Nachruf

Auf Seiten derer, die im Schatten stehen

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Mit 90 Jahren ist am Pfingstsonntag in Dresden der ehemalige Leipziger Propst Günter Hanisch gestorben. Mit ihm hat das Bistum Dresden-Meißen einen Priester verloren, der die Kirche insbesondere in den drei sächsischen Großstädten mitgeprägt hat.


Propst i. R. Günter Hanisch kurz vor seinem 90. Geburtstag.    Foto: Dorothee Wanzek

Obwohl der gebürtige Leipziger kein Mann war, der sich in den Vordergrund drängt, wurde seine Stimme von vielen Menschen gehört. Seine Worte hatten Gewicht, weil aus ihnen die lange Erfahrung und die Weisheit eines Seelsorgers sprach, der zuhören und genau hinschauen konnte. Er strahlte die Gelassenheit eines Christen aus, der darauf vertraut, dass Gott sein eigenes Leben und die gesamte Schöpfung liebevoll begleitet. Er sah die Wirklichkeit nie nur schwarz oder weiß, sondern nahm Grauschattierungen wahr. Aus dieser Haltung heraus gelang es ihm oft, konträre Positionen zu versöhnen.
Dabei scheute er sich nicht, selbst klar Position zu beziehen. „Christen sollten immer auf Seiten derer sein, die im Schatten stehen“, sagte er etwa in einem TAG DES HERRN-Interview zu seinem 80. Geburtstag. Nicht von ungefähr setzte er sich in der DDR für die Gründung einer Ausbildungsstätte für katholische Sozialarbeiter ein. Von 1963 bis 1971 war er der Gründungsrektor des Seminars für den kirchlich-karitativen Dienst in Leisnig und Karl-Marx-Stadt.
Er behielt unter sich wandelnden gesellschaftlichen Bedingungen einen wachen Blick dafür, wer jeweils diejenigen waren, die in den Schatten gestellt wurden. Noch als über 70-Jähriger ließ er sich in die Pflicht nehmen als Vorsitzender des Diözesan-Caritasverbandes.
Sein ganzes Leben hindurch war er immer wieder bereit, Verantwortung zu übernehmen, sei es in der Vorbereitung und Durchführung der Meißner Synode und später der Pastoralsynode in der DDR, von 1971 bis 1984 als Dompfarrer der Dresdner Hofkirche und ab 1984 als Propst in Leipzig. Wer auf verantwortlichem Posten sitzt, der hat es wenig behaglich und ist als Zielscheibe erste Wahl. Günter Hanisch bekam das besonders schmerzlich zu spüren, als ihm der Journalist Heribert Schwan in den 90er Jahren in Fernsehbeiträgen angebliche Stasiverstrickungen vorwarf. Tatsächlich hatte der Propst im Auftrag seines Bischofs Gespräche mit Verantwortungsträgern der DDR geführt. Obgleich Kirchenhistoriker und Zeitzeugen sich in der positiven Einschätzung seiner damaligen Aktivitäten einig waren, musste Günter Hanisch die bittere Erfahrung machen, dass sich öffentlich erhobene Anwürfe nie vollends aus der Welt schaffen lassen. Er ließ sich davon aber keineswegs von weiterem Engagement abhalten. „Was würde Jesus sagen? Wie würde er handeln?“ Diese Fragen blieben der wichtigste Maßstab in seinem Leben. In besonderer Weise sah er deshalb auch das Bemühen um die Einheit aller Christen als seinen Auftrag. Nach außen sichtbar wurde sein Engagement insbesondere im Herbst 1989, als er gemeinsam mit den evangelischen Superintendenten die Leipziger Friedensgebete und Montagsgebete begleitete, später dann die Runden Tische. Hellwach verfolgte er das Geschehen in Kirche und Politik bis zuletzt mit. Er drängte seinen Rat und seine Einschätzung der Situation nicht auf, gab ihn aber bereitwillig, wenn man ihn darum bat. In seinen zuversichtlichen, auf Zukunft orientierten Äußerungen war seine nachhaltige Prägung durch das Zweite Vatikanische Konzil klar spürbar.
Dass Fehler unweigerlich zum Menschsein dazugehören, war Propst Hanisch bewusst. Er war barmherzig mit den Fehlern anderer. Nicht von ungefähr hielt er seinen Dienst als Beichtvater in der Dresdner Kathedrale noch aufrecht, als er alle anderen Aufgaben aus Altersgründen bereits losgelassen hatte. Auch sich selber gestand er Fehler zu. „Wer handelt, kann manches falsch machen. Wer nicht handelt, macht unter Umständen alles falsch“, lautete seine Devise.
Dorothee Wanzek

Günter Hanisch wurde am 9. Juni auf dem Dresdner Alten Katholischen Friedhof bestattet.