallen Gottes und die Sympathie der Menschen.“
Mit 30 etwa ist Bernward für große Aufgaben gewappnet, ist Schreiber, Sekretär und Notarius und beginnt seine Laufbahn als Kleriker quasi an der Spitze der Karriereleiter: am Hof des Kaisers, Otto II. und seiner aus Byzanz stammenden Frau Theophanu. Zu beiden hat er sehr guten Kontakt, es entwickelt sich ein freundschaftliches, enges Verhältnis. Otto herrscht über ein Gebiet, das weit über das heutige Deutschland hinausreicht: im Osten bis nach Tschechien, im Westen nach Belgien und die Niederlande, im Süden bis nach Rom. Der Kaiser schätzt Bernward als Ratgeber, bewundert ihn förmlich als Allround-Genie. Wer weiß, wie die beiden gemeinsam Geschichte geschrieben hätten.
Der Erzieher des Kaisers
Aber es kommt anders: Der Kaiser stirbt mit 28 Jahren in Italien an der Malaria, sein Nachfolger ist Sohn Otto III., der damals gerade drei Jahre ist und noch ziemlich unbeholfen durch die Welt stolpert. Während Theophanu und ihre Schwiegermutter Adelheid die Amtsgeschäfte übernehmen, nimmt Bernward den Stepke unter seine Fittiche. Er soll ihm, so die Bitte der Mutter, nicht nur Lesen und Schreiben beibringen, sondern sich auch um seine charakterliche Bildung kümmern. Eine Aufgabe, die Bernward mit großer Fürsorge, aber auch aller gebotenen Distanz übernimmt. Sein Chronist Thangmar: „Andere schmeichelten dem Knaben, boten zu eitlen Belustigungen und allem, was unerfahrene Jugend begehrt, die Hand“.
Theophanu war da keine Ausnahme: Aus Angst, die Zuneigung ihres Sohnes zu verlieren, lässt sie ihn an der langen Leine, erfüllt jeden Wunsch. „Bernward allein beharrte auf seinen festen Grundsätzen, bewahrte dem Knaben die Scheu vor törichtem Handeln und gewann dennoch seine volle Zuneigung“, notiert Thangmar in der Lebensbeschreibung.
Die Erziehungsjahre verbringt Bernward nicht allein im kaiserlichen Kinderzimmer. Immer wieder zieht er im Auftrag des Herrscherhauses quer durch Europa, reist nach Aachen, Rom, Paris, knüpft Kontakte, schlichtet Konflikte, macht Politik. Er ist mit offenen Augen unterwegs, lässt sich von den großen Kirchen und der Kunst inspirieren. Ein Mann seiner Zeit auf dem Höhepunkt der Macht. Doch es kommt noch einmal ganz anders.
993 wird Bernward mit einer völlig neuen Aufgabe betraut, übernimmt das Bischofsamt in Hildesheim. Wie gesagt damals keine unbedeutende Provinz, sondern Stammland der mächtigen Ottonen. Seine Ernennung ist also alles andere als eine Zurücksetzung seiner Person. Und so nimmt er durchaus selbstbewusst die Dinge in die Hand, baut den Domhügel zu einer Burg aus und umgibt sie mit einer Wehrmauer. Zwar unternimmt er keine Anstrengungen, die Slawen jenseits der Elbe zu missionieren. Aber gegen mögliche Übergriffe zumindest will Bernward gewappnet sein. Die Erziehung Ottos III. kann der Bischof inzwischen als Erfolgsgeschichte verbuchen und die Neuordnung der kirchlichen Angelegenheiten regeln. Auch da wartet jede Menge Arbeit auf ihn, er kümmert sich als Oberhirte um die angemessene Ausbildung seiner Priester: Sie sollen ihren Gemeinden verständlich rüberbringen, was da in den Gottesdiensten eigentlich gefeiert wird.
Unter Bernward lodert auch ein lange gärender Konflikt um das Stift Gandersheim auf. Hildesheim und Mainz streiteten sich schon länger, wer dort das Sagen hat. Eigentlich verstand sich Bernward mit seinem Mitbruder vom Main ja immer recht gut, aber in dieser Frage wollte er keine Handbreit Boden abgeben. Äbtissin war zu der Zeit Sophia, die ältere Schwester Ottos III., eine machtbewusste Frau, die nicht nur ihre Klosterzelle bewohnte, sondern auch gern die Annehmlichkeiten am Hofe genoss und deshalb von Bernward gerügt wurde. Der Konflikt zwischen Mainz und Hildesheim gärte, dann eskalierte er. Die rechtmäßigen Ansprüche auf das Stift wurde auf Synoden diskutiert, beschäftigten Kaiser und Papst, beide offensichtlich spürbar genervt. Hinter den Kulissen wurde versucht, die Wogen zu glätten und den Streit aus dem Weg zu räumen, der durch verletzte Eitelkeiten beider Bischöfe immer neue Nahrung bekam. Wirklich entschieden wurde erst viel später zugunsten von Hildesheim, als Godehard bereits als Nachfolger Bernwards sein Amt angetreten hatte.
Seine Schätze begeistern die Welt
Wer heute auf den Spuren Bernwards in Hildesheim unterwegs ist, kommt an zwei Dingen nicht vorbei: St. Michaelis und die Kunst in Dom und Domschatz sind wesentliche Hinterlassenschaften des Bischofs, die tausend Jahre überdauert haben und der Grund sind, das Hildesheim schon früh in die Liste des Weltkulturerbes aufgenommen worden ist.
Die Michaeliskirche war für Bernward nicht weniger als eine Herzensangelegenheit, und noch immer staunen Besucher über die bauliche Meisterleistung, ein Musterbeispiel der romanischen Baukunst. Das fertige Gotteshaus, markant gelegen auf einem Hügel nahe des Doms, erlebte Bernward nicht mehr, es wurde erst elf Jahre nach seinem Tod geweiht. Trotzdem hatte er sich hier begraben lassen, die Mönche sollten an seinem Sarkophag beten und die Erinnerung an ihn wachhalten.
Nur wenige Schritte sind es zu den meisterlichen Werken, die im Auftrag Bernwards entstanden sind. Die nach ihm benannte Bernwardstür im Dom zum Beispiel war damals ein handwerklich geradezu revolutionäres Meisterstück. Noch nie war jemand auf die Idee gekommen, zwei fünf Meter hohe Türflügel, jeweils 7 Tonnen schwer und mit figürlichen Darstellung geschmückt, in einem Stück zu gießen. 16 eindrucksvolle Bilder zeigen Bilder aus der Bibel, erzählen die Geschichte von Adam und Eva über die Verkündigung, dass Maria den Sohn Gottes gebären wird bis hin zur Himmelfahrt Christi.
Auch das Dommuseum verfügt über einen Schatz, der auf Bischof Bernward zurückgeht. Viele hochkarätige Museen sind dankbar, wenn sie – selten genug – Teile davon in Ausstellungen zeigen dürfen. Eine besondere Geschichte rankt sich um das „Große Bernwardkreuz“, die Thangmar in seiner „Vita Bernwardi“ ausführlich schildert: Demnach enthält es Teile vom Kreuz Christi, ein Geschenk, das Otto III. dem Bischof gemacht hatte. Als der vergeblich versuchte, aus den drei winzigen Splittern ein viertes abzubrechen, um damit jedes Ende seines Kreuzes zu schmücken, lag es plötzlich unter seinen Händen. Ein Engel Gottes, erzählte man, soll ihn gebracht haben.
Egal, ob wir an solche Wunder glaube oder nicht – wir wissen heute, dass Hildesheim unter Bischof Bernward ein Zentrum der europäischen Geschichte und Kultur gewesen ist. Ein guter Grund, sich an ihn an seinem 1000. Todestag am 20. November zu erinnern.
Stefan Branahl