Ausstellung im Dommuseum Hildesheim

Arabische Kulturimporte

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Was hat der heilige Godehard mit dem Islam zu tun? Mehr als man gemeinhin annimmt, sagen die Macher einer Ausstellung im Hildesheimer Dommusem, die anlässlich des Godehardjahres ab September den Islam in Europa zwischen 1000 und 1250 in den Blick nimmt.


Gemeinsamkeiten und Verflechtungen
der Kulturen: Eine ägyptische Schachfigur
mit kunstvollem Schliff krönt das
Marienreliquiar „Hieratheca Beatae
Maria Virginis“.

Ist das 11. Jahrhundert nicht die Zeit des christlichen Abendlandes mit einer homogenen Kultur? Wo hätte Godehard dem islamisch geprägten Kulturraum überhaupt begegnen können? „Die Antwort mag verblüffen, denn Godehard traf auf Objekte aus der islamischen Welt in der Liturgie des Domes“, sagt die Direktorin des Dommuseums, Claudia Höhl.

Anrufung Allahs auf Marienreliquiar

Im Dommuseum befindet sich ein keilförmiges Marienreliquiar, das Ende des 10. Jahrhunderts wahrscheinlich von Bischof Osdag gestiftet wurde. Als Bekrönung dient eine aus Bergkristall gefertigte Schachspielfigur, die aus dem fatimidischen Ägypten stammt und auf der Vorderseite sind zwei rote geschnittene Edelsteine integriert. Der eine zeigt eine antike Göttin, der andere eine kufische, also arabische Inschrift mit einer Anrufung Allahs, ein Siegelstein, wie er als Amulett in der islamisch geprägten Welt gebräuchlich war.

„Dass Godehard die Inschrift lesen konnte, ist mehr als unwahrscheinlich, aber die Präsenz arabischer Kulturimporte in Hildesheim ist kein Einzelfall. Importiert werden nicht nur Objekte, sondern auch Kenntnisse und Techniken, die mit Gegenständen in Verbindung stehen“, sagt Höhl.

Nicht nur die Schachfiguren kommen nach Europa, sondern auch das Schachspiel, als Beschäftigung in den höfischen Kreisen. Medizinische Texte der römischen Antike gelangen als Rückübersetzungen aus dem Arabischen in europäische Bibliotheken, da­runter auch in die Hildesheimer Dombibliothek. „Ob die arabischen Künstler, Wissenschaftler oder Ärzte Muslime, Juden oder Christen waren, wissen wir in der Regel nicht, denn die von uns als islamisch bezeichneten Räume sind multireligiös mit großen jüdischen und christlichen Bevölkerungsgruppen“, erläutert Felix Prinz, Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Dommuseum und Kurator der Ausstellung.

Der Godehard nahestehende Kaiser Heinrich II. lässt eine der damals überlieferten Überblicksdarstellungen zur „Weltgeschichte“ kopieren, die sogenannte Historia Romana. In dieser Kopie werden der Aufstieg Mohammeds und die Expansion der Araber ausführlich und ohne Polemik beschrieben. Besonders sind es aber kostbare Dinge, Seide, Elfenbein­arbeiten und die arabische Kalligraphie, die Eingang in die mitteleuropäische Welt finden.

 


Im Detail erkennt man eine arabische
Inschrift, die die Anrufung Allahs
ausdrückt. Die Muttergottes mit dem
Jesuskind wurde erst im 16. Jahrhundert
auf das Gefäß aufgebracht.

Godehard-Reliquien in Seide aus dem Irak

Als nach der Heiligsprechung Godehards seine Überreste in den neuen Schrein umgebettet werden, ist nur das kostbarste Material würdig, mit den Gebeinen des Heiligen in Kontakt zu kommen: Seidenstoffe aus dem arabischen Spanien und dem heutigen Irak. Dort lagen damals die kulturellen Zentren der Welt. „Im mitteleuropäischen Hildesheim, sozusagen an der Peripherie der Zivilisation, wollte man zumindest an deren Fertigkeiten und Kenntnissen teilhaben, sie für sich selbst nutzbar machen und weiterentwickeln“, sagt Höhl. So begegnet Godehard – wenn auch erst nach seinem Tode – der islamischen Welt quasi hautnah.

Zusammenarbeit mit Textilmuseum

Dass das Dommuseum die Stoffe dem arabischen Kulturraum zuordnen konnte, ist der Zusammenarbeit mit dem Textilmuseum Rigisberg in der Schweiz zu verdanken. Über Jahrhunderte blieben die Stoffe neben den Godehard-Reliquien nahezu unbeachtet. Als der Schrein vor rund zehn Jahren im Zuge der Domsanierung geöffnet wurde, war dies anders. Textilrestauratoren aus dem besagten Museum nahmen die Stoffe näher unter die Lupe und kamen zu eindeutigen Ergebnissen.

„Zeugnisse aus dem arabischen Raum finden sich in vielen Kirchenschätzen, nicht nur in Hildesheim, ebenso in staatlichen Sammlungen“, sagt Prinz. Und so wird die Hildesheimer Schau ergänzt um Leihgaben unter anderem aus Florenz, Wien, London und Neapel. Der Pariser Louvre stellt ein Hauptwerk seiner Mittelaltersammlung zur Verfügung: ein bronzener Pfau mit einer zweisprachigen Inschrift auf Latein und Arabisch. „So etwas ist ganz außergewöhnlich“, sagt Prinz. Diverse Objekte der Dauerausstellung des Dommuseums werden in der Zeit der Sonderausstellung an andere Museen verliehen, unter anderem nach Paris.
Die Ausstellung soll nicht nur ein historischer Rückblick sein, sondern „in einer Zeit, in der viel polarisiert wird, die Gemeinsamkeiten und Verflechtungen der Kulturen aufzeigen“, meint Prinz. Mehr noch: Ein „Labor der Gegenwart“ lädt auf vielfältige Weise dazu ein, sich mit der heutigen Gesellschaft und Kultur auseinanderzusetzen.

Schüler der Hildesheimer Geschwister-Scholl-Schule hatten dazu schon im Vorfeld der Ausstellung Gelegenheit. Die Mädchen und Jungen – viele davon Kinder ehemaliger türkischer Gastarbeiter – konnten anhand von Objekten aus dem islamischen Raum ihre Geschichte entdecken. „Zu sehen, wie Migranten ihre eigene Biografie mit dem Dommuseum in Verbindung bringen, ist toll“, sagt Prinz.

Die Ausstellung ist vom 7. September 2022 bis zum 12. Februar 2023 im Dommuseum Hildesheim zu sehen. Zur Ausstellung ist ein viersprachiges Faltblatt erschienen, auf Deutsch, Englisch, Türkisch und Arabisch. In diesen Sprachen wird es auch Führungen geben. Ein 350-seitiger Katalog ist in Vorbereitung.